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packt ihn der Simmerl hart am Schlafittl und zieht ihn sich nah vors Gesicht:

      »Untersteh dich und sag des! Es is net erwiesen, dass des mei Schuss war! Wehe, du probierst es, dass d’ mich blamierst vor die Herrschaften, Bürschei!«

      »Guat«, grinst der Flori und schaut ihn treuherzig an. »Na lüg i was z’amm, und du tust es beichten, hernach.«

      Jetzt merkt es sogar der Simmerl, dass man ihn ausspottet, und löst den harten Griff an Floris Gewand, während er drohend erwidert:

      »Schau du nur drauf, dass du dei’ eigene Hoffart derbeichtst, und bekümmmer dich net um mein Seelenheil. Schieb ab!«

      Wenn zwei so junge Burschen einander nicht grün sind, ist meistens ein Weiberts dran schuld. Der Brandner weiß nur zu gut, wer es ist, sein eigenes Enkelkind nämlich, die Marei, die zusammen mit ihm das klein gewordene Anwesen bewirtschaftet.

      Sie kennt den Haller Simon schon, seit sie ein halbertes Kind war, weil der Simmerl sich immer beim Kaspar Rat geholt hat. Erst hat er sie wenig beachtet, aber dann, nachdem er sie auf Ostern beim Kirchgang im von der Mutter ererbten Sonntagsstaat sah, muss es ihn jählings erwischt haben. Von da an ist er weit öfter auf dem Brandnerschen Anwesen erschienen, als es nötig gewesen wäre.

      Im folgenden Herbst, zum Kirchtag, hat der Alte sie nach dem Amt zum ersten Mal mitgehen lassen ins Gasthaus zur Post, zum Feiern und Tanzen. Sie ist brav abseits auf der Bank an der Wand gesessen, wo die unverheirateten Töchter abwarten, bis einer sie holt, während die Eltern, die Erwachsenen, die Reichen und Ärmeren, mit ihren Frauen an der langen Festestafel im Saal hocken. Wer nur ein Dienstbot ist, hat überhaupt draußen zu bleiben. Die Ehhalten versammeln sich in der Schwemm oder lungern auf der Stiege herum, hoffend, dass sie jemand für wert hält, mit ihnen zu tanzen.

      Es hat damals kein Geriss gegeben ums Marei, überhaupt keines. Die Danzl Maria – so hieß sie nach ihren Eltern, der Kaspar ist der Vater von ihrer verstorbenen Mutter – war noch ein junges, mageres Ding. Eines zwar mit einem bildhübschen, frischen Gesicht, aber doch ›no net bacha‹, nicht fertig gebacken, sodass die Burschen sich lieber um die ausgewachsene Ware gekümmert haben.

      Da hat sie der Simmerl vom Hoffen und Warten erlöst. Er hat nur mit ihr getanzt und sie sogar an den Tisch zu den Erwachsenen und den Verheirateten gebracht. Das wurde allseits bemerkt, und fortan galten im Ort er und das Marei als ein sicheres Paar, mit dem man einverstanden sein konnte.

      Das Jahr darauf haben die Burschen das inzwischen nicht mehr magere, blühende Marei gar nicht erst aufgefordert, weil sie ihrer unbändigen Tanzlust ohnehin nur mit dem Haller oblag. Die Ratschweiber warteten schon, dass der Simmerl mit ihr zum Stuhlfest beim Pfarrer erscheint, zum Aufgebot. Hoffentlich, denn auf den Brandnerhof gehört eine Jugend. Der Kaspar ist viel zu alt. Er hätte schon längst übergeben an seinen Schwiegersohn und die Tochter. Da waren aber beide gestorben, und das Marei, ihr einziges Kind, wuchs bei dem Großvater auf.

      Seit zwei Jahrzehnten werkeln die beiden nun schon recht und schlecht. Einen Knecht oder eine Stalldirn konnten sie sich nicht leisten. Der Kaspar hat das Regieren nie richtig erlernt, weil ja sein ältester Bruder der Hoferbe gewesen wäre, und man hat ihn, den Jüngsten von dreien, das Schlosserhandwerk erlernen lassen, auf dass er später ein Auskommen habe. Er hat es gern ausgeübt und sich als Büchsenmacher schon in jungen Jahren bewährt.

      Da waren aber seine beiden Brüder im Tiroler Krieg gefallen, und er blieb allein übrig. Sein Vater hatte einen schweren Stand in den notigen Jahren nach den Napoleonkriegen, die Europa um und um gerührt und gänzlich verarmt hatten. Das Brandnersche Sach ging zurück, der Vater schon musste ein Trumm Land nach dem ändern veräußern, und der Kaspar war dann noch tiefer in die Schulden geraten.

