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die Kommunikation und Sachaneignung im ausserschulischen Alltag von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren dominieren und die entsprechenden Medienkompetenzen (vom E-Mailen über Googeln, Twittern, Chatten, Bloggen, Simsen bis zum Nutzen sozialer Netzwerke wie Facebook, MySpace, SchülerVZ usw.) ausserschulisch, meist in Peer-Groups eingebettet, selbstgesteuert und mit informellem Lernen erworben worden sind. Immerhin haben gemäss BITKOM-Studie die 16- bis 18-Jährigen, das heisst die nach 1980 geborenen Digital Natives mit Internetzugang selbstorganisiert und ausserhalb eines Schulfaches eine beachtliche Medienkompetenz erworben: Ins Internet gehen 97 %, E-Mails versenden 98 %, Textdokumente erstellen und bearbeiten 95 %, Fotos bearbeiten 89 %, Präsentationen erstellen und bearbeiten 89 %, CDs/DVDs brennen 88 %, Tabellen erstellen und bearbeiten 88 %, Lernprogramme nutzen 83 %. Demgegenüber betonen Lehrplanreformer und Interessenvertreterinnen von IT-Firmen sowie von Hochschulinstituten, wie wichtig es sei, Informatik als »Leitwissenschaft« zu respektieren – und als Pflichtfach in die Primarschule (ICT-Kompetenzen, Programmieren), in der Sekundarstufe I (Umgang mit Computer, Vertiefen der ICT-Kompetenzen) und Mittelschulen (Computational Thinking, algorithmisches Denken, Verzahnung mit naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern) einzuführen bzw. im Lehrplan 21, im Plan d’études romand, im Harmos-Projekt und in Gymnasien zu integrieren.3

      Ein drittes Spannungsfeld bzw. ein Widerspruch in der Wahrnehmung ist darin zu finden, dass die »Chancen« oft einseitig dem schulischen Lernangebot,4 hingegen die »Gefahren« (Cybermobbing, Cyberbullying, Sexting, Happy Slapping, Ego-Shooter-Spiele, Urherberrechtsverletzungen, Selbstentblössung und Privatsphärenverlust im Facebook, Computersucht … bis Schulamoklauf) der privaten, ausserschulischen, von Eltern und Schule unkontrollierten Internet- und Mediennutzung zuzurechnen seien.5

      Einleitendes Fazit: Wer sich heutzutage im Bildungsbereich mit Internet- und Informatikfragen auseinandersetzt, bewegt sich zwischen Skylla und Charibdis, das heisst im Spannungsfeld von Ignoranz und Überschätzung, der entgegenzutreten ist: Weder lässt sich eine moderne und lebensnahe Bildung ganz ohne Computer vermitteln oder erwerben, noch lässt sich alles im Internet oder bei Wikipedia finden. Dazu ein Beispiel:

      Früher mussten wir als Grundschülerin oder -schüler durch das ganze Dorf laufen, das Dorf mit Holzklötzen darstellen, davon einen Plan zeichnen und diesen mit dem Dorfplan 1:10 000 vergleichen. Heute, so gibt Gunter Dueck zu bedenken, müssten wir nach der »digitalen Revolution im Bildungswesen« überlegen, ob wir dies nicht besser im Netz und mit Computer, das heisst mit Google Earth, mit Google Street View und mit »Rallyes per Navi im Smartphone« erreichen.6

      Das eine ist nicht durch das andere zu ersetzen. Wer das Verständnis für den Dorfplan erwandert und handelnd aufbaut, lernt bewegt und körpernah, transformiert sein Wissen vom enaktiven in den ikonischen und symbolischen Repräsentationsmodus, baut im Marschieren sein Raum-, Distanz- und Zeitbewusstsein auf und integriert neuronal seine Form-, seine Farb-, Geruchs- und Gehöreindrücke zu jener Ganzheit, die er sein Leben lang als »mein Dorf« bezeichnen wird. Und damit ist die Grundlage für digitale Formen der geografischen Orientierung gelegt, die uns beispielsweise Google Earth, Street View und Navigation im Smartphone anbieten. Damit erfahren Lernende allerdings eine Dimension virtueller Realität, die neue Handlungs- und Orientierungsmöglichkeiten schafft, indem beispielsweise zwischen kartografischer und Strassensicht hin und her geschaltet wird oder Zusatzinformationen zu Bewohnerinnen und Bewohnern und Umgebung abgerufen werden können.

