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Der Brandner Kaspar. Kurt Wilhelm
Читать онлайн.Название Der Brandner Kaspar
Год выпуска 0
isbn 9783475549120
Автор произведения Kurt Wilhelm
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Flori nickt: »Des geht viele Leut so, heutzutag. A jeder is froh, der sei’ Auskommen hat«, und das Marei fragt ihn: »Was hast jetzt du im Sinn, nach dem Nausschmiss?«
»Weiß net. Ich find schon an Platz. Ich könnt wieder im Holz droben arbeiten, da war i schon vor meiner Militärzeit.«
»Die Holzarbeit is net gar leicht«, meint der Kaspar bedächtig. »Die braucht’s G’wöhnen, wennst länger pausiert hast. D’ Holzknecht san hagelbucherne Lackeln, allesamt. Des is aa net jedermanns Sach.«
Der Flori zuckt die Achseln: »Ich werd mir’s net aussuchen können.«
»Ob ’s net in der Schussermühle eppa wen brauchen?«, fällt dem Marei ein. Nahe Kreuth wird Marmor vom Ringberg auf durch Wasserkraft getriebenen neumodischen Säge-, Dreh- und Poliermaschinen verarbeitet: zu Bodenplatten für die Oper und die Glyptothek in München, zu griechischen Säulen, Tischplatten, Vasen, Schmuck und so Glump. Die Werkstätte gehört doch, ja – dem Herrn von Reichenbach, »den kennst du doch. Großvater! Is der net überhaupt heut bei der Jagdgesellschaft dabei? Ob du den amal fragst?«
»Ma kannt ’s ja versuchen.«
Der Brandner erhebt sich und klopft seine Pfeife aus: »Es is ohnehin Zeit. Wir müssen nunter, zum Sammeln ham’s scho geblasen.«
Auf dem Streckplatz sind bald alle beinander. Die Strecke wird auf Tannenzweigen säuberlich ausgelegt, die Hornisten stehen bereit, sie zu verblasen. Man verabreicht allseits den Jagdtrunk. Für die Feinen sind ein Champagner und edle Weine vorhanden, der Prinz, die Zünftigen und die Kenner bevorzugen den Kirschgeist und halten sich an die Spezialitäten, die ein grobes, älteres Frauenzimmer, die Wurzer-Burgl, rundum ausschenkt.
Die ist weithin bekannt und berühmt. Vor Jahrzehnten war sie mit ihrem Geliebten aus dem Zillertal zugewandert. Die beiden hatten sich eine Hütte erbaut, er ging in die Holzarbeit, sie strich mit Hacke und Korb durch die Gegend und sammelte Wurzeln und Kräuter.
Man hielt sie für spinnert, bis Holzknechte die ›geistigen Wässer‹, die sie aus Kräutern, aus Kalmuswurz, Brunnkress und Enzian höllisch scharf zu brennen verstand, zu kosten bekamen und ganz narrisch waren darauf.
Da musste ihr Jörgl bald feste Bänke und Tische vor die Hütte ins Gärtchen zimmern. Sie schenkte aus, Gäste kamen von weither, Hoch und Niedrig saßen selig-gierig beisammen und ließen sich von der Burgl allerlei Wahrheiten sagen, denn dies gewitzte, tüchtige Leut scheute keinen Erlauchten, und neben der Wirkung der Wässer erfuhren jene gleich auch noch, was das Volk denkt.
Bis hinunter nach Preußisch-Berlin drang dann ihr Renommee, als sie dem armen, matten, dürstenden Kronprinzen der Pruzzen im Gärtlein einen reschen Enzian einflößte, gegen das Zetern seiner mitwandernden Höflinge, die Vergiftung und Aussterben des Hohenzollernstammes befürchten zu müssen sich veranlasst sahen.
Zum heutigen Jagdtrunk ist sie samt ihrem Fässchen geladen und trägt zur Erbauung verbal und kulinarisch Erhebliches bei.
Die meisten der Damen sowie jene, denen von Arzt oder Gattin Mäßigung befohlen ist, laben sich, wie die meisten Einheimischen, die Diener, Kutscher und Treiber, am dunklen Bier aus dem Bräuhaus von Tegernsee, das den Wittelsbachern gehört, seit 1817 König Max der Erste – ob der grünen Filzkappe, die er so gern trug, ›Moosmaxl‹ geheißen – das den Benediktinern böse gewaltsam enteignete Kloster samt Brauerei insgeheim aufgekauft und vor dem Verrotten gerettet hatte. Insgeheim hatte er auch verjagte benediktinische Bräumeister heimgeholt, und das Ergebnis, die jährlichen tausend Hektoliter, befriedigte die Erwartungen aller.
