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geliebt. Es entwickelt die Überzeugung, dass das eigene Wesen nicht von Interesse ist, mit anderen Worten ohne Wert. Kinder brauchen aber trotzdem die Bestätigung der Eltern und suchen deren Aufmerksamkeit. Wenn sie diese nicht durch ihr natürliches Sein gewinnen können, beginnen sie sich an die Wertvorstellungen der Eltern anzupassen, um dadurch mehr Zuwendung zu bekommen.

      Zum Beispiel könnte ein Kind merken, dass es in seiner Familie dann mehr Aufmerksamkeit bekommt, wenn es besondere Leistungen in einem bestimmten Bereich erbringt. Wenn dies im Bereich des Möglichen liegt, wird es sich wahrscheinlich in diese Richtung entwickeln, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen und in seinem Wert bestätigt zu werden. Allerdings entfernt es sich dabei vom natürlichen Wert, der in der Entfaltung des natürlichen Wesens liegt. Wir jagen einem Scheinwert hinterher, manchmal ein Leben lang.

      Doch nicht immer versuchen Kinder sich den Vorstellungen der Eltern anzupassen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Manche Kinder gehen in den Widerstand und verweigern sich. Auch Widerstand zieht viel Aufmerksamkeit auf sich, wenn auch keine positive. Aber besser eine negative Aufmerksamkeit als gar keine. So können wir eine „Widerstandsidentität“ bekommen, die unser weiteres Leben unbewusst bestimmen kann. Jedes Mal wenn wir eine neue Beziehung gestalten (besonders in hierarchischen Beziehungen), gehen wir in den Gegenpol oder in die Verweigerung und „ernten“ unbewusst viel Aufmerksamkeit.

      Obwohl unser Widerstand unser natürliches Wesen schützen will und Anpassung verweigert, haben wir jedoch auch hier, solange wir mit dem Widerstandsmuster identifiziert sind, kaum eine Chance, uns in unserer Natürlichkeit zu entfalten. Wir sind nicht frei, wir selbst zu sein, sondern müssen aus einem inneren Zwang heraus dagegen sein. Im Innersten fühlen wir genauso ein Wertloch wie diejenigen, die sich an einen Scheinwert anpassen.

      In beiden Fällen kennen wir unseren wahren Wert nicht, der in unserem SEIN liegt. Wir fühlen uns irgendwie verloren und können den natürlichen Impulsen unseres Wesens nicht vertrauen. „Was will ich wirklich? Wer bin ich eigentlich? Was gibt meinem Leben Sinn?“ sind die typischen Fragen, die wir uns stellen. Wie ein Schiff ohne Steuerruder treiben wir übers offene Meer und werden mal hierhin und mal dorthin gespült. So fühlt es sich an, wenn wir nicht aus unserer Wesenswahrheit heraus leben und dadurch keine innere Orientierung in den Wechselfällen des Lebens haben.

      Reflektiere:

      Kennst du Momente, in denen deine Eltern oder andere Menschen dich in deinem Wesen gesehen und angenommen haben?

      Erforsche, wie du dich in diesen Momenten gefühlt hast: Wie war dein körperliches, seelische Erleben dabei? Wie erfährst du in diesen Augenblicken deinen Wert?

      Wie könntest du dein Leben gestalten, wenn das immer dein Grundgefühl wäre?

      Aus diesem Grund besteht die große Herausforderung des Elternseins nicht darin, unsere Kinder zu erziehen (also sie an gesellschaftliche Konventionen anzupassen), sondern ihnen mit Präsenz zu begegnen. Das ist im Alltagsgetriebe nicht immer leicht, da wir unter Stress unsere Präsenz verlieren und meistens mit gewohnten Mustern reagieren.

      Außerdem haben wir alle viele Vorstellungen davon, wie ein „gutes“ Kind sein soll. Diese sind bereits aus unseren Herkunftsfamilien übernommen und prägen den Kontakt zu unseren Kindern daher meist vollkommen unbewusst. Viele dieser Vorstellungen sind bei Licht betrachtet nichts weiter als gesellschaftliche Konditionierungen und dienen nicht dem Wesen des Kindes, sondern nur der Entwicklung von Anpassungsstrategien. Manche dieser Vorstellungen sind vielleicht auch sinnvoll, aber alle noch so guten Erziehungsmaßnahmen beinhalten im Kern eine subtile Vorstellung davon, wie das Kind sein muss, damit es „in Ordnung“ ist und wie nicht.

      Subtil vermittelt also jede Erziehung, auch die sanfteste, dem Kind die Grundbotschaft: „Du bist nur unter bestimmten Dingen in Ordnung und damit geliebt.“ Es entsteht mehr oder weniger stark im Kind das Gefühl, in seinem ganzen Sein nicht angenommen und geliebt zu sein. Dieses Grundgefühl „nicht angenommen zu sein“ ist die Basis unseres Egos und aller Anpassungsstrategien der Persönlichkeit. Denn wenn wir das Gefühl haben, nicht in Ordnung und damit wertlos zu sein, werden wir uns anstrengen dafür, wertvoll zu werden.

