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eingeführt haben soll, von Seiten der katholischen Kirche amtlich als Beginn des bürgerlichen Jahres. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wechselte also der Jahresbeginn sehr häufig.

      Neben den eigentlichen Fälschungen von Urkunden und vergleichbaren rechtsrelevanten Quellen stellen Chronologiemanipulationen und –fälschungen ein besonderes Problem dar, welches sich auch auf die Bewertung der Antike auswirkt. Es ist denkbar, dass die Kalenderreform in Verbindung mit der Ablösung des julianischen durch den gregorianischen Kalender im Jahre 1582 nicht nur zu chronologischen Verzerrungen der Jahreszählung, sondern darüber hinaus zu weiteren Geschichtsmanipulationen geführt hat. Gabowitsch stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Altertum nicht eine Erfindung der Renaissance64 sei. Seine überspitzt formulierte Frage ist verständlich, wenn man bedenkt, dass man im Mittelalter zwar über die Bibel Bescheid wusste (zumindest die weltliche und geistliche Oberschicht sowie die Mitglieder der geistlichen Orden), dass man aber, von einigen Gelehrten abgesehen, so gut wie keinen Begriff vom Altertum hatte.

      Man darf zudem davon ausgehen, dass die große Masse der Menschen noch bis ins 18. Jahrhundert hinein weit davon entfernt war, ein historisches Bewusstsein zu haben. Selbst wenn man Ereignisse der Antike und des Mittelalters als wahr und real akzeptiert, dann kann man nicht ausschließen, dass die diesen Ereignissen zugeordneten Datierungen unrichtig sind und unter Umständen sogar um Jahrzehnte und evtl. sogar um Jahrhunderte vom ‘richtigen’ Datum abweichen können.

      Interessant ist folgendes: In einer Schützenscheibe vom 10.09.1786 zu Ehren der Geburt von Prinz Ludwig, dem späteren bayerischen König Ludwig I., ist ein Chronosticon mit römischen Zahlen eingebaut. Die Summierung dieser römischen Ziffern ergibt jedoch das Jahr 786, nicht 1786. Thomas Weidner65 deklariert die Jahreszahl 1786 als kleinen Fehler, „da das M von ‘palma’ aus Versehen nicht als Großbuchstabe gestochen wurde“. Es verwundert, dass der Fehler für ein so offiziöses Dokument erst viel später entdeckt wurde.

      Höchst aufschlussreich ist auch die Tatsache, dass man im Vatikan und in Italien bis heute die Jahrhunderte ohne die Jahrtausendangabe zählt, also nicht mille quattrocento, sondern quattrocento für das 15. Jahrhundert. Erschwerend für die Ermittlung richtiger historischer Daten kommt noch hinzu, dass man in Ost- und Westrom bis ins hohe Mittelalter in der Regel nicht nach Monatsnamen (z.B. 5. Juli 1002), sondern nach den altrömischen Iden, Nonen und Kalenden, vielfach im Rahmen von Indiktionen66, gerechnet hat. Erstaunlich ist, dass nach Wikipedia erst der in Ostrom (Istanbul) herrschende Kaiser Justinian 537 den 15jährigen Indiktions-Zyklus im Rahmen der Novelle 47 einführte. Erst die Ottonen kombinierten die Jahreszählung nach Indiktionen mit der Anno-Domini-Chronologie (ab incarnatione domini, ab der Geburt des Herrn). Das gilt auch noch für Urkunden, welche der erste salische Kaiser Konrad II. bis 1033 ausstellte.67 Diese neuen Erkenntnisse zur altrömischen Indiktion lassen nach Manfred Neusel den Schluss zu, „dass karolingische Urkunden in ottonischer Zeit geschrieben oder datiert wurden.“68 Das würde den Kreis der echten karolingischen Urkunden weiter reduzieren.

      In Verbindung mit der Frage der neuen gregorianischen Chronologie von 1582, welche ohne die neuen ‘arabischen’ Ziffern undenkbar wäre, ergibt sich die zentrale Frage, „wie und auf welche Art der alte Julianische Kalender über einen Zeitraum von über 1500 Jahren mitsamt seinen vielen Schaltjahren verwaltet worden ist.“69 Solche grundlegenden Fragen der Chronologie ließ die konventionelle historische Forschung bis heute unerörtert. Die nach der Kalenderreform von 1582 getätigten Chronologierekonstruktionen wie z.B. die von Scaliger bilden auch noch heute die Grundlage unserer Chronologie. Seitdem hat sich hier, wenn man von einem nicht konventionellen Forscher wie Morosov70 absieht, nichts wesentlich Neues getan.