Heut ist das Bier so, wie es sein soll, weil es aus den kühlen Kellern von Kaltenbrunn kommt. Oft ist es lack und lau, wenn kein Eis da ist, und oft ist es rar. Man kann davon nicht genügend aufbewahren, wenn der Sommer heiß ist, Durst macht und viele Fremde am Ort sind. Dann geht es aus, und man muss anderes von weit herschaffen, etwa aus Tölz.
»No, Brandner, war die Jagd net ganz nach Ihrem Geschmack, oder was? Sie schauen a bissei dernepft drein«, fragt der Herr Dr. Senger, als er ihn ganz draußen am Rande des Platzes bei den Treibern entdeckt, dort, wo auch Bettelleut lungern und gierig nach Almosen spähen.
»Treibjagden san net mein Fall, Herr Doktor. Was is des gegen a g’scheite Pirsch, wo man ansitzt und lurt und warten muss, bis was daherkommt, und es bleibt fraglich, ob ma zum Schuss kommen kann.«
»Sie ham a Berechtigung? Sie dürfen schießen?«
»Ich hab’s amal g’habt, aber dann is was fürkemma …«
»Was?«
»Ah, nix weiter. A dumme G’schicht. Da hätt einer g’moant, i hätt was erlegt, was eigentlich ihm g’hört hätt – und der hat prozessiert.« »Lassn S’ mich raten, wer’s war – der Senftl?«
»Der sell kunnt’s g’wesen sein, ja. Aber es macht nix.«
»Da kann man doch was unternehmen, damit Sie die Erlaubnis wieder erlangen. Ich bin gern bereit, als Jurist …«
»Dankschön, Herr Dokter, aber ’as Mitgehen am Pirschgang is genau a so scho schön, gar, wenn ma älter wird und bläder dazua.«
»Na, Sie doch net. Sie san doch das leibhaftige Leben, mit Ihre – wie alt san S’?«
»Zwoarasiebaz’ge bin g’wesen, vor etliche Wochen.«
»Na, also – mit zweiundsiebzig so vif beianand, des is doch a Gnade vom Herrgott.«
»Kann ma in Dankbarkeit sagen, ja.«
»Was ham S’ denn für an Verband um den Kopf? Is Ihnen was g’schehn?«
Es ist dem Kaspar nicht recht, dass man von seiner Verwundung erfährt. Und dem Senftl ist es schon gleich gar nicht genehm. Er hat zu langsam geschaut, als die Brandnerleut auf dem Platz erschienen sind. Als er sie verjagen hat wollen, hat der Hofadvokat schon mit dem Alten geredet, und er hat es sich nicht mehr getraut.
Nun muss er mit ansehen, wie der Senger den Alten zu den Großkopferten führt und berichtet, dass es unbemerkt zu einem gefährlichen Vorfall gekommen ist. Voll Ärger sieht er den Kobell, Graf Arco und den Reichenbach um den Brandner herumstehen und sich den Hergang erzählen lassen. Dann holt man gar noch den Prinzen dazu, den Gastgeber und Herrn der Jagd.
»Sie ham wirklich nicht g’sehn, wer’s gewesen sein könnt?«
»Tut mir Leid, Königliche Hoheit, nix.«
»Wer hat Sie denn in der Ohnmacht gefunden?«
»Der Florian Högg.«
»Geh, seids so gut, bittet’s mir den amal her. Vielleicht hat der wen erkannt. Wer war überhaupt droben platziert? Ist da nicht mein Jäger g’standen, der Haller? – Simmerl, kommen S’ doch amal her, bittschön!«
Sakradi, denkt der Senftl, jetzt kommt’s auf. Der Hundling, der Högg, wird’s verklagen, der Simmerl in seiner Blödheit bringt’s Herauslügen nicht z’amm, der Makel bleibt meiner Familie und mir. So ein Hundskopf, der Brandner! Nicht genug, dass er mir ein Wild weggeschossen hat, seinerzeit, jetzt macht er auf dem Wege des Mitleids sich gar noch Liebkind. Wer weiß, ob er denen nicht auch von dem Streit was erzählt, den wir gehabt ham –?
Prinz Carl besteht darauf, dass ein Medicus sich die Wunde besieht. Des Belgierkönigs Vertrauter, der sächsische Baron Christian von Stockmar, der Arzt war, ehe er sich der Geheimdiplomatie verschrieb, wickelt persönlich den Verband ab. Das Ohr blutet kaum mehr. Immerhin, kein Zweifel, das ging haarscharf am Tode vorbei. Sowas darf bei einer sauberen jagdlichen Ordnung nicht vorkommen. Der Florian Högg wird herbeigeführt und berichtet, dass der Brandner beim Erwachen etwas von einem schwarzen Kerl gefaselt hat.
Der Kobell flüstert ironisch zum Arco hinüber: »A ganz a Schwarzer? Uiui! War a Pfarrer dabei?«
»Wer sonst wär zuständig für die Schwelle zum Jenseits?«, grinst der leise zurück.