      Nur ein geldiger Bauernsohn als Hochzeiter fürs Marei hätte die Rettung sein können, einer, der tüchtig zu arbeiten versteht. Der Simmerl aber, ein vierter Sohn aus der Gegend von Tölz, erbte nichts. Auch seine Leut krebsten nur so schlecht und recht, wie die meisten in diesen Jahren. Er verstand was von Jägerei und von Forstarbeit, aber wenig vom Bauernberuf. Darum tat er beim Kaspar den Mund wegen einer Heirat gar nicht erst auf. So auskömmlich sein Sold beim Prinzen für ihn allein war, zur Rettung des Brandnerschen Erbes langte es auf keine Weiten.

      Er kam auf Besuch, saß in der Stube herum, half da und dort bei der Arbeit und gewöhnte sich dem Marei gegenüber eine besitzergreifende Art an, die den Kaspar mehr und mehr ärgerte. Er tat, als sei sie sein Eigentum, bewachte sie und ließ keinen anderen Burschen in ihre Nähe. Weil er sie niemals hitzig bedrängte und das Marei ihn so hinnahm, wie er war, mischte der Kaspar sich weiter nicht ein. Es war recht, wenn er da war, aber wenn er nicht kam, war es auch gut.

      Dann aber, und das lag erst ein paar Wochen zurück, lief dem Marei der Florian Högg über den Weg, und alles war anders als vordem.

      Der Simmerl schaut dem lachend zu Tal laufenden Flori hinterher: »Frecher Kerle. Den nimm i nimmer zu die Treiber, wenn er so frech ist.«

      »Er is a braver Bua, tu ihm net unrecht«, hält der Brandner dawider und spielt weiter den schwindligen Kranken. Der Simmerl hilft ihm vorsichtig auf, hebt ihn, setzt ihn sacht auf einen Baumstumpf, rückt und drückt ihm seinen alten Hut so über den verbundenen Kopf, dass nur noch ein schmaler Streifen weißen Leinens am Ohr hervorschaut.

      »So siecht ma nix mehr – und dei’m Enkelkind sagst einfach, du hast dich g’rissen an am Ast im Unterholz, verstanden?«

      Der Kaspar schaut forschend, denn da ist wieder der Ton von Anspruch und Anordnung:

      »Is dir des gar a so wichtig, was ’s Marei von dir denkt?«

      »Frag net so dalkert!«

      Der Simmerl geniert sich, seine Empfindung verraten zu haben. Er ist froh, dass sich darüber kein Disputieren ergeben kann, weil von unten das Hornsignal ›Sammeln für Jäger und Treiben‹ ertönt. Er packt seinen Rucksack und das Gewehr:

      »Komm, steh jetzt auf, wir müssen ’nunter zur G’sellschaft.«

      »Wir zwei? Mitanand? Dass ma fragt, was du g’macht hast mit mir?«

      »Was hab i denn g’macht, nix hab i g’macht, Herrschaftszeitn! G’funden hab i di, verbunden hab i di – komm, steh jetzt auf!«

      Er schreit, weil sein Gewissen ihn zwickt ob seines Schießens. Sein grobes Betragen spornt den Kaspar erst recht an, ihn zur Strafe weiter zu tratzen. Er wackelt den Kopf, klappert recht hilflos die Augendeckel und haucht:

      »I kann leider net aufstehen. Der Schwindel, verstehst. Du müssertst mich tragen.«

      »Tragen??!«

      »Am Buckel, freundlicherweise, bis abi –«

      »Tragen? Mich blamieren vor alle die Leut, wenn ich daherkomm, mit dir huckepack? … Mann Gottes, mach mi net narrisch!«

      »Wennst mich so anschreist, krieg ich völlig ’as Zittern«, klagt der Kaspar und sinkt tragisch in sich zusammen. Das wirft den Jäger nun vollends aus dem Gleis.

      »Du, i lass dich da liegen«, droht er.

      »Des machert beim Marei fei einen mäßigen Eindruck. Solltest dich schon derbarmen –«

      Weil der alte Hallodri gar so jammervoll dreinschaut und Miene macht, demütig bittend die alten Hände zu heben, kann der Simmerl nicht anders:

      »Alsdann, von mir aus – hopp!«

      Das Manöver des Aufsteigens erweist sich als schwierig. Der Kaspar kriecht schlenkernd und wackelnd auf den dargebotenen gekrümmten Buckel hinauf und schlingt die Arme derart fest um den Hals des Helfers, auf dass er nicht hinunterrutsche, dass er dem Simmerl den Adamsapfel zusammenquetscht und der nur röcheln kann:

      »Derwürgen brauchst mi fei net!«

      Der Söllmann, verwirrt von dem ungewöhnlichen Vorgang, beginnt warnend zu bellen. Der Simmerl hat nun den Alten im Genick. Der macht sich schwer und lässt seine Beine von rückwärts her gegen die Haxen des Lastträgers schlagen. Der Simmerl muss sich noch einmal bücken, um sein Gewehr und

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