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Mann ist verunglückt.“

      Theres springt auf und läuft, rennt, sprintet über die Gleise.

      Sie sinkt neben ihren Mann nieder. Blut läuft aus seinem Mund. Sie bettet ihn in ihre Arme.

      Der Doktor ist schon eingetroffen und eine Bahre wird auch gebracht. Der Arzt schaut den Verunglückten und dann Theres an. Er schüttelt nur leicht den Kopf. Georgs Atem rasselt, das Blut sickert weiter aus seinem Mund. Er öffnet kurz die Augen, schaut Theres mit einem dankbaren Blick an, fällt zurück.

      Es ist vorbei!

      Man legt Georg auf die Bahre und fährt ihn in die Bahnhofshalle. Inzwischen ist auch Thereses Schwester Rosa, die in Ingolstadt wohnt, herbeigeholt worden.

      Theres ist wie von Sinnen. Ihr Geist ist wie betäubt; ihr Körper reagiert wie eine aufgezogene Puppe.

      Inzwischen ist die Maiandacht aus und die Mädchen befinden sich auf dem Heimweg. Da laufen ihnen Kinder entgegen. „Euer Papa ist tot!“, rufen sie. Ja, dann, als die Mädchen zu Hause sind, erfassen sie die Katastrophe, soweit es ihrem kindlichen Geist möglich ist.

      Theres weiß nicht, wie sie die nächsten Stunden, Tage, Wochen, Monate überlebt. Nur in dieser kurzen Zeit ist ihr Haar ergraut.

      Oft sperrt sich Theres stundenlang in die Toilette ein. Sie will nicht mehr raus, sie will nicht mehr leben. Der starke Schmerz umklammert ihr Herz wie eine Eisenzange.

       Doch sie hat zwei Kinder, die brauchen sie. Für diese muss sie weiter da sein.

       AB 1927 DIE WITWE

      Langsam löst sich in den nächsten Monaten die Starre. Theres nimmt wieder mit einigermaßen wachen Sinnen am Leben teil. Sie bezieht eine bescheidene Witwenpension. Außerdem hat ihr die Bahnleitung die Stelle als Wiegmeisterin angeboten. Sie übt diese Position pflichtbewusst und gewissenhaft aus. So geht das Leben wieder seinen normalen Gang.

      Nach den schwarzen Billionenjahren führt Theres mit den heranwachsenden Töchtern ein verhältnismäßig gutes Leben. Thea und Maria gehen zur Erstkommunion und werden gefirmt.

      Natürlich hat Theres Verehrer, aber sie lässt alle abblitzen. Für sie gibt es keinen neuen Mann. Als ein Verehrer mal das Waaghäuschen betritt und zudringlich wird, schnauzt sie: „Verschwinden Sie, oder es passiert etwas!“

      Doch der Verehrer gibt sich noch nicht geschlagen. „Komm, eine Frau in den besten Jahren braucht doch auch mal etwas anderes.“

      Da brennen bei ihr die Sicherungen durch. Das „Rabiate“ kommt mal wieder durch. Auf dem Tisch liegt eine große Schneiderschere. Nach der greift sie und stößt diese mit aller Wucht dem aufdringlichen Verehrer in den Hintern. Mit einem Aufschrei fasst sich der an seinen blutenden Po und verlässt den Tatort.

      Nur gut, dass sein Hemd, seine Hose und Unterhose den Stich etwas gemildert haben, aber die Verehrung dieses Mannes ist sie los. Er hat sie nie mehr belästigt. Dieses Geschehen macht natürlich seine Runde. Theres wird mit noch mehr Ehrerbietung und Respekt behandelt. Doch ganz im hintersten Herzensstübchen hat die kühle, beherrschte Theres auch romantische Gedanken.

      In ihrer kargen Freizeit liest sie gerne Liebesromane. Besonders Hedwig Courths-Mahler und Ludwig Ganghofer haben es ihr angetan. Aber auch der Heimatdichter Hermann Löns gefällt ihr. Manchmal schreibt Theres in ihrer schönen Handschrift auch Gedichte nieder. Von einem kenn ich nur noch den Schluss:

      „Deckt mich einst die kühle Erde,

      Schlägt mein Herz nicht mehr für dich,

      Pflanz auf meinen Grabeshügel

      Das Blümelein Vergissmeinnicht.“

      Theres ist ehrgeizig. In der Familie haben alle eine schöne Singstimme und ein gutes Musikgehör. Sie will, dass ihre Kinder ein Instrument spielen lernen. Sie selbst legt sich eine Gitarre zu und spielt diese ohne Kenntnisse der Noten recht passabel. Thea soll Geige lernen.