      Diese Anstrengungen entfernen uns allerdings gleichzeitig von unserem natürlichen Sosein. Der Leidenskreislauf der Persönlichkeit beginnt: Ich fühle mich nicht angenommen… ich strenge mich an dafür, angenommen zu werden… ich entferne mich von meinem Wesen und fühle mich entfremdet… und selbst wenn ich für meine Anstrengung von anderen Anerkennung bekomme, wird dadurch nur bestätigt, dass man sich anstrengen muss, um angenommen zu sein… in meinem Wesen – in dem, was ich ohne Anstrengung bin – fühle ich mich weiterhin nicht angenommen… also werde ich mich noch mehr anstrengen dafür, angenommen zu werden…

      Reflektiere:

      Welche grundlegenden (vielleicht unausgesprochenen)

      Vorstellungen hatten deine Mutter und dein Vater davon, wie ein „gutes“ Kind (oder guter Mensch) sein soll?

      Wie strengst du dich an, um diese in deinem Leben zu erfüllen?

      Was unsere Kinder also brauchen, ist nicht in erster Linie Lob und Anerkennung, um ein natürliches Selbstwertgefühl zu entwickeln, sondern unsere Präsenz als Eltern. Nur Präsenz bestätigt Kinder in ihrem natürlichen Sosein. Präsenz sieht, ohne zu wollen und zu werten. Präsenz schenkt Aufmerksamkeit und Interesse und vermittelt Kindern, dass sie sein dürfen und in ihrem Sein angenommen sind. Auf dieser Basis entwickelt sich im Kind ein Grundgefühl, in Ordnung und geliebt zu sein.

      Natürlich muss ein Kind trotzdem noch manche kulturelle Anpassung vollziehen, um sich in soziale Gegebenheiten einfügen zu können. Aber wenn das Grundlegende an der Elternbeziehung die Erfahrung des Angenommenseins ist, wird sich dieses Grundgefühl immer mehr verankern, und notwendige Anpassungsleistungen werden vom Kind meist natürlich und leicht vollzogen. Kinder, die sich grundlegend angenommen fühlen, sind verankert in ihrem Wert und leben innenzentriert. Trotzdem fügen sie sich in einer natürlichen Weise ein, wenn es notwendig ist, ohne sich dabei zu verlieren.

      Doch was bedeutet es konkret, Kindern mit Präsenz zu begegnen? Wenn unser Kind am Frühstückstisch sitzt und von seinen Träumen erzählt, sollen wir dann in die Stille lauschen und nicht zuhören? Natürlich ist diese Form der unbedingten Präsenz, wie sie in der Übung „Schauen ins Nichts“ beschrieben wird, in der Begegnung mit Menschen meist nicht geeignet.

      Aber wenn uns Präsenz als grundlegende Erfahrung vertraut und leicht zugänglich ist, können wir uns in jeder Situation mehr oder weniger stark an Präsenz anbinden und von dort aus handeln. Dazu ist lediglich notwendig, dass wir uns an die Präsenz erinnern und innerlich den Fokus unserer Aufmerksamkeit öffnen und mehr ins Lauschen gehen.

      Jetzt zum Beispiel beim Lesen dieser Zeilen. Lies weiter, aber sei nicht vollkommen hypnotisiert durch den Text, sondern lass deine Aufmerksamkeit weiter werden. Geh ins Lauschen und lies weiter. Präsenz und lesen… Lesen in Präsenz…

      Wenn unsere Aufmerksamkeit sehr fokussiert ist – das kann durch einen Text sein, durch ein Gespräch, eine innere Vorstellung oder eine Tätigkeit –, dann vergessen wir die Weite des SEINS – die Präsenz. Das geschieht natürlich auch in Begegnungen. Wenn unser Kind von seinen Träumen erzählt, hören wir zu und achten vielleicht nur noch auf den Inhalt der Erzählung. Oder wir denken daran, dass es sich fertig machen muss für die Schule. Wir sind vielleicht damit beschäftigt, das Pausenbrot zu machen oder wir ärgern uns darüber, dass unser Kind beim Essen schmatzt. In all diesen Fällen verhalten wir uns als fürsorgliche Eltern, aber unser Kind bekommt von uns keine Aufmerksamkeit für sein Wesen.

      So können viele Mahlzeiten vergehen, ohne dass das Wesen des Kindes gesehen oder bestätigt wird. Wir lieben unsere Kinder und meinen es gut mit ihnen und geben ihnen doch oft die grundlegende Nahrung der Präsenz nicht.

      Doch wie leicht wäre es, sich an Präsenz zu erinnern und den Fokus weiter zu machen? Uns nicht von der Geschichte, der augenblicklichen Tätigkeit oder unseren Vorstellungen hypnotisieren

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