      Wenn wir Bildung in diesem Sinne als Konstruktions- und Integrationsprozess verstehen, lassen sich die im vorliegenden Buch geschilderten Phänomene, Beispiele, Fälle und Probleme in einem relativ konsistenten Modell der »digitalen Didaktik« mittlerer Reichweite – in Ergänzung zu umfangreicheren professionellen Konzepten und zu praxisnahen Handreichungen – einordnen und fruchtbar machen.7

      In pragmatischer Hinsicht begegnen uns im Kontext des medialen Alltags und der dargelegten »Chancen und Gefahren« digitale bzw. informatik- und internetbezogene Phänomene, Erfahrungen, Fälle, Probleme, Projekte und Systeme. Daraus ergeben sich folgende Lehr-Lern-Formen, die sich konzentrisch um das selbstorganisierte sowie angeleitete Lernen anordnen lassen: Exemplarisches Lernen – Erfahrungslernen – fallbasiertes Lernen – problemorientiertes Lernen – Projektlernen – Systematiklernen. Diese Lehr-Lern-Formen knüpfen an die klassischen Modelle und Theorien der Didaktik an, und sie sind sowohl in digitalen Kontexten schulischer Lernangebote als auch im ausserschulischen, informellen und selbstorganisierten Lernen zu finden.8 Sie stehen in einem inneren Zusammenhang und sind so angelegt, dass sie das Potenzial haben, kontextübergreifend wirksam zu werden: Es kann durchaus vorkommen, dass Lernende beispielsweise aus der Presse von einem Fall (z. B. Wikileaks) hören, auf den sie sich gruppenweise einlassen. Im weiteren Verlauf von Recherchen und Suchprozessen beginnen sie digitale Phänomene (z. B. der Rechtmässigkeit, der Quellenqualität) zu klären, dabei technologisches Handlungswissen zu erweitern –, um schliesslich beim Problemlösen und Bearbeiten eines eigenen Projekts zu landen.

      Die digitalen Lehr- und Lern-Formen bewirken in der Regel eine Durchmischung der traditionellen Lehrpersonen- und Schülerinnenrollen. In manchen Bereichen und digitalen Handlungsfeldern sind die Lernenden den Lehrenden oft insofern überlegen, als sie ausserschulisch »skills« aufgebaut, das heisst digitale Fertigkeiten und Kenntnisse erworben haben, über die die »Digital Immigrants« (noch) nicht verfügen. Lehrende werden vorübergehend zu Lernenden. Andererseits verfügen Lehrpersonen meistens über hoch strukturiertes und tiefes Hintergrund- und Bildungswissen, über Sichtweisen und Fragestellungen, die auch gut informierten und hoch vernetzten Schülerinnen und Schülern hilfreich sein können. Die hier darzustellenden Lehr- und Lern-Formen sind insofern Indikatoren des geistigen Austauschs und der lebenslangen Bildung.

      Obschon es inhaltlich manche Überschneidungen geben mag, lassen sich die im Buch erläuterten Inhalte zu einem lernprozessbezogenen, offenen und digitalen Curriculum zuordnen, wie die folgenden Beispiele belegen mögen.

      (1) Das exemplarische Lehren und Lernen bezieht Phänomene wie die folgenden ein bzw. geht sowohl im ausserschulisch-informellen Lernen als auch im Unterricht von Phänomenen aus, die zu klären sind: analog-digital/Digitalisierung – Hypertext – Cyberspace – Web 2.0 – Handy – SMS – MMS – Blog – Chatten – Tool – Apps – Websites – Twitter – Wiki/Wikipedia – virtuelle Welten – Avatar – Open Source – iPhone/iPod/iPad – Cloud – Plattform – Facebook – Nicknamen – YouTube – Google usw.9 Selbstverständlich sind diese und weitere Begriffe nicht nur semantisch zu erklären, sondern handelnd, das heisst im Gebrauchszusammenhang (beispielweise des »mobilen Lernens« mit iPhone) zu klären.10

      (2) Das Erfahrungslernen geht von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen der Internetnutzerinnen und -nutzer aus, die zu schildern, auszutauschen, zu diskutieren und zu reflektieren sind. Genau genommen, ist alles Lernen dem subjektiven Zugang und der individuellen Konstruktion unterworfen: Jeder lernt mit seinem Kopf und bedient iPhone, iPad und PC mehr oder weniger geschickt mit seinen Händen, realisiert die Chancen des Internets selbst und erfährt die Schattenseiten am eigenen Leibe (z. B. Cybermobbing). Erfahrungsberichte wie die folgenden lassen sich in Beratungssituationen, in Kleingruppen, in Peer-Groups, in Communities und sozialen Netzwerken oder im modularen Unterricht über entsprechend definierte Plattformen austauschen und bearbeiten.

      Die 16-jährige Sandra berichtet, wie sie dauernd von »komischen Leuten« per SMS und E-Mail angesprochen, zum Chatten oder zu Offline-Treffen eingeladen wird. Sie ist einigermassen ratlos und weiss vor allem nicht, wie die Leute an ihre Handynummer, an ihre Internet- und Wohnadresse kommen.

      Das Erfahrungslernen hat gewissermassen eine passive und eine aktive Seite. Die passive Seite betrifft all das, was uns im Zusammenhang mit Aktivitäten im digitalen Raum begegnet und widerfährt: Man ist beispielsweise einem Cybermobbing ausgesetzt, der PC »stürzt ab«, der Akku ist leer usw. Auf der andern Seite gibt es ein weitreichendes Handlungsfeld, das von »literacies«, das heisst von »skills« bzw. Fähigkeiten und Fertigkeiten besetzt ist und das derzeit unter verschiedenen Titeln diskutiert wird: new literacy, digital literacy, internet literacy, media literacy bzw. Medienkompetenzen, ICT-Anwendungen, Informations- und Internetkompetenzen usw. Im Prinzip geht es um die Fähigkeiten, die es braucht, um digitale Technologien und

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