      Die Mutter sucht und findet einen Lehrer, der in Ingolstadt einen guten Ruf hat. Die ersten Stunden laufen gut, doch dann weigert sich Thea, den Unterricht weiter zu besuchen. Der Lehrer hat einen schnarchenden Atem. Das kann Thea einfach nicht hören. Selbst Schläge können sie nicht dazu bewegen, die Geige nochmals in die Hand zu nehmen. Da gibt die Mutter auf. Sie denkt an ihren verstorbenen Mann, der hätte auch nachgegeben.

      Maria, die jüngere Tochter, soll das besonders in Bayern so beliebte Zitherspiel lernen. Sie ist begabt, hat ein gutes Musikgehör und sie lernt mit Begeisterung. Nicht mal die Blasen an den Fingern können sie davon abhalten, fleißig zu üben und auch zu singen.

      Dieser Liebe zur Musik bleibt sie ihr Leben lang treu.

      (Später gibt sie diese Liebe an ihre Tochter Beate weiter.)

       1927 FOLGEJAHRE WITWE THERES UND WIE GEHT ES WEITER?

      Ja, bei Theres und den Töchtern gehen einige Jahre ruhig dahin. Zwar wagt es doch manchmal ein Verehrer, sich um Theres zu bemühen. Aber umsonst, denn ihre hohen Moralvorstellungen sowie ihre kühle, leidenschaftslose Art, lassen es nicht zu, sich einem Mann hinzugeben.

      Wenn sie schon Vorstellungen von einem Mann hat, dann sind es romantische und sentimentale, wie sie in den von ihr gelesenen Büchern vorkommen: Ein Prinz reitet zu ihr, der verarmten Adelstochter, hin, verliebt sich in die ehr- und tugendsame Verarmte. Die große Liebe übersteht alle Widrigkeiten und Intrigen, die sich dem Liebespaar in den Weg stellen. Die Liebe siegt und wird vor dem Altar besiegelt. Fortan lebt das Paar glücklich und zufrieden auf ihrem Schloss und wenn sie nicht gestorben sind …

      Ja, nur so was kommt für sie in Frage. Aber das gibt es in der Wirklichkeit nicht, schon gar nicht am Ingolstädter Nordbahnhof.

      Darum versteckt sie diese Träume in der Besenkammer ihres Herzens.

       1932 KOMMT ER DOCH?

       Wer?

       Der Prinz!

      Doch eines Tages reißt es sie fast vom Stuhl, als sie einen Blick aus dem Fenster des Waaghäuschens wirft.

      Ist das eine Fata Morgana? Oder reitet da nicht ein Prinz vor?

      Ein junger Mann in Uniform springt vom Pferd. Kurz darauf ist er am Schalter. Er ist groß, schlank, nicht dünn, breite Schultern und schmale Hüften, eine Bilderbuchfigur! Seine Haut ist wie Samt und hat einen Olivton. Er hat volles, schwarzes, lockiges Haar und Augen so blau wie der Himmel. Lachend betritt er das Waaghäuschen. Höflich begrüßt er Theres.

      Theres kann nicht anders; sie erwidert seinen Gruß auch mit einem Lächeln.

      „Ich bin der Hans und komme jetzt dienstlich öfters hier vorbei“, meint er mit einer Samt- und Seidenstimme.

      Inzwischen hat sich Theres wieder voll im Griff. Ihre Miene ist wieder ganz geschäftlich. Was soll auch anders sein? Er ist ein Kunde, sonst gar nichts. Träume sind in der Besenkammer. Dort bleiben sie auch. Aber jedes Mal, wenn der Hans angeritten kommt, freut sie sich.

      Sie unterhalten sich ein wenig, Hans heitert die Theres immer auf. Manchmal lacht sie sogar laut heraus.

      Langsam erfährt sie so nebenbei auch einiges über ihn. Er ist kein reicher Prinz. Auch beim Militär ist er kein hohes Tier. Er, auch sechsunddreißig Jahre alt wie sie, ledig, ist ein gelernter Maurer und stammt aus einem kleinen bäuerlichen „Sachl“, dem Stockinger Anwesen, zehn km von Ingolstadt entfernt.

      Eines Tages lädt er sie zu einem Lokalbesuch ein. Sie lehnt erst ab.

      „Nimm deine Madl mit. Wir unterhalten

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