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Gemeinde von Rom den größten Teil der aus Spanien Ende des 15. Jahrhunderts vertriebenen Juden aufnahm.112 Ein jüdisches Ghetto, „Il Ghetto“, wurde in Rom südlich des Largo Argentina auf Veranlassung von Papst Paul IV. erstaunlicherweise erst im Jahre 1555 eingerichtet. Reiseführer deuten dieses römische Ghetto (und überhaupt die jüdischen Ghettos in Europa) allzu simplifizierend als Zeichen eines seit dem späten Mittelalter wachsenden Antijudaismus und die römischen Juden als „Opfer päpstlicher Willkürherrschaft.“113 Dazu scheint auch der seit dem 15. Jahrhundert überlieferte Nacktlauf der Juden inkl. deren Verunglimpfung (sogar im Winter) durch die römische Masse gut zu passen. Es gab wohl auch in Rom unsoziale Gepflogenheiten, denen sich nicht einmal der Papst entziehen konnte. Auch in Rom war es eine ‘bewährte’ Methode, dass die Volksmasse bei gewissen Gelegenheiten ihren Zorn und Frust an den Juden als Sündenböcken ablassen durfte. Übertreibungen und Eskalationen wurden allerdings durch den Papst sanktioniert.

      Die wachsenden Ressentiments gegen die Juden gingen also im Fall von Rom nicht vom Vatikan und der römischen Elite aus, sondern wohl eher von der großen Masse des Volkes. Warum hätte der Vatikan so viele vertriebene spanische Juden in Rom und im Vatikanstaat aufnehmen und willkommen heißen sollen, nur um sie dann in Ghettos zu diskriminieren? So eine Betrachtungsweise wäre fern jeglicher Logik.

      Die Klimaverschlechterung des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit führte in Verbindung mit den negativen Auswirkungen des Frühkapitalismus zu erheblichen Preissteigerungen der Lebensmittel und Grundbedürfnisse114 und wohl auch zu einer massiven Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverteilung der breiten Volksmassen. Das frühkapitalistische Wachstum (Bergbau- und Großhandelsgesellschaften) kam ebenso wie die Globalisierung des 21. Jahrhunderts nicht einmal in Rom (von anderen Regionen ganz zu schweigen) der großen Masse des Volkes zu gute. Die wachsende „antikapitalistische Bewegung in Deutschland“115 ist ohne steigende Massenarmut nicht erklärbar. Die Masse der Menschen sah darum auch hier die Schuld bei den Juden.

      Es ging aber auch anders. Im Bereich der bürgerlichen Alltagskultur finden wir z.B. seit dem 16. Jahrhundert in Franken erfreuliche Formen des Zusammenlebens und –wirkens zwischen Christen und Juden, welche vielfach den Rang von Bürgern hatten. So hatten in manchen fränkischen Orten Juden wie Christen die Pflicht zur Tag- und Nachtwache. An manchen Orten Frankens mussten sie sogar am gemeinen Rügegericht mitwirken. Die Gemeinde Forth bei Erlangen bestand aus „Juden und Christen“. Es gab sogar einen eigenen Judenschultheiß im Dorf, der die Rechte und Belange der Juden gegenüber der Obrigkeit zu vertreten und sich um den Schutz der Juden gegen Angriffe von Nichtjuden zu kümmern hatte. In größeren Fürstentümern war der Judenschutz eine Angelegenheit der Landesfürsten. Dieser Judenschutz konnte sogar wie ein Nutzungsrecht an andere Fürsten übertragen werden.116

      Bei der kommunalen Rechnungslegung feierten Juden und Christen gemeinsam.117 „In Biebelried (Franken) erhielt 1556 ein Jude (sogar) das Amt des Försters.“118 Auch in einigen Gemeinden von Schwaben „hatten die Juden vollen Anteil an den Gemeindegütern und den Nutzungen.“119 Wie stark nicht nur das städtische (Fürth, Nürnberg, Würzburg etc.), sondern auch das Landjudentum in Franken die fränkische Kulturlandschaft prägte, zeigen die neueren Forschungen der Arabistin Frau Rajaa Nadler im oberfränkischen Ermreuth. Sie zeigt, dass es in Franken nicht nur Antijudaismus und Antisemitismus von Seiten der christlichen Bevölkerung gab (und auch heute noch gibt), sondern dass es immer wieder Epochen eines harmonischen und toleranten Zusammenlebens gab.120

