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Die Mutter hebt seinen Kopf und hält ihm das Glas an die zitternden Lippen. Mit gierigen Zügen leert Gottfried das Glas, sein Köpfchen gleitet auf das Kissen zurück.

      „Mutter, jetzt muss ich bieseln.“

      Schnell holt die Nachbarin ein Nachthaferl herein. Die Mutter hebt die Decke auf und schiebt es unter das stöhnende Kind. Gottfried muss nicht bieseln, es ist alles Blut, das so aus seinem sterbenden Körper heraus läuft.

      Es zerreißt ihr fast das Herz. Sie schiebt ihren Arm unter das Kopfkissen und hält das Kind, so an sich gedrückt, fest.

      Kurz darauf meint er wieder: „Mutter, ich muss schon wieder.“

      „Mach dir da jetzt keine Sorgen. Lass es einfach laufen. Später werde ich das alles waschen.“ Sie schaut in das Gesicht ihres Kindes. Ist das Näschen nicht schon ganz weiß und spitz?

      „Mutter, wenn ich jetzt sterbe, komme ich dann in die Hölle, weil ich nicht gefolgt habe?“

      „Ach, mein Lieber, du kommst nicht in die Hölle. Du bist doch ein braver Bub.“

      „Du, Mutter, wenn ich sterbe, komme ich dann in den Himmel?“

      „Herzerl, freilich kommst du in den Himmel.“

      „Du, Mutter, wenn ich jetzt sterbe, komme ich dann gleich in den Himmel?“

      „Du kommst freilich gleich in den Himmel.“

      „Du Mutter, spielen dann die Engel mit mir?“

      „Ja, Liebling, die Engel spielen dann mit dir.“

      „Du, Mutter, ich sehe Engel, die winken mir schon zu und wollen mit mir spielen … Mutter, komme ich wirklich gleich in den Himmel?“

      „Du kommst ganz, ganz schnell in den Himmel.“

      „Mutter, ich seh in den Himmel. Es schaut so schön aus. Bin ich jetzt gleich dort?“

      „Ja, du bist gleich dort.“

      „Mutter, die Engel fliegen zu mir her und holen mich jetzt.“ Gottfried hebt seine Händchen den Engeln, die er sieht, entgegen. Ein seliges Lächeln umspielt seine Lippen. „Sie sind da und ich bin gleich im Himmel.“

      Seine Ärmchen fallen zurück und mit einem verzückten Lächeln im Gesicht macht er einen tiefen Atemzug, dann ist es vorbei.

      „Oh Herr, gib ihm die ewige Ruhe …“

      Die Mutter schließt ihm die Augen, dann verliert sie das Bewusstsein.

      Diesen Schicksalsschlag kann Urgroßmutter Maria ihr Leben lang nicht verarbeiten und oft vergießt sie heiße Tränen. Doch das Leben geht weiter … weiter … weiter …

      Alle Kinder hängen an ihren Eltern, auch wenn diese streng sind.

      Theresia liebt ihre Mutter sehr. Als mal die Rede auf das Sterben kommt, meint sie: „Mutter, wenn du mal stirbst, dann will ich auch nicht mehr leben.“

      „Ach Kind.“

      „Doch, Mutter, wenn du stirbst, dann springe ich in dein Grab.“

      Die Mutter lächelt mild: „Ach Kind, wenn ich sterbe, dann wird es dir schon sehr wehtun. Aber glaub mir, ein Jahr später wirst du wieder singen, lachen und springen. Glaub mir das!“

      Ja, das Leben geht immer wieder weiter …

       DIE SCHWESTERN

      Eines Tages bekommen sie in Ingolstadt Besuch aus Pfatter, den Huber Sepp.

      Als junges Mädchen schwärmt Maria für den Josef. Doch der hat damals nur Augen für die dunkelhaarige Anna.

      Jetzt beim Kaffeetrinken hält ihm Maria dies nun lachend vor. „Ja mei“, meint er, „für eine schwarze Kirsche steigt man halt höher, als für eine rote.“ Und: „Maria, natürlich warst du auch a Saubere. Aber ein wenig hast du schon eingebüßt“, meint er lächelnd.

      „Wenn du von einem Baum zwölf Äste abbrichst, dann schau mal, wie der dann ausschaut“, ist Marias Antwort.

      Auch wenn Anna, die Schwester Marias, sich mit dem Hofstaat aus Wien öfters in Possenhofen aufhält, so hat sie doch kaum Gelegenheit, nach Ingolstadt zu kommen.

