Скачать книгу

Alltagsroutine hinwegtröstet.

      Tatsächlich wird in diesen Momenten ein kurzes Aufbrechen unserer Routine erzeugt und wir spüren wieder Intensität, ohne uns aber der Präsenz bewusst zu sein. Wir sind viel zu sehr mit den spektakulären Erfahrungen, dem gewaltvollen Film oder dem Karussell beschäftigt, die diese Intensität vermitteln. So werden wir weiterhin auf die falsche Fährte gelockt. Wir suchen nach Intensität und Präsenz in der Dramatik von äußeren Erfahrungen und können die eigentliche Quelle für Sinn, die im schlichten Aufmerksamsein liegt, nicht entdecken.

      Wie viel schlichter und doch lebendiger könnte doch unser Leben verlaufen, wenn wir Zugang zu Präsenz hätten. Menschen, die diese Intensität als innere Quelle kennen, fühlen sich nicht mehr so angezogen von spektakulären Ereignissen. Oft meiden sie diese sogar. Wer die Schlichtheit und Intensität von Präsenz kennt, fühlt sich eher abgelenkt und belastet durch laute äußere Sinnesreize.

      Für diese Menschen sind die Routine und Gewohnheit des Lebens, welche sie von der Intensität trennt, kein wirkliches Problem. Im Gegenteil. Wer den direkten Zugang zu Präsenz kennt, kann die Dynamik der Gewohnheit sogar nutzen. Je stärker ein Handlungsablauf zur Gewohnheit geworden ist, desto weniger ist unser Aufmerksamsein durch das äußere Geschehen gebunden. Es ist damit frei, sich auf anderes zu richten. Das führt bei den meisten Menschen dazu, dass ihre Aufmerksamkeit ermüdet und sie gedankenverloren und gelangweilt sind. Wir könnten jedoch genauso diese Momente der Freiheit dazu nutzen, um tiefer ins Lauschen einzutauchen und uns in der Präsenz zu verankern.

      Das ist wie beim Autofahren. In der Fahrschule sind wir noch völlig von den Handlungsabläufen – Kuppeln, Schalten, Lenken – vereinnahmt. Wir haben nur wenig Aufmerksamkeit zur Verfügung für die Situation auf der Straße, geschweige denn für anderes. Doch wenn die Handlungsabläufe beim Fahren zur Routine geworden sind, brauchen wir dafür nur noch einen kleinen Teil unserer Aufmerksamkeit. Dadurch können wir viel besser auf die Straße achten und gewinnen einen ganz anderen Überblick beim Fahren oder wir können nebenbei noch ein Gespräch führen. Eine neue Freiheit ist entstanden.

      Routine gibt uns die Freiheit, uns mit Wesentlichem zu beschäftigen. Nur noch ein kleiner Teil unserer Aufmerksamkeit wird dann durch das jeweilige Geschehen beansprucht. Unsere Hauptaufmerksamkeit kann in der Präsenz verankert sein. Auf diese Weise kann die Routine unseres Lebens sogar einen Freiraum bieten, mitten im Alltag das SEIN zu kosten.

      Experimentiere:

      Experimentiere mit alltäglichen Routinehandlungen: Binde dich zuerst an Präsenz an und lass deine Hauptaufmerksamkeit während der ganzen Tätigkeit in der Präsenz verankert.

      Präsenz ist erfüllend und gibt Sinn. Sie ist eine innere Kraftquelle, die immer sprudeln kann, wenn wir ihr Aufmerksamkeit schenken. Sie nährt uns einerseits, sie kann aber auch inspirieren und die Quelle für schöpferische Ideen und kreatives Handeln sein. Viele bedeutende Kunstwerke und Visionen sind aus Momenten von schlichter Präsenz hervorgegangen.

      Kreativität ist keine Folge aus erworbenem Wissen oder logischem Nachdenken. Kreativität ist mehr als Logik. Hier wirkt eine andere Intelligenz – die Intelligenz des SEINS. Diese kann sich erst entfalten, wenn wir gewohnte Denkbahnen verlassen und den Raum des Nicht-Wissens aufsuchen. Mit anderen Worten, auf einen Schöpfungsakt können wir uns dadurch am besten vorbereiten, indem wir uns leer machen. Wir verlassen die Perspektive des Denkens und des Wissens und lauschen auf das Nichts. Wir öffnen uns damit für die Weisheit der Präsenz.

      Man könnte annehmen, dass, wenn wir dem Nichts lauschen, dann auch nichts weiter geschieht. „Von nichts kommt nichts“, heißt es im Volksmund. Dieser Spruch stimmt für die Alltagswirklichkeit. Zum Beispiel muss ein Handwerker erst sein Handwerk gelernt haben, damit er es ausüben kann. Seine „Kunst“ entsteht aus Wissen und Fertigkeiten. Aber wenn es uns um seelische Inspiration geht oder einen wirklichen kreativen Schöpfungsakt, stimmt diese Volksweisheit nicht. Im Gegenteil. Aus der spirituellen Perspektive müsste der Spruch ganz anders lauten, nämlich „Von nichts kommt alles“. Aus dem unbedingten, ungeformten, nichtsubstanziellen Feld des SEINS geht jegliche Erscheinung hervor. Und nur wenn wir uns öffnen für das SEIN, geschieht ein Schöpfungsakt, eine Inspiration, die über das Gewohnte hinausweist.