      Neben den drei fränkischen Regierungsbezirken war in Nordbayern das wittelsbachische Fürstentum Pfalz-Sulzbach ein weiteres Territorium, in welchem der Landesfürst bereits ab 1666 den Juden ein dauerndes Aufenthaltsrecht mit weitreichenden Freiheiten auch im wirtschaftlichen Bereich gewährte. So konnte sich die Stadt Sulzbach zu einem der größten Druckorte für hebräische Literatur in ganz Europa entwickeln. Es war auch ein bevorzugter Standort für lutherische, reformierte und katholische Drucker. Die Angehörigen der drei christlichen Konfessionen und die Juden konnten hier in Frieden und Wohlstand zusammenleben. Mit dem sog. Simultaneum, einem Toleranzedikt für die christlichen Konfessionen, hatte Christian August von Sulzbach bereits wenige Jahre nach dem 30jährigen Krieg neue Maßstäbe der Religionspolitik gesetzt. Unter solchen in Europa bisher nur wenig bekannten Voraussetzungen konnte sich die Sulzbacher Residenz zu einem europäischen Geisteszentrum entwickeln. Seit 1668 trug zudem das Wirken des Universalgelehrten und Literaten Christian Knorr von Rosenroth zu einer weiteren Belebung des Sulzbacher Musenhofes bei. Er „übersetzte zahlreiche Werke der Frühaufklärung ins Deutsche“ und die hebräische Kabbala ins Lateinische. Mit dem Sulzbacher Musenhof standen so bedeutende Gelehrte wie der Philosoph Leibniz und Franciscus Mercurius, der Alchemist, Kabbalist, Theosoph, Arzt, Rosenkreuzer in einer Person war, in reger Verbindung.121 Mercurius war seit 1677 Quäker und wie sein Freund Knorr von Rosenroth ein guter Kenner der hebräischen Sprache und der jüdischen Kultur. Bei der Ansammlung von so viel Geist verwundert es nicht, dass sich die hebräischen Druckereien als besonderer Ausdruck des jüdischen Kulturlebens in Sulzbach trotz der seit dem frühen 19. Jahrhundert wachsenden „Deutschtümelei“ bis 1851 in Sulzbach halten konnten.

      Diese Deutschtümelei, deren „infantilen Extremismus“122 bereits Heinrich Heine verachtete, nahm erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders nach der Gründung des Deutschen Reiches, extreme Ausmaße an und schlug immer mehr in einen rassistisch geprägten Antisemitismus um. In der Zeit zwischen dem Wiener Kongress und der Revolution von 1848 war jedoch das Zusammenleben zwischen Christen und Juden noch nicht so stark vergiftet und in manchen Gegenden Deutschlands noch durchaus erträglich. Es gab allerdings schon vor 1848 Theaterstücke wie „Die Judenschule“ und „Unser Verkehr“ wie auch ‘historische’ Abhandlungen, in denen Juden offen verhöhnt wurden. Im „Judenspiegel“ von 1819 war die Tötung eines Juden keine Sünde und kein Verbrechen, sondern nur ein „Polizeivergehen“.123 Der latente Antijudaismus konnte jedoch bei besonderen Gelegenheiten auch vor 1848 immer wieder wie eine Pest offen ausbrechen. Selbst in einer so weltoffenen und toleranten ‘englischen’ Stadt124 wie Hamburg, in der seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert Juden und Christen – Heinrich Heine bezeichnet die Hamburger Christen als „getaufte Juden“, die Hamburger Juden als „ungetaufte Juden“ – harmonisch zusammen lebten und Geschäfte betrieben, machte in der sog. Juli-Revolution von 1830 „der Pöbel in den Straßen Jagd auf Juden oder warf ihnen die Fenster ein, wenn sie am Abend Licht zu machen wagten. Viele Häuser wurden demoliert.“ Das Haus des in Hamburg höchst beliebten Kaufmanns Salomon Heine, Onkel und Finanzier von Heinrich Heine, am Jungfernstieg „entging gerade noch einem Steinhagel“.125 Solcher Antijudaismus gewann immer mehr Raum in einer Zeit, als sich Juden in allzu leichtfertigem Verzicht auf ihre Tradition allzu schnell an die deutsche Kultur assimilierten. Juden wurden damals verhöhnt, nicht weil sie ihre jüdische Tradition pflegten, sondern weil sie als „sterile[n] Mischlinge aus Deutschtum und Judentum“ (Heine) ihre Tradition vergaßen und die allen Juden gemeinsame Tora verleugneten.126 Tora bedeutet wörtlich die von Gott ausgehende „Weisung“.

      Das in manchen Regionen wie z.B. im katholischen Rheinland noch sehr harmonische Zusammenleben von Christen und Juden im sog. Vormärz äußerte sich auch im Bildungswesen. Am Düsseldorfer Lyzeum hatte z.B. Heinrich Heine (1797-1856) „viele katholische Priester, unter ihnen auch einige Jesuiten“127 als Lehrer. Hier legte Heinrich Heine den Grundstock für seine spätere Einstellung zum Katholizismus:

      „Ich habe eigentlich immer eine Vorliebe für den Katholizismus gehabt, die aus meiner Jugend herstammt und mir durch die Liebenswürdigkeit katholischer Geistlicher eingeflößt ist.“

      Das Verhältnis von Harry Heine und seiner Familie zum Katholizismus nahm in Düsseldorf sogar groteske Züge an. Die Familie von Heinrich Heine wohnte in Düsseldorf in einem Haus, dessen Bewohner nach altem Herkommen bei Prozessionen einen katholischen Altar vor dem Haus zu errichten und zu schmücken hatten. Vater Samson Heine „setzte seinen Stolz darein, diesen Altar so kostbar wie möglich zu machen; und der junge Harry wirkte freudig mit“128. Dort nahm er die „katholische Humanität“ als wichtigen Bestandteil seines Lebens in sich auf. Aus der Sicht der von ihm in Düsseldorf genossenen katholischen Erziehung waren für

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