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dem Leben …

      »Geh, Boanlkramer, sei net a so! Ich bin doch so g’sund wie der Fisch drin im Wasser. Sag selber, schau’n so die grablaufenden Leut aus, die du holst ansonsten?«

      Grinst der Schwarze? Der Brandner kann es nicht recht erkennen, denn dieses Gesicht ist wie hinter einem schwarzen Schleier verborgen. Nur dann und wann brennt ein stechender Blick heraus, oder ein amüsierter, wie jetzt grad, als der Besucher kichert: »Naa naa, da hast Recht, die mehrern san siech und lägrig.«

      »Und zaundürr und klappert, dass ma d’ Verwandtschaft zu dir gleich erkennt«, versucht der Brandner zu scherzen.

      Der Bote schüttelt bedeutsam den Kopf: »Manch andere aber, schau, die sind wie du noch voll Leben, und dennoch ist es ihnen unwidersprüchlich ehern aufgesetzet.«

      Ich darf ihm nicht zeigen, wie es mir graust, denkt der Brandner. Er mag es, scheint’s, wenn man sich nicht vor ihm fürchtet und lustig redet mit ihm, auf dass er noch einen G’spaß draufsetzen kann, und so ruft er und versucht ein Lachen dabei:

      »Ja, wenn ’s rauschig san und heimzu wackeln, bei der finsteren Nacht!« Und wirklich kräht der Schwarze vergnügt: »Akkrat a so ist es! Wenn s’ da singen und hupfen, dann tun sie blindlings den falschen Schritt! Und ich – ich muss ihrer warten!«

      Und schon ist sein Lachen wieder aus und vorbei. Todernst starrt er zum Brandner herüber. Der denkt sich, wenn ich ihn anbrüll, ist es vielleicht besser, und fetzt hinterher:

      »No, und ich? Hab ich an Rausch? He? Da schau her – die ganze Flaschn Kerschgeist saufert ich aus und stehert danach noch allerweil kerzengrad aufrecht, als wie a alter Baum steht!«

      Zum Beweis reißt er den Korken heraus und tut einen tiefen Zug. Der Boanlkramer schaut zu, lächelt milde, und raunt feierlich, seltsam und still:

      »Nur zu! – ’leicht ist es dir aufgesetzet, dass da draus a Schlagerl wurert – und dass sie dir stehen bleibert, die Uhr.«

      Die Uhr?

      Der Brandner setzt in Verwirrnis die Flasche zurück auf den Tisch und weiß nicht, was tun. War das eine Drohung? Gäb es das wirklich, die Lebensuhr anhalten, wie es heißt in der Redensart? Was hat er vor, der ungebetene Gast?

      Der weist mit dem Finger bedeutsam hinüber zur Wanduhr, deren unbeirrbares Hacken nicht mehr alles durchdringt, sondern die unbekümmert wie sonst ihren Gang geht. Will er am End mit dem knochigen Finger den Perpendikel berühren, auf dass sie ihm still steht? Sie, deren Ticken und Schlagen den Kaspar von Kindstagen an durchs Leben geleitet, war sie nicht wie ein Herzschlag der Zeit, wie der Puls des Verrinnens? War sie jemals stehen geblieben? Nein. Nicht in der Todesstunde des Vaters und nicht, als die Mutter verschied. Der Schwarze wendet sich um und scheint hinüber zur Uhr gleiten zu wollen, in seiner seltsam schwebenden Art. Was mach ich? Gegen den hilft mir keine Gewalt, ich kann doch nicht raufen mit ihm, denkt der Kaspar, und schon schreit er, ohne sich lange besonnen zu haben:

      »Geh, lass doch den Schmarrn! Überhaupts, g’scheiter als die ganze Rederei da waar’s, wenn du mittrinkertst!« – und streckt ihm die Flasche entgegen.

      Das reißt den Boanlkramer herum. Es schaut aus, als würde er auf den Schlag ein Stück kleiner. Er rutscht an den Tisch, starrt die Flasche an und sagt, gar nicht mehr feierlich jenseitig, sondern ganz nah und wahr und skurril:

      »I? – An Schnaps?«

      Oha, schießt es dem Brandner ein, des verfängt! Er hält ihm die Flasche grinsend unter die Nase:

      »Elendig und sper, wiest du bist, taat dir a Glasl gwiss gut.«

      Der Seltsame scheint sich kaum fassen zu können vor Staunen und Unglauben und gackst nur heraus:

      »Du meinst … dass i sollt … dass i derfert?«

      »I trink net gern allein. Pass auf, mir mach ma ’s uns kommod, wie es sich g’hört für so an besonderen Gast!«

