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und des Bürgertums der Antike zu. Man fragt sich aber, warum es immerhin zwei Jahrhunderte gedauert hat, bis man sich in Europa wirklich gezielt der Erforschung der Antike zuwandte. Von einer ernst zu nehmenden Entdeckung der Antike im 16. Jahrhundert kann also nicht die Rede sein. Denn beim europäischen Hochadel bestand noch in der frühen Neuzeit die Tendenz, die Ahnen möglichst auf Adam und Eva zurückzuführen. Die bürgerlichen Wappengraveure passten sich nach wie vor dieser Neigung an. Noch im „Wappenbüchlein“ des Nürnberger Graveurs Johann Siebmacher177 von 1596 finden sich bei den ersten Wappen nicht Ägypter, Griechen oder Römer, sondern neun jüdisch-alttestamentarische. Sie sind betitelt als „Der ersten Welt; Deß Adams; Deß Noha178“, dann folgen „Die drey guten Juden Fürst Josua, König David, Judas Maccabeus“ und „Die Drey guten Jüdin[nen] Hester179, Judith, Jael.“ Noch vor den drei guten Christen (Carolus Magnus, König Artus, Herzog Gottfried von Bulion [Bouillon]) und Christinnen (Kaiserin Helena, Brigitta von Schweden, Elsbeta [Elisabeth von Thüringen]) kommen die jeweils drei Wappen der „Drey guten Heyden“ (Hector von Troja, Alexander der Große, Julius Caesar) und der „Drey guten Heydin[nen] (Lucretia, Veturia, Virginia). Nach den Wappen der guten Christen und Christinnen kommen weitere drei Wappen, welche im weiteren Sinne nicht der klassischen Antike, sondern dem Neuen Testament angehören, nämlich „Die Heiligen Drey König“ Caspar, Balthasar, Melchior“. Von den 24 Wappen des „Wappenbüchleins“ kann man also insgesamt 18 der jüdisch-christlichen Welt zuordnen. Die 6 ‘heidnischen’ Wappen geben zudem nicht die reale, sondern – vor allem bei den Frauen – die mythische Sicht der Antike wieder. Man könnte somit glauben, dass selbst in einer so weltoffenen Stadt wie Nürnberg die Renaissance mit der Wiederentdeckung der Antike völlig unbekannt war.

      Wenn man jedoch über den europäisch-christlichen Gartenzaun hinauszublicken wagt, dann stellt man mit Erstaunen fest, dass die islamischen Autoren, auch diejenigen in Al Andalus, der römischen und vor allem der griechischen Antike näher stehen als die christlichen von West- und Mitteleuropa. Nicht nur die jüdisch-islamischen Ärzte wie z.B. Avicenna180 und Maimonides181 bauen nach herrschender Lehre auf Hippocrates, Galen, Plato und vor allem auf dem griechischen Philosophen Aristoteles auf. Die iberischen Juden und Muslime betrachten sich, worauf der Arabist aus Sevilla, Emilio Gonzales Ferrín, immer wieder hinweist, als die wahren Erben der Antike und des Römischen Reiches. Der geistig-kulturelle Mittelpunkt dieses Reiches, der nicht zuletzt durch die Präsenz der Juden geprägt war, lag bis weit in die römische Kaiserzeit hinein nicht in Rom, sondern in der ägyptischen Weltstadt Alexandria, welche vor allem von der Kultur der Griechen und Juden geprägt war. Hier wirkten nicht nur die großen Theologen, Philosophen und Ärzte, sondern auch bedeutende Naturwissenschaftler und Techniker. Nicht nur in Alexandria, sondern auch im südspanischen Andalusien wurden die Errungenschaften der materiellen Kultur der Römer, z.B. die Wasserleitungen und das Kanalisationssystem, übernommen und vielfach sogar weiter ausgebaut.

      Recht abenteuerlich erscheint das, was wir von Aristoteles aus islamischen Quellen (sie weichen nicht selten von christlichen Quellen ab) wissen.182 Es gibt zu ihm eine arabische Quelle, nämlich Abd al-Latif al Bagdadi (11621231), der im Zusammenhang mit der sog. Pompejussäule in Alexandria über den Philosophen Aristoteles berichtet. Ich zitiere diese wichtige Stelle aus Strohmaier:

      „Ich bin der Meinung, daß dies die Säulenhalle ist, in der Aristoteles und nach ihm seine Schüler lehrten, und daß es das Haus der Wissenschaft war, das Alexander errichtete, als er seine Stadt erbaute, und in ihm war die Bibliothek, die Amr Ibn al-As mit Erlaubnis Umars verbrennen ließ.“183

