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die Fälscherei „besonders im 12. und 13. Jahrhundert sehr hoh gewesen“.28 Fälschungsmotive waren das Streben nach Besitzrechten, Freiheit von Zöllen, Steuern und sonstigen Privilegien. Nicht selten wurden Datumsangeben ‘rasiert’ und evtl. sogar falsche Kalenderdaten nachgetragen. Auch personae non gratae, z.B. Anhänger des Kaisers im Investiturstreit, wurden aus den Urkunden und Chroniken ausgemerzt. Man bezeichnet diesen Vorgang in der Geschichtsforschung als damnatio memoriae, als Löschung aus dem kollektiven Gesächtnis einer Gemeinschaft.

      Noch krasser als die diversen Fälschungsmethoden war die kriminelle Erfindung bzw. das Verschieben von Ereignissen. Der bretonischfranzösische Jesuitenpater und Historiker Jean Hardouin, der von 1646 bis 1729 lebte, hat die These aufgestellt, dass ein Großteil der antiken und insbesondere der antiken christlichen Literatur erst im Mittelalter entstanden sei. Durch Rückdatierung sei der Eindruck erweckt worden, dass es sich hierbei um antike Schriften handelte.29 Nicht alle diese Rückdatierungen beruhen auf absichtlichen Fälschungen, manche fehlerhafte Zuschreibungen, z.B. bei Augustinus, sind durch Irrtum und Missverständnisse zustande gekommen. Dass diese Methode des so genannten Pseudepigraphierens im Mittelalter tatsächlich immer wieder praktiziert wurde, hat sich inzwischen nicht nur bei den Historikern herumgesprochen.30

      Wir dürfen deswegen mit Ralph Davidson, Roman Landau, Herbert Illig und vielen anderen kritischen Historikern davon ausgehen, dass Fälschungen und Manipulationen antiker und mittelalterlicher Dokumente und sogar von Sachquellen in noch größerem Stil weit über die bisher bekannten Geschichtsmanipulationen hinaus im Mittelalter durchgeführt und bis heute weder wahrgenommen noch nachgewiesen worden sind. Illig machte, wenn man von Wilhelm Kammeier absieht, als einer der ersten „auf den gewaltigen Umfang an schon bislang entlarvten mittelalterlichen Fälschungen“31 aufmerksam.32

      Wie wenig die Fälschungen des Mittelalters noch zu verbergen sind, beweist die Tatsache, dass die Mediävisten immer mehr die Flucht nach vorne antreten. So fand in München im Jahre 1986 ein großer Kongress über Fälschungen im Mittelalter statt. Als Veranstalter fungierten die Monumenta Germaniae Historica in München. Das Protokoll des Münchner Fälschungskongresses zur Mediävistik von 1986 „umfasst mehr als 3700 Seiten“33 und wurde 1988 in einem Konvolut von fünf Bänden und einem Registerband publiziert.

      Der Organisator des Kongresses von 1986 und Präsident der Monumenta Germaniae Historica, Horst Fuhrmann, veröffentlichte 1987 das Buch „Einladung ins Mittelalter“.34 Höchst bezeichnend an diesem Werk ist die Tatsache, dass der Autor die zahlreichen Fälschungen des Mittelalters nicht nur nicht leugnet, sondern diese sogar ins Positive umdeutet. Er bringt die gleichen Argumente wie einer, der vor Gericht steht und alles tut, um nicht verurteilt zu werden.

      Erstes Argument: Weil die anderen gefälscht haben, mussten wir auch fälschen. Wir mussten uns also wehren.

      Zweites Argument: Unser Fall (das Mittelalter) ist etwas ganz anderes als andere Fälle (Epochen). Die Fälschungen des Mittelalters könne man also nicht mit Fälschungen in anderen Epochen vergleichen und man könne somit nicht die kritischen Maßstäbe anlegen, wie man dies bei anderen Epochen praktiziert.

      Es ist also in der mittelalterlichen Geschichtsforschung wie vor Gericht: Der Angeklagte plädiert auf „unschuldig“ und ist dem Richter böse, wenn er ihm nicht glaubt. Wenn man diese Argumente kennt, dann darf es einen nicht wundern, wenn beim Münchner Fälscherkongress von 1986 nicht viel herausgekommen ist. Die meisten Referate der Tagung gehen der Sache nicht auf den Grund und hängen sich an Quisquilien (z.B. Missbrauch von Siegeln) auf. Wilhelm Kammeier, den man mit diesem Kongress bekämpfen und unschädlich machen wollte, wurde totgeschwiegen und nur polemisch in einer Fußnote erwähnt. Die Frage, ob ganze Epochen des Mittelalters erfunden und in welchem Ausmaß Quellen gefälscht sein könnten, fiel völlig unter den Tisch. Auch zu zentralen Themen des Mittelalters, nämlich zur Urkundenlehre, zur Paläographie (Schriftentwicklung) und zur Buchmalerei (als der Hauptkunstform des Mittelalters) haben die Referenten des Kongresses nicht wirklich fundiert Stellung bezogen.

      Ende Oktober 2006 trafen sich 20 Wissenschaftler mehrerer Fachgebiete in Ingolstadt, um über das Thema „Bayern und Ingolstadt in der Karolinger-Zeit“ zu diskutieren.35 Anlass des Kongresses war die erste urkundliche Erwähnung Ingolstadts in der sog. Reichsteilungsurkunde Karls des Großen von 806. Diese Urkunde ist nicht im Original, sondern nur (wie so oft) in mehreren Abschriften erhalten. Selbst eine konventionelle Historikerin wie Beatrix Schönewald, Leiterin des Ingolstädter Stadtmuseums, muss zugestehen, dass es in dieser Urkunde ungeklärte Fragen gibt, z.B. „die Beteiligung des Papstes und der Römer an späteren Kaiserkrönungen oder das Spannungsfeld zwischen der Idee eines unteilbaren Kaisertums und dem Prinzip der germanischen Reichsteilung.“36 Solche Aussagen sind typisch für die Zeit ab dem 11. Jahrhundert und weisen eher auf eine spätere Abfassung der Urkunde hin. Nach zwei weiteren Nennungen erscheint der Name von Ingolstadt nochmals in der sog. Gozbald - Urkunde von 851, „bevor die Stadt 300 Jahre in den Quellen nicht mehr auftaucht.“37 Gerd Riedel spricht sogar von „fast vier Jahrhunderten praktisch schriftquellenloser Zeit“.38 Auf sicherem Boden steht man in Ingolstadt erst im 13. Jahrhundert. Hier bieten das älteste bayerische Herzogsurbar von ca. 1231, das Urbar von ca. 1280 und das Niederaltaicher Zehentbuch von 1372 eine sichere Quellenbasis.39

      Neben dem mehr als dreihundertjährigen Schweigen der Quellen seit 851 fällt auch der Mangel archäologischer Quellen in der Altstadt von Ingolstadt erheblich ins Gewicht. Der Ingolstädter Theodor Straub weist darauf hin, dass es „in der Altstadt keine Spuren der Römer, Kelten und Bajuwaren gibt.“ Er schließt aus dieser nicht zu leugnenden Tatsache „auf eine fränkische Neugründung, vermutlich aus dem zweiten Drittel des 8. Jahrhunderts.“40 Eine spätere Gründung Ingolstadts ist angesichts der mageren archäologischen Quellen also nicht unwahrscheinlich. Ingolstadt ist eines der Beispