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des Lebens, die uns immer offensteht. Doch dass sie für uns zur Lebenswirklichkeit wird, ein ruhender tragender Pol im Auf und Ab des Lebens, hängt davon ab, wie viel Liebe und Hingabe in uns für das Nichts entsteht. Menschen, die eine tiefe Liebe zum Nichts entwickeln, werden sich auf eine natürliche Weise immer wieder danach sehnen und darauf ausrichten.

      Das ist nicht anders bei einer Liebesbeziehung zwischen Menschen. Eine Person, die wir lieben, suchen wir. Wir spüren förmlich einen Sog von ihr ausgehen und wir wollen sie kennenlernen und ihr nahe sein. Liebe richtet unsere Aufmerksamkeit auf eine natürliche Weise auf den oder das Geliebte aus. Lieben wir das Nichts und die Stille darin, ist uns das SEIN nah.

      Reflektiere:

      Welche Beziehung hast du zur Leere?

      Welche Momente von Leere kennst du, die du liebst?

      Experimentiere:

      Lausche auf die Stille zwischen den Geräuschen.

      Konzentriere dich auf die Pause zwischen Ausatmen und Einatmen und spüre den Frieden darin und die Präsenz.

      Achte auf Gedankenpausen und genieße den Raum darin.

      Wenn wir über den Zugang des Schauens ins Nichts das SEIN aufsuchen, haben wir manchmal den Eindruck, dass SEIN eine Dimension jenseits der normalen Erfahrungen und der Erscheinungen der Welt ist. Aber SEIN ist umfassend und schließt nichts aus. Besonders deutlich wird das in der Metapher von Welle und Wasser. Wie auch immer Wasser in Erscheinung tritt, als Welle, Bach, See oder Wolke, es ist und bleibt formloses Wasser. Und so ist jede Erscheinung, jede Erfahrung und jede Handlung im Grunde durchdrungen von SEIN. Nur weil wir Menschen in der Regel immer sehr fokussiert auf die Oberflächendimension der Phänomene schauen, erfassen wir das Ganze, die grundlegende Dimension des SEINs darin nicht.

      Wenn wir das Umfassende am SEIN erfahren wollen, ist es daher hilfreich, einen anderen Zugang zu wählen: Wir schauen dabei auf die Totalität, auf die Ganzheit der augenblicklichen Erfahrung. Auch das ist kein Tun, sondern nur eine besondere Art der Aufmerksamkeit, bei der wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit ganz weit lassen.

      Wir öffnen zum Beispiel die Augen und schauen mit einem „weichen Blick“. Dabei wird zwar das Sehen unscharf, aber wir erfassen das ganze Sichtfeld. Unser Schauen wird umfassend. Oder wir hören nicht mehr fokussiert auf die einzelnen Geräusche und deren Bedeutung, sondern auf die Ganzheit der Geräusche ohne Verstehen und ohne die üblichen Zuordnungen. Wir fühlen uns dabei vielleicht wie ein kleines Kind, das sich zutiefst sicher und geborgen fühlt, wenn es die Stimmen und Geräusche der Eltern im Hintergrund als Gemurmel hört. Der Inhalt der Worte hat keinerlei Bedeutung dabei. Oder wir spüren die Gesamtheit unserer augenblicklichen Körperempfindungen, ohne genauer zu differenzieren, welche Empfindung wohin gehört.

      Das Prinzip ist immer das Gleiche. Wir sind auf eine unscharfe, unfokussierte Weise aufmerksam und erfassen die Ganzheit der augenblicklichen Wahrnehmungen. Je tiefer wir in die Wahrnehmung der Totalität des augenblicklichen Erlebens eintauchen und je vollständiger unsere Aufmerksamkeit dabei ist, desto mehr verschwinden alle Differenzierungen und damit auch alle Trennungen, die unser Verstand in der Alltagswahrnehmung erzeugt. Es bleibt ein einheitliches dichtes Feld von SEIN, das alle Wahrnehmungen einschließt. Präsenz wird hier in einer umfassenden Dimension erfahren.

      Experimentiere:

      Gehe in der Natur spazieren und schaue dabei mit einem „weichen Blick“.

      Nimm dir Augenblicke, in denen du auf die Gesamtheit deiner Wahrnehmung achtest und lausche auf das SEIN darin.

      1.2 Präsenz und Bedürfnisse

      Aufmerksamsein ist der Schlüssel zum SEIN. Würden wir die Bedeutung des Aufmerksamseins in unserer Gesellschaft erfassen, würden wir uns viel mehr damit beschäftigen und vielleicht schon unseren Kindern in der Schule beibringen, dass der Schlüssel zum Glück nicht im Tun, im Erfolg, im Darstellen, im Wissen oder Haben zu finden ist, sondern im schlichten Aufmerksamsein.

      Unsere ganze Kultur lenkt unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge: auf Leistung und das Erreichen von Zielen, auf oberflächliche Bedürfnisbefriedigung und auf Prestige, das sich in Aussehen und Statussymbolen zeigt. Doch das meiste Glück, das von unseren Medien erfolgreich beworben wird, ist sekundär und bedingt. Die gesellschaftliche Vorstellung von Glück führt zu einer tiefen Unzufriedenheit mit dem augenblicklichen Leben und stachelt uns dazu an, uns wieder und wieder anzustrengen, um äußere Ziele und materiellen Reichtum zu erreichen.

      Natürlich leben wir auch in einer äußeren Welt und haben als Mensch körperliche, seelische und auch soziale Bedürfnisse. Wir tun gut daran, diese ernst zu nehmen und wenn möglich uns darum zu kümmern, wie eine gute Mutter sich um die wahren Bedürfnisse des Kindes kümmert.

      Doch welches sind unsere wahren Bedürfnisse? Mutter sein ist eine große Kunst. Wenn wir uns wirklich als Eltern um die Bedürfnisse unserer Kinder kümmern wollen, schließt das auch ein, dass wir auf das Kind schauen und unterscheiden lernen zwischen natürlichen Bedürfnissen, deren Erfüllung das Kind zufrieden macht, und Ersatzbefriedigungen, deren Erfüllung das Kind letztlich noch unzufriedener werden lässt. Wenn ein Kind momentan nicht in sich ruht und unzufrieden ist und sich dabei auf eine materielle Ersatzbefriedigung wie den Kauf eines Spielzeuges fixiert, braucht es unsere Klarheit und unsere Begrenzung als Eltern. Erst dann kann es nach einem Augenblick des schmerzhaften Loslassens wieder zu seiner inneren Ruhe finden und seine wahren Bedürfnisse entdecken.

      Genauso ist es bei uns Erwachsenen. Viele Menschen fühlen in sich eine große Ruhelosigkeit und Unzufriedenheit, die sie mit Ersatzbefriedigungen, mit Streben nach Erfolg, Reichtum, Schönheit oder Konsum, zu übertünchen versuchen. Auch hier braucht es unsere Unterscheidungsgabe und unsere Klarheit, uns selbst zu begrenzen und unsere Unzufriedenheiten auszuhalten und ganz zuzulassen. Wie können wir unsere natürlichen Bedürfnisse entdecken, wenn wir unseren Mangel sofort mit Ersatzbefriedigungen zustopfen? Wie können wir uns innerlich finden, wenn wir unsere Ruhelosigkeit und unsere Unzufriedenheit nicht zulassen?

      Die Gründe für Unzufriedenheit und ruheloses Suchen nach Ersatzbefriedigungen sind nicht unsere unerfüllten Bedürfnisse, sondern mangelnder Kontakt und mangelnder Friede in uns – letztlich ein Mangel an SEIN. Dieses grundsätzliche Missverständnis kann unser Erleben und unser Verhalten bestimmen. Wir fühlen uns einsam und setzen vielleicht alles daran, diesen Zustand nicht fühlen zu müssen: Wir gehen einkaufen oder bekommen „Hunger“ oder versuchen verzweifelt eine Freundin am Telefon zu erreichen. Doch was uns unruhig macht, ist nicht die Einsamkeit, sondern unser Widerstand gegen diese Einsamkeit. Wenn wir dagegen das einsame Gefühl vollständig in uns zulassen können, dann entsteht Ruhe und ein tiefer Kontakt nach innen. Es entsteht mehr SEIN. Wir sind dann mit der Einsamkeit. Die Folge ist, dass sich ein innerer Frieden ausbreitet und wir ein inneres Angebundensein spüren.

      Reflektiere:

      Welche natürlichen Bedürfnisse gibt es in deinem Leben?

      Wie kümmerst du dich darum?

      Welche typischen Ersatzbefriedigungen kennst du von dir?

      Wie fühlst du dich, nachdem du ihnen nachgegeben hast?

      Damit ein innerer Kontakt entstehen kann, müssen wir lernen, uns auszuhalten, wie eine starke Mutter ihr unzufriedenes, unglückliches Kind. Wir „halten“ uns in unserer Unzufriedenheit und erlauben uns dadurch, sie ganz zu fühlen und ganz damit zu sein. Das ist oft nicht einfach und erfordert eine große Bereitschaft, unangenehmen Zuständen nicht auszuweichen. Haben wir die Kraft und Offenheit, mit dem Unangenehmen zu sein? Mit der Unzufriedenheit? Mit der Hilflosigkeit? Mit dem Schmerz und dem Widerstand dagegen?

      Oft wehren wir uns wie ein kleines Kind, wenn die Mutter sagt, dass es das Spielzeug jetzt nicht gibt. Widerstand ist eine natürliche Phase im Prozess des Loslassens. Das müssen wir wissen, sowohl als Eltern, wenn wir unser Kind begrenzen, als auch wenn wir uns selbst „halten“. Widerstand, der sich durch Festhalten, Diskussionen oder Wut ausdrückt,

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