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und Daten gut bezahlt wird, findet noch mehr. Die Brotgeber von Macchiavelli, die Medici in Florenz, scheinen kein ausgeprägtes Wissen von der Antike gehabt zu haben. Udo Kultermann, der die Geschäftskontrakte der Medici studierte, fand nämlich heraus, dass „die Medici über Vertreter in Brügge Teppiche aus Flandern hatten kommen lassen, durch die sie mit Szenen der antiken Geschichte vertraut wurden“.238 Aussagen dieser Art, welche sich übrigens auch bei Fomenko und anderen russischen Gelehrten finden, werfen einen Schatten auf die landläufige These, dass die Renaissance tatsächlich „die Wiederentdeckung der heidnischen Kultur der Antike nach dem langen Schlaf des Mittelalters“ auf allen Lebensgebieten war. Diese Frage zu stellen, ist nicht nur im Fall des Weiterlebens der römischen, sondern auch der griechischen Antike angebracht.

      Eine zentrale Frage der altgriechischen Geschichte ist in diesem Sinne die attische Demokratie, welche ja einen wichtigen Bestandteil der europäischen Ideologie der Renaissance und des Humanismus wie auch des Neuhumanismus in der politischen Gegenwart bildet.

      Besonders relevant erscheint mir dazu eine Stelle aus den Historien von Herodot über den persischen, durch Kleinasien führenden Feldzug des Xerxes gegen 480 v. u. Z. gegen Festlandgriechenland, vor allem gegen das ‘aufmüpfige’ Athen. Neuere Forschungen machen deutlich, dass der „Despot Xerxes“ ein Produkt der altgriechischen und modernen amtlichen europäischen Historiographie ist.239

      In diesem hoch brisanten Bericht Herodots wird uns glaubhaft versichert, dass der persische Feldherr Mardonios, Schwiegersohn des persischen Königs Dareios, anlässlich dieses Feldzuges im jonischen Kleinasien wohl im Jahre 592 vor u. Z. „alle [griechischen] Tyrannen in den jonischen Städten“ absetzte und die Demokratie wieder einrichtete. Anschließend fuhr er weiter zum Hellespont.240 Im Zusammenhang mit dieser Maßnahme des Mardonios verweist Herodot 6,43 auf „jene Hellenen, die nicht glauben wollen, dass Otanes damals den persischen Sieben die Einführung der Demokratie in Persien vorgeschlagen und empfohlen hat.“ Otanes, Utâna, war einer von den sieben adeligen persischen Verschwörern, welche den Usurpator Gaumâta getötet und Dareios I., dem Großen, geholfen hatten, den Thron zu besteigen. Die Einführung einer Demokratie im Persischen Reich ist wohl letztlich daran gescheitert, dass sich die Demokratie für ein großes Imperium nicht so eignet wie für einen relativ kleinen griechischen Stadtstaat. Wenn es auch im alten Persien keine formelle Demokratie gab, so gab es doch wohl schon seit elamischer241 Zeit Prinzipien, wie man sie in der Antike nirgendwo anders findet. König Kyros gestattete nicht nur „den in Babylon versklavten Juden die Rückkehr nach Jerusalem, damit sie ihren Tempel wieder aufbauen konnten“, sondern schuf auch „das erste religiös und kulturell tolerante Reich der Welt“, in welchem immerhin 23 verschiedene Völker unter königlicher Zentralregierung friedlich zusammenlebten. Die humanen und politischen Errungenschaften, welche die europäische Forschung seit dem 19. Jahrhundert den alten Griechen und Römern zugeschrieben hatten, gab es im alten Persien also schon weit früher.

      Um die attische Demokratie in ihrer wahren Qualität zu beurteilen, ist zudem zu bedenken, dass sie im wesentlichen auf eine kurze Zeitspanne im 5. Jahrhundert vor u. Z. beschränkt und fast ausschließlich im Peloponnesischen Krieg von Thukydides überliefert ist. Bei der Beurteilung der griechischen Klassik beachtet die amtliche Historiographie viel zu wenig, dass es in Athen noch bis zum Ende des 6. Jahrhunderts vor Chr. eine klassische Tyrannis unter Hipparchos und Hippias gab. Bei der Lektüre der klassischen griechischen Geschichtsschreiber gewinnt man zwar den Eindruck, als ob die attische Demokratie massiv am Sturz der attischen Tyrannis mitgewirkt habe. Das stimmt aber leider nicht. Es war nämlich eine Interventionsarmee der Spartaner, den (aus athenischer Sicht) antidemokratischen Prototypen, welche 510 die Herrschaft des Tyrannen Hippias beseitigt hatte. Es ist paradox, dass dieses Ereignis ausgerechnet in der „Lysistrate“ des Komödienschreibers Aristophanes überliefert ist. Die Athener verstanden es also schon damals, „in den Festen und Ritualen eine kollektive Erinnerung“ einzuüben, „welche die spartanische Intervention austilgte und die Befreiung den Tyrannentötern [von 414 vor u. Z.] zusprach.“242 Die Vorstellung der Athener zur Entstehung ihrer Demokratie steht also im Widerspruch zu bestimmten historischen Ereignissen, welche allerdings in der attischen Komödie anders überliefert worden sind als von den politisch-historischen Schriftstellern, welche dazu neigten, Tatsachen, die nicht in die politisch-demokratische Ideologie der attischen Demokratie passten, einfach zu verschweigen.