      Für Bagdadi ist also Aristoteles, der Lehrer von König Alexander dem Großen, ein Bewohner der Weltstadt Alexandria. Darüber dass Aristoteles ein Grieche sein soll, weiß er aber nichts zu berichten. Das im wesentlichen im 19. Jahrhundert entstandene Bild der Antike, welches das jüdischchristliche Modell ablöste, weist nicht wenige „logische und faktische Widersprüchlichkeiten“ wie auch offensichtliche Unstimmigkeiten auf, auf welche nicht zuletzt Gunnar Heinsohn, Professor an der Universität Bremen, mehrfach hingewiesen hat.184 Diese Unstimmigkeiten wirken sich auch auf die antike und mittelalterliche Chronologie aus. So gibt es z.B. eine christliche Kölner Handschrift, „die eine Zeitrechnung verwendet, die sich nicht an der Geburt Christi ausrichtet, sondern an dem Wiederaufbau des jüdischen Tempels orientiert.“185

      Auch in der Überlieferung der römischen Geschichte und Sprache vermutet Davidson Lücken.186 Latein (das sog. klassische Latein) war wohl genauso wie Hebräisch und (klassisches) Griechisch eine reine Kunstsprache. Hebräisch war „schon in frühesten Zeiten in Palästina keine lebende Sprache, sondern nur noch eine heilige Gelehrtensprache.“187 Es war auch in Europa bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Sprache einer sehr begrenzten geistlichen und wissenschaftlichen jüdischen Elite. Die große Masse der Aschkenasim sprach Jiddisch, der sephardischen Juden Ladino und Judezmo (romanische Sprachen). Die Aschkenasim bezeichneten ihre Sprache nicht als jiddisch, sondern als „taitsch“ (deutsch).

      Im Gegensatz zum Jiddischen und Ladino waren das angeblich unter Alfons X., dem Weisen (1252-1282), – unter Mitwirkung der spanischen Juden – geschaffene Kastilisch188 und das in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts in der Prager Kanzlei geschaffene Deutsch reine Kunstsprachen. Kastilisch soll sich nach Aussage des im 15. Jahrhundert lebenden Grammatikers Antonio de Nebrija wohl schon im Hohen Mittelalter „nach Aragon, Navarra und Italien“ ausgebreitet haben. Im Gegensatz zu Hebräisch, Latein und Griechisch war in großen Teilen des südlichen Iberiens bis ins späte Mittelalter das Arabische noch eine lebende Sprache.189

      In Dantes Sprachkonzeption ist im Unterschied zum Arabischen und zu den historisch gewachsenen romanischen Volkssprachen, welche linguae naturales, also Natursprachen, sind, das klassische Latein eine lingua artificialis, also eine Kunstsprache, quam Romani grammaticam vocaverunt (welche die Römer als Grammatik bezeichneten). Auch für Dante ist das klassische Latein eine Sprache, in welcher die Grammatik eine wesentlich größere Rolle spielt und welche auch wesentlich anspruchsvoller zu erlernen ist als die Volkssprachen.190

      Es ist somit undenkbar, dass ein einfacher Römer z. B. das Werk von Sallust oder Reden des Cicero hätte lesen und verstehen können.191 Mir ist ja immer seltsam vorgekommen, dass auch noch das heutige moderne Spanisch in der Grammatik dem Lateinischen viel näher verwandt ist als das moderne Italienisch. Vielleicht besteht des Rätsels Lösung darin, wie Ralph Davidson davon auszugehen, dass die romanischen Sprachen nicht Tochtersprachen des Lateinischen sind, sondern evtl. einer älteren „romanischen“ Sprachschicht Europas angehören, welche einst von Portugal bis Rumänien reichte. Neben anderen hat sich auch Horst Friedrich dieser erstmals von Davidson im Jahre 1995 geäußerten Auffassung angeschlossen.192

      Verglichen mit dem Lateinischen weist die Entwicklung des Hebräischen vom Bibelhebräischen bis zum modernen Israelhebräisch eine einmalige Kontinuität auf. Interessant ist für mich, dass das jüdische Volk das einzige der westlich-abendländischen Kultur ist, das wirklich aus der Sicht von Sprache und Kultur noch in einer wirklich antiken Tradition steht. Die hebräische Sprache hat sich, von modernen Wortbildungen wie tazgig (Email), mechonit (Auto), monit (Taxi) etc. abgesehen, bis zum heutigen Tag in ihren Grundfesten erhalten. Es ist auch heute noch viel schwieriger, einen unpunktierten hebräischen als einen deutschen Text flüssig zu lesen.

      Nicht so einfach liegen die Probleme bei allem, was mit „deutsch“ zu tun hat. Was die deutsche Geschichte und damit auch die Begriffe deutsch und Deutschland betrifft, darf man getrost von einer germanischen Ideologie sprechen. Höchst verdächtig ist, dass die meisten antiken Texte – auch solche, welche mit den Anfängen Deutschlands zu tun haben – ausgerechnet „erst von den frühen Humanisten durch systematische Suche vor allem in den Klosterbibliotheken193 des deutschen Kulturraumes und Sprachgebietes ans Licht befördert worden“194 sind. Dazu gehört auch die Germania von Tacitus, an deren Echtheit Brasi195 mit Berufung auf Herbert Hunger196 zu Recht zweifelt. Die Tacitushandschrift ist unter seltsamen Umständen erstmals 1425 im deutschen Kloster Hersfeld entdeckt und noch später publiziert worden.197

      Über die hier angeschnittene Frage hinaus ist zu beachten, dass

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