      Davidson hat als erster deutlich auf den höchst merkwürdigen Tatbestand hingewiesen, dass im Alten Testament die klassischen Autoren und Ereignisse der altgriechischen Geschichte und umgekehrt bei den klassischen griechischen Autoren das Alte Testament und die Ereignisse im alten Palästina keine Erwähnung finden. Auch bei Herodot, dem ‘Vater der europäischen Geschichtsschreibung’, konnte ich nichts finden, was auf die Existenz eines jüdischen Volkes und jüdischer Schriften hingewiesen hätte. Herodot berichtet zwar über Palästina, kennt aber dort keine Juden oder Hebräer, sondern nur Syrer im „palästinischen Syrien“.71 Die Griechen bezeichneten die Assyrer und Kappadoker anders als die Barbaren als „Syrier“ (Herodot I 72 und VII 63), die Perser die Syrier als Kappadoker (Herod. VII 72). Auch das arabische Küstengebiet wird von Syrern bewohnt (Herod. II 12). Sie gehören zur dritten persischen Satrapie und sind somit nicht autonom (III 90). Bei Herodot grenzt Ägypten an Syrien und die Phöniker leben in Syrien (Herod. II 116). Er berichtet allerdings über Phöniker und Araber („Königreich Arabien“ III 5) an verschiedenen Stellen. Ist es denkbar, dass er die Juden einem der drei semitischen Völker zurechnete und somit eine besondere Erwähnung nicht für nötig hielt?72 Selbst wenn dem so wäre, so verwundert, dass Herodot nicht auf die heiligen Schriften der Juden zu sprechen kam. Diese seltsame Nichterwähnung eines jüdischen Volkes (Juden, Hebräer) bei Herodot und anderen antiken Autoren versucht Shlomo Sand, Professor für Neuere Geschichte an der Universität von Tel Aviv, in seinem ursprünglich in Hebräisch verfassten Buch73 damit zu erklären, dass sich das Judentum „traditionell aus vielen religiösen Gruppen“ zusammensetzte und „erst im Laufe der zionistischen Geschichtsschreibung zur ‘Nation’ umgedeutet“ worden sei.74 Der Begriff der „Nation“, so wie Sand ihn deutet, ist allerdings ein rein politisches Konstrukt des nationalistischen 19. Jahrhunderts. Sand beachtet bei seinen Aussagen jedoch nicht, dass im Alten Testament die Juden mehrfach als „Gottesvolk“ und „auserwähltes Volk“ bezeichnet werden. Den religiösen Begriff des „Volk Gottes“ überträgt dann das Neue Testament zuerst auf die Judenchristen und dann allgemein auf alle Christen. Der jüdisch-christliche Volksbegriff ist somit gegenüber anderen Definitionen von „Volk“ eher als höherwertiger einzustufen. Selbst Nichtjuden wie Heinrich Sanden lassen keinen Zweifel daran, dass die jahrhundertelange biologische und soziale Abkapselung der Juden, welche die Existenz des jüdischen Volkes bis heute sicherstellte, „durch das Mittel der Religion bewirkt“75 worden ist. Nicht einmal der Verlust des sprachlichen Zusammenhaltes, der im Laufe von zwei Jahrtausenden erfolgte – die verschiedenen jüdischen Volksgruppen hatten unterschiedliche Sprachen wie Hebräisch, Aramäisch, Griechisch, Jiddisch, Ladino, Judezmo etc. –, führte, wie bei anderen antiken Völkern, zum Auseinanderbrechen des jüdischen Volkes.76 Durch seine starke Familiengesinnung, Geburten- und Bildungsfreude war das herausragende „Gottesvolk“ bis in unsere Gegenwart widerstandsfähiger und stärker als jede moderne „Nation“.

      Nicht nur das „jüdische Volk“, sondern auch die Vertreibung der Juden aus Palästina durch die Römer deklariert Shlomo Sand als Legende: „Kein einziger antiker Schriftsteller erwähne die Vertreibung“, nicht einmal der jüdische Historiker Flavius Josephus, der „einer der Anführer des Aufstandes 70 nach Christus“ gegen die Römer in Palästina war.77 Bei der Lektüre der Werke von Eisler, Brasi, Davidson und Landau, die er übrigens nicht zitiert, wäre Sand zu anderen Ergebnissen gekommen.

      Zweifler an der amtlichen jüdischen Tradition finden sich auch im nichtjüdischen Lager. So ist es z.B. für den Schweizer Christoph Pfister, wohl auf Davidson aufbauend, „vollkommen unverständlich, weshalb zur Zeit der römischen Kaiser niemand biblische Themen nutzte, die doch angeblich schon bestanden hätten.“78 Der französische Chronologiekritiker Serrade erklärt diesen eigenartigen Sachverhalt mit einem großen Zeitloch und plädiert für eine „Verkürzung der Kulturepochen“ und rät zu „einer Elimination des Mittelalters.“ Auf Grund eines großen Zeitloches würde nach Serrade auf die Römerzeit unmittelbar die Renaissance folgen. Die Renaissance wäre somit im Sinne von Pfister nicht eine Wiedergeburt, sondern eine unmittelbare Fortsetzung der Antike.79 Falls man eine solche Auffassung akzeptieren würde, wäre die logische Folge, dass das Judentum und Christentum bei weitem nicht so alt wären, wie man bisher annahm. Es gibt darum auch immer mehr Autoren, welche in Nachfolge der radikalen Auffassungen von Wilhelm Kammeier versuchen, für eine spätere Entstehung des Christentums und anderer historischer Erscheinungen im späten Mittelalter bzw. in der frühen Neuzeit zu plädieren und eine solche Auffassung aus der Parallelität bestimmter

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