      Zu dieser einseitigen Interpretation der politischen Realität kommt noch hinzu, dass die attische Demokratie nur einem relativ kleinen Teil der Bevölkerung, welche Steuern zahlten, vorbehalten war. Ausgeschlossen waren alle Frauen, die meist nicht griechischen Periöken, Freigelassene und Sklaven. Ich erinnere weiterhin auch an die leichte Verführbarkeit der Athener durch Demagogen aller Art, z.B. in den sog. Scherbengerichten (ostrakismoí) und beim sizilianischen Abenteuer des Alkibiades. Auch Martin Freksa kommt in seinem Buch „Genesis Europas“ an mehreren Stellen zu der Erkenntnis, dass selbst „zu der Zeit, als Perikles auf der Höhe seiner Macht stand, Attika nur dem Namen nach eine Demokratie war.“243 Sie war eine „bloße Fassade“.244 Das Bürgerrechtsgesetz von 451 v. Chr., auch als „Bastardgesetz“ betitelt, wurde „im Zusammenhang mit einer wirklichen oder angeblichen Überfremdung Attikas“245 beschlossen. Bestimmungen dieses Gesetzes, dass z.B. „Kinder, deren Mutter nicht aus Attika stammt, als Ausländer gelten“246, sind weder ein Ausdruck von Toleranz gegenüber ‘Fremden’ noch ein Argument für die angeblich so hochentwickelte attische Demokratie.

      Wie wenig die Athener demokratische Prinzipien auch anderen Städten und Staaten gegenüber anwandten, zeigt ja nicht nur der Überfall auf Syrakus, sondern auch die von jeglicher demokratischen Ethik losgelöste Behandlung der peloponnesischen Melier, wie diese Thukydides in seinem berühmten Melierdialog problematisiert hat. Den attischen Demokraten galt bei der Behandlung der Melier Macht vor Recht. Demokratie hatte in der attischen Außenpolitik keinen Platz. Daraus wird aber auch ersichtlich, dass die heute immer wieder als Vorbild gepriesene attische Demokratie völlig losgelöst war von rechtsstaatlichen Prinzipien sowohl nach innen als auch nach außen. Nach modernem Demokratieverständnis ist jedoch Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit undenkbar.

      Die hier geschilderten Fälle mahnen zu einem kritischeren Umgang mit den literarischen Quellen und den affirmativen Historikern, die uns diese vorsetzen. Sie lassen es aber auch durchaus realistisch erscheinen, dass Dichter wie Aristophanes historische Sachverhalte und Ereignisse objektiver darstellen als die politisch gesinnten Autoren, falls nicht die einen wie die anderen in der frühen Neuzeit frei erfunden sein sollten.

      Es ist ein großes Verdienst von Morosov, auch Sachquellen in seine kritischen Betrachtungen der griechischen Antike einbezogen zu haben. Er verweist dabei auf Abbildungen, die bis heute von der althistorischen Geschichtsforschung als antik eingestuft werden. Die von ihm ausgewählten Bilder (Anhang II) zeigen in erstaunlicher Weise typisch christliche Symbole, wie sie im Mittelalter und in der Neuzeit immer wieder vorkommen. Aus der Fülle der von ihm gebrachten Beispiele möchte ich nur auf den angeblich mesopotamischen assyro–babylonischen König Ashur– Nazareh–Khabal, der angeblich gegen 930 vor u. Z. gelebt haben soll, verweisen. Doch dieser vermeintlich in der Antike lebende König hat ein christliches Kreuz auf seiner Brust und schaut unverkennbar wie ein orthodoxer Eparch des Mittelalters aus.

      Aus der Tatsache dieser äußerst problematischen und vielfach dubiosen Überlieferung der klassischen Autoren und Sachquellen der Antike und ihrer vielfach zweifelhaften Zuordnung kann man den Schluss ziehen, dass das uns überlieferte Bild der Antike weitgehend nicht der bisher herrschenden Lehre entspricht. Das Bild, das wir heute von der Antike, vor allem der griechischen Klassik, haben, ist unvollkommen, unvollständig und verfälscht, da ja viele antike Autoren verloren gegangen, die erhaltenen durch permanentes Abschreiben fehlerhaft sind und manche Autoren auch erfunden sein können.

      Auch bei unverfälscht und korrekt überlieferten Quellen der Antike gab es die Möglichkeit, geschichtliche Ereignisse und Sachverhalte tendenziell darzustellen und ideologisch zu verzerren. In diesem Sinne regte sich in der späten römischen Kaiserzeit ab dem 4. Jahrhundert der „Geist der Lüge“ in der „offiziellen Schriftstellerei“, auch bei den christlichen Autoren. Dieser beherrschte in besonderem Maße

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