      Dieser Vorgang findet sich auch sprachlich in dem Wort „Einfall“ wieder. Bei einem Einfall erzeugen nicht wir den Gedanken, sondern er fällt uns zu. Es ist ein Akt des Sich-Öffnens, des Empfangens und kein Akt des Wollens oder des Könnens. Alles, was dazu nötig ist, ist unsere Bereitschaft, eine Haltung des aufmerksamen Offenseins fürs Unbekannte einzunehmen.

      Stellen wir uns ein Haus vor. Wenn jemand hereinkommen soll, müssen wir Fenster und Türen offen halten und nicht versuchen, die Besucher als Feinde zu betrachten. Erst dann kann das Neue – das Unbekannte – in uns Raum einnehmen und uns inspirieren. Das bedeutet jedoch auch, dass uns das Neue erweitern und verändern wird. Ein Schöpfungsakt ist eine Begegnung, die uns verändert. Nach einer Begegnung sind wir ein anderer. Wir sind über die alte Form und über das gewohnte Denken hinausgewachsen und gleichzeitig inspiriert durch das Neue.

      Dieser Vorgang kann dem Ego jedoch Angst machen. Das Ego identifiziert sich mit dem Bekannten und hält daran fest. Das Neue verspricht Veränderung und daher Unsicherheit. Deswegen verschließen wir zunächst oft die Tür und versuchen in gewohntem und vertrautem Terrain zu bleiben. Selbst wenn wir dadurch nicht zu einer wirklichen Lösung kommen, kreisen unsere Gedanken immer und immer wieder in den gleichen Bahnen. Oft kreisen wir lange vergebens, bis wir endlich aus Einsicht oder Erschöpfung unsere Tür öffnen.

      Dazu ist nichts weiter nötig, als aus dem Denken und dem Wollen herauszutreten, und auf das SEIN zu lauschen. Das gelingt nur, wenn wir eine Haltung der Absichtslosigkeit einnehmen, denn Präsenz selbst ist absichtslos. Je tiefer wir uns fürs SEIN öffnen und je stärker Präsenz in uns auftaucht, desto weiter sind unsere Tore geöffnet für einen schöpferischen Einfall, der außerhalb unseres Denkens liegt.

      Jetzt braucht es nur noch das Vertrauen und manchmal den Mut, dieser Inspiration zu folgen und ihr Gestalt zu geben. Das kann in Form eines Kunstwerkes, eines Projektes oder eines Lebensweges geschehen. Im Vollzug und der Gestaltwerdung der Eingebung werden wir eine tiefe Befriedigung erfahren, da wir ganz innenzentriert handeln. Wir folgen dann keinem äußeren Anspruch und keiner abhängigen Suche nach Anerkennung. Die Gestaltwerdung durch eine Eingebung ist ein ähnlich natürlicher Vorgang wie das Erblühen einer Blume. Sie ist vollkommen in Einklang mit dem SEIN und nicht gefärbt von unseren begrenzten Vorstellungen.

      Experimentiere:

      Wenn du nach einer kreativen Lösung eines Problems suchst oder wenn du künstlerisch tätig werden willst, lass alle Ideen darüber los und geh ganz ins Lauschen.

      Verweile im Lauschen, bis eine Inspiration erfolgt. Lass sie Gestalt werden…

      Kunstwerke und Projekte, die aus dem Einklang mit dem SEIN entstehen, entfalten eine große Kraft, die wiederum andere Menschen inspirieren kann. Manchmal können einzelne Menschen aus einer tiefen Inspiration heraus eine Bewegung anstoßen, die weit über ihre Person und sogar weit über ihr Leben hinausreicht. Man denke an die großen Religionsgründer.

      Entscheidend ist hier sicherlich nicht, wie spektakulär eine Idee ist oder wie viel Werbung für eine Idee gemacht wird, sondern wie tief ein Mensch in seiner Inspiration gegründet ist. Wenn eine Person von einer Vision beseelt ist, handelt sie aus einer inneren Anbindung. Das macht die Person sehr unabhängig von äußeren Meinungen und Widrigkeiten, die auf jedem Weg geschehen.

      So entfaltet sich langsam, aber unbeirrbar eine Wirkung, vergleichbar mit dem langsamen, aber kontinuierlichen Wachstum von Bäumen. Auch wenn mancher Sturm über einen Baum hinwegzieht und mancher harte Winter oder trockene Sommer kommt, er wächst unbeirrt weiter. In seinem Wachstum schaut er nicht auf äußere Umstände, sondern nur auf die lebensspendende Kraft, die sich in ihm ausdrücken will. Er ist vollkommen innenzentriert. So wirkt er im Laufe seines Lebens auf vielfältige Weise weit über sein begrenztes Dasein als Baum hinaus. Gelingt es uns,

Скачать книгу