      Mit einem Griff holt er aus dem Wandkastl hinter sich zwei Glasln heraus und schenkt sie eilends so voll, dass sie überlaufen: »Alleinig trinken nur solche, die’s Leben vergessen möchten – und des könnt keiner mir nachsagen. Da! – Wohl bekomm’s!«

      Der Boanlkramer glotzt in Sprachlosigkeit auf das Glasl. Dann räuspert er sich und murmelt: »Des hat mir keiner noch ’boten, und viel is mir schon g’schehn«, beugt sich hinab und schnuppert in Vorsicht:

      »Des is gwiss ganz a milder, gell?«

      »A guater is es, a starker. Probier nur!«

      Der Kaspar hebt sein Stamperl und wartet gespannt. Wie sehr sein Gast aus der Fassung ist, kann er gut sehen, denn der rutscht hin und rutscht her, schnauft, hebt und senkt seinen Schädel und schmatzt lüstern. Dann aber, auf einmal, wendet er sich brüsk ab und knautscht, als habe man ihn beleidigt:

      »Naa naa, nix, und des geht amal net.«

      »Warum net? Traust du di eppa net?«

      »Geh – trau’n! Es is net ums Trau’n. Warum sollt ich mich net trau’n?« Er schnauft, und er wackelt erneut. Er schaut, er schnuppert und hüstelt: »Es is bloß an dem: Ich weiß grad net so genau, ob des gern g’sehn wurert«, und schickt einen raschen Blick auf gen Himmel.

      Nun ist es am Brandner, sanft und verführend zu säuseln:

      »Schau, du musst doch kennen lernen, von was für Seligkeiten du die Leut wegholst. Trau di nur, glaub mir, du wirst ’s nicht bereuen!«

      Das verfängt nicht. Der Boanlkramer raunzt lediglich barsch zurück: »Geh – ›Seligkeiten‹, du waarst guat. Irdische Freuden san des, allenfalls, vergängliche! Seligkeiten, mein Lieber, Seligkeiten san was ganz was anderes, aber scho ganz. Des san …«

      Er unterbricht seine Predigt. Während er sie erteilte, war er mit dem dürren Finger dem Glasl zu nahe gekommen und hatte in die Lackn aus übergeronnenem Schnaps hineingetappt. Er erstarrt und verstummt, führt den Finger zum Mund, leckt zaghaft daran und meint sogleich ehrfurchtsvoll:

      »Schmecka taat er, scheint mir, guat!«

      Der Brandner grinst: »No, auf was wartest denn dann noch?!«, und macht Miene, mit ihm anzustoßen. Das bricht das lange Sich-Widersetzen, und mit einem scheinheiligen: »No, wennst mich zwingst, und wenn ich dir damit einen Gefallen erweis – «, nimmt er endlich das Glasl zwischen seine dürren Finger und trinkt einen winzigen Schluck.

      Im nächsten Augenblick reißt ihn ein Husterer halb von der Bank. Er hat sich verkutzt, schluckt, schnauft, pfaunzt und pfutschert und schielt dabei ängstlich gen Himmel, als erwarte er von dort einen Blitzstrahl und ein schreckliches Donnerwetter.

      Der Brandner ruft: »Bravo«, und schenkt augenblicks nach: »Nur zua! Des macht unsern Diskursi glei leichter, wirst es sehn!«

      Das tröstet den Boanlkramer offenbar, denn er greift beherzt nach dem wieder gefüllten Stamperl und salbadert dazu: »Dann ist es gut, denn alles, was dir’s Ja-Sagen leichter macht, soll gerne geschehn. Weil Ja-Sagen muaßt, es is dir so aufgesetzet – verstehst mich?«, und schüttet den zweiten Kerschgeist in einem Schwapp hinunter.

      ›Aufgesetzet.‹

      Da ist es erneut, das feierliche Wort, das der Herr Pfarrer nicht öfter als zweimal im Jahr ausspricht. Waren dem Menschen sein Schicksal und sein schließliches Ende denn wahrhaftig lediglich aufgesetzet? Konnte er sein Leben nicht selber schmieden, durch die Vernunft und die Mäßigkeit und den Glauben?

      Der will mich einschüchtern und durchanand bringen, denkt der Kaspar, ist auf der Hut und trinkt nicht vom Kerschgeist, sondern tut nur, als trinke er mit.

      Er schenkt allsogleich nach und überlegt fiebernd, wie er den ungebetensten aller Gäste hinausexpedieren kann. Er muss auf eine Gelegenheit passen, denn für einen solchen Hinausschmiss gibt’s kein Rezept und kein Vorbild. Einstweilen hockt er ja friedfertig da und säuft wie ein Loch. Der Kerschgeist verschafft ihm sichtbar ein ruhiges Behagen. Er trinkt aus, und gleich darauf noch einmal. Dann macht es aus ihm:

      »Hick!«

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