      Es treffen aber immer wieder Schließkörbe mit Kleidern, Blusen, Röcken und Hüten von ihr in Ingolstadt ein. Die Kleider aus Samt und Seide, mit Spitzen, Rüschen, Volanten, Stickereien und Schleppen, können zwar von ihren Nichten nicht so getragen werden, aber die tüchtigen Mädchen trennen, schneidern, ändern und schaffen so tragbare „bürgerliche“‘ Kleidung.

      Anna fühlt sich in Wien wohl. Sie genießt das abwechslungsreiche Leben am Hof. Für sie würde es nie in Frage kommen, das Leben einer Hausfrau zu führen, kochen, waschen, putzen, nähen, bügeln, für einen Ehemann da zu sein und (s)eine Herde Kinder aufzuziehen.

      Nein … nein … niemals … und nochmals nein … Sie sieht sich genug an ihrer Schwester. Sie mag Kinder, aber ihr schönes Leben für eine Ehe aufzugeben? Nein … und nochmals nein …

      Sie hängt an ihren Neffen und Nichten. Besonders die vier Mädchen liegen ihr am Herzen. Ihnen will sie ihr Vermögen testamentarisch vermachen. Maria, Anna, Resi und Rosi sollen eine solide Aussteuer bekommen. Dies hat sie immer wieder erwähnt und betont.

      Als dann ihre Kaiserin 1898 ermordet wird, ist Anna gerade 40 Jahre alt. Sie verlässt Wien und geht nach München. Hier nimmt sie eine herrschaftliche Wohnung, richtet sie mit Antiquitäten, Gemälden und Teppichen geschmackvoll ein. Sie verfügt über einen roten und einen blauen Salon. Sie führt ein angenehmes Leben.

      Außerdem hat sie einen jüngeren, gut aussehenden Liebhaber, dem sie ziemlich verfallen ist. Sie sieht nur seine schöne Gestalt, sein weltgewandtes Auftreten, glaubt all seinen Liebesbeteuerungen. Nichts kann sie von ihm abbringen. (Verfügt sie vielleicht über eine rosa Paradiesbrille?)

      Als sie stirbt, gibt es keine Testamentseröffnung, denn es ist kein Testament da. Es befinden sich weder teure Möbel noch Gemälde in der Wohnung. Weder Schmucksachen, Bargeld noch Bankguthaben werden gefunden. Der magere Erlös aus dem Verkauf der restlichen Sachen reicht gerade für eine einfache Beerdigung. Ihr Liebhaber ist schon lange vorher über alle Berge.

      So ist wieder ein Lebenskapitel abgeschlossen und dem Vergessen hingegeben. Aber man ist erst dann tot, wenn man vergessen ist!

       Wahrscheinlich bin ich die Letzte, die etwas über sie berichtet.

      MEINE GROSSELTERN UND ELTERN DIE RAUCHENDE GROSSMUTTER

      Meine Oma (Mama) ist gegen die Raucherei. Aber sie selbst tut das. Sie raucht zwar nicht viel, aber trotzdem!

      Wieso hat meine Mama aber geraucht?

      1914 bricht der Erste Weltkrieg aus und zwei Brüder meiner Mama werden eingezogen. Gerade diese sind für das abendliche Anzünden und morgendliche Löschen der Gaslaternen zuständig, welche die Innenstadt und den finsteren Ring um Ingolstadt – das Glacies – erleuchten.

      Außerdem wird das Geld für diese Arbeit in der Familie dringend gebraucht. Also muss nach einer Lösung gesucht werden. Eigentlich sind nur die zwei jüngsten Mädchen noch da. „Das können wir doch machen“, meinen sie. Ingolstadt ist eine Garnisonsstadt und für zwei so junge Dinger beim Anzünden von Gaslaternen gefährlich.

      Die Mutter macht auf diese Gefahr aufmerksam. Dann kommt die Lösung: Beide sind sie groß gewachsen. Nun wollen sie die Männerkleidung ihrer Brüder anziehen, damit sie so diese Aufgabe übernehmen können.

      Sie machen es; dabei haben sie auch viel Spaß.

      Einer der Brüder ist Pfeifenraucher und hat diese auch bei jeder Arbeit im Mundwinkel hängen.

      Das macht nun Theresia. Jeden Abend und jede Nacht hat sie die Pfeife im Mund. Mit der Zeit kommt sie auf den

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