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einer Stund auf die ander’. Er reißt die Tür auf ins Freie und schaut zum Himmel hinauf. Da ist kein Mond. Es ist rundum stockfinster.

      Just in dem Augenblick kommt ein Wind auf. Von fern über die Blauberge rauscht er daher, wie oft, wenn ein Südwetter einfällt und erst einen Sturm vor sich her jagt. Mit jeder Minute kann er das Heulen und Sausen deutlicher hören, aber, g’spassig, kein Blattl regt sich dabei, kein Bröserl Staub wirbelt auf, nur einen eiskalten Hauch verspürt er auf seinem Gesicht.

      Ein Sturm nach so einem sonnigen Tag, einem geruhsamen, leuchtenden Abend? Ein Wettersturz, der einen Schub Kälte vorausschickt, zu dieser Jahreszeit? Ist der heilige Petrus närrisch worden? Oder der heilige Michael, von dem man die guten Wetter erflehen muss? Kann der es heulen und sausen lassen, ohne dass die Busch, die Äst und die Bäume sich biegen?

      Warum steht alles starr da und still? Die Kerze in seiner Hand flackert nicht einen Deut, als er ums Haus eilt, um zu sehen, was er nicht glauben mag. Aber es ist so, wahrhaftig: Der Söllmann liegt ruhig in der Hütte, den Kopf auf den Pfoten, und im Stall drinnen rührt es sich nicht, wo die Viecher doch sonst beim Sturm an den Ketten zerren, brüllen, scharren und an die Bretterwand dreschen vor Angst. Sie liegen friedlich und still, und nur etliche heben ein wenig die Köpf, als der Kaspar die Tür auftut und im Kerzenschein nach ihnen schaut.

      Eisige Furcht kriecht in sein Ingreisch, und er flüchtet förmlich zurück in die Stube. Der Schnaufer geht schwer, er greift sich ans Herz, auf dem ein Gewicht lastet, und er murmelt: »Des kommt alles vom Magen. Was essen, na bin i glei wieder beinand.«

      Sein Blick streift abermals den Herrgott im Winkel. Das seltsame Licht ist erloschen, die Augen schauen nicht mehr. Na alsdann, es werd ja schon wieder, denkt er. Da mischt sich in das nahende Brausen des Sturms der ferne Klang einer Glocke.

      »Läuten die drunten im Schloss bei der Festlichkeit? Aber nein, das ist die Totenglocken, drunten, vom See, von Quirin! – Wer is denn da g’storben? Und seit wann läutet man die bei der Nacht?«

      Er schlägt das Kreuz, er hockt sich zum Tisch in den Herrgottswinkel, er horcht auf das Wachsen des Sturms und das scheppernde Glöckchen und vermag sich nimmer zu rühren. Etwas zwingt ihn zum Stillsein und Warten, bis geschieht, was nunmehr geschehen muss. Nach einer Weile wird’s still. Nur die alte Uhr hackt die unendliche Zeit in die Stube.

      Dann klopft es hart an die Tür, drei Mal. Der Brandner hebt seinen Blick und ruft laut:

      »Nur eini!«

      Die Türe fliegt auf, und draußen vor dem Dunkel der Nacht steht wer, dessen Umriss zu ahnen und dessen Gesicht nicht zu sehen ist. Er tut keinen Schritt und sagt keinen Mucks, bis es dem Brandner zu dumm wird und er ihn anredet, obwohl es ihm widerstrebt:

      »Hab mir’s glei denkt, dass des a Fremder is. ’s Anklopfen is bei mir net der Brauch. Meine Tür is für a jeds offen«, sagt er.

      Die Gestalt regt sich nicht. Sie scheint nur feindlich und bös aus dem Dunkel auf ihn zu starren. Der Kaspar spürt einen Ärger und merkt nicht, dass der Schmerz, dass das Klingen und Sirren im Kopf ausgelöscht sind, dass ihm der alte Mut und die gesunde Courage zurückkehren, als er den Fremdling in Ungeduld angeht:

      »Alsdann, was geit’s? Red halt, was d’ willst?«

      Keine Antwort.

      Der Kaspar rückt ein wenig herzu auf der Bank, um die Gestalt besser erkennen zu können, und spricht dringlicher auf sie ein:

      »Grad war i draußd vor der Tür. Da war weit und breit keine Seel net zum Sehen. Bist du eppa herg’flogen?«

      Auf einmal krächzt es aus der Gestalt, sanft und seltsam:

      »Kunnt scho sein.«

      Was ist das für eine Stimm? Sie klingt wie von fern her, rissig und dünn, und ist doch ausfüllend nah in den Ohren, so als raune sie von keinem Ort, als spräche sie in ihm selber. Der Brandner kann sich nur wundern:

      »Du bist mir einer«, und winkt: »Geh halt zuawi, steh net draußen vorm Haus und trag mir die Ruh aussi.«

      Langsam, und scheinbar ohne die Füße zu regen, gleitet der Fremde herein in die Stube. Hinter ihm fällt die Türe ins Schloss, ohne dass er sie angerührt hätte, ganz von selber. Nun steht er am Tisch, neben dem Ofen, schwarz und still. Der Schein der Petroleumlampe streift ihn, und der Kaspar kann sich gar nicht genug wundern:

      »Du bist mir einer. Zaundürr und klappert, bleich und hohlaugert, zum Derbarmen.«

      Die Gestalt scheint zu lächeln.

      »Kennst mich net?«, fragt sie so sanft, dass es dem Kaspar ganz anders wird und seine Angst ihn immer mehr ausfüllt. Er schüttelt den Kopf. Freilich, insgeheim kennt er ihn, freilich. Woher nur?

      »Derratst mich denn net?«, fragt es lauernd.

      Der Kaspar schüttelt erneut seinen Kopf, während es ihm kalt und kälter durchs Hirn und den Leib rieselt, weil er es weiß und es dennoch nicht wissen und wahrhaben mag. Er duckt sich zusammen, er wendet den Blick ab und raunzt feindselig zurück:

      »Mir is’, als möcht ich dich net derraten.«

      »Wir san uns doch heut scho begegnet, auf an winzigen Augenblick – du erinnerst dich doch ganz genau, Kaspar, geh zua!«

      Er hebt seinen schwarzen Umhang vors Gesicht, akkrat so, wie der Kerl heut im Wald, als den Brandner der Schuss riss und er wie tot auf dem Boden gelegen ist. Freilich! Das ist er! Aber nein, der hat doch ganz anders ausg’schaut, und den hab ich mir lediglich ein’bildt, hat der Doktor gesagt. Nun steht er da in der Stube und redet mit einer unbegreiflichen Stimme, wie niemand auf Erden sonst redet.

      Der Tod ist es, und er erscheint in jener Gestalt, wie sie in der Kirchen aufgemalt ist, an der Decke. Es ist wahr. Ich hab’s nicht gewusst und hab’s nicht geahnt. Die Stunde des Scheidens, die Stunde des Sterbens ist da, vor mir steht der Tod!

      Der antwortet, ohne dass es gesagt oder gefragt worden wäre:

      »Net gar so dramatisch, Kaspar. Sag ›Boanlkramer‹ zu mir, wie alle Leut, wenn s’ meinen Namen nicht aussprechen mögen aus begreiflicher Furcht. Schau, ich komm, weil ich dich fragen hab wollen, ob’st net eppa mit mir gehst.«

      Mitgehen? Ergeben und ohne Widerred sterben? Der Brandner springt auf und versucht mit ein paar Schritten die Tür zu erreichen.

      »Naa!« ruft er dabei. »Und i mag amal net!«

      Da zwingt ihn die Stimme zum Stehen.

      »Es muss dengerscht sein«, sagt sie ungerührt, unverändert und sanft: »Schau, Kaspar, der Büchsenschuss sollt dich vermahnen ans End von aller Zeitlichkeit.«

      Der beginnt zu begreifen: »Ah, so geht des zu?! Du bist es g’wesen, der den Schuss auf mich g’lenkt hat.« Und als die Gestalt zu nicken scheint, setzt er höhnisch hinzu: »Und hast mich net amal ’troffen? Net amal des? An Prellschuss hast z’ammbracht, wie der belgische König, du sauberer Schütz.«

      Dem Schwarzen scheint dieser Vorwurf unangenehm, sein Raunen klingt um einen Deut strenger:

      »Nach dem Schuss sollten die Leut sagen: Er hat dieses Schrecknis nicht überstanden, weil es zu viel war fürs alte Herz. Es hat’s nimmer derpackt und ist stille gestanden in Frieden, in der nämlichen Nacht. Verstehst?«

      Freilich versteht das der Kaspar. Ganz gut versteht er’s, aber er will’s nicht verstehen. Er will leben und nicht ergeben sich fügen, und so vergisst er, welch ein Bote da vor ihm erschienen ist, und raunzt ihn an, als sei es der Loichinger, der schelchaugerte, dumme Gendarm:

      »Nix da, nix. Des san Sprüch und san Krampf. Der Schuss, der war net für mich.«

      Mit einem Ruck schnellt der Schwarze augenblicks dicht vor ihn hin, als wollt er ihn zwingen:

      »Der Tag is für dich! So is es dir aufgesetzet. Es geht aufs End!«

      Er hebt den Zeigefinger wie ein strafender Schullehrer. Als der Brandner bemerkt, wie knochig und dürr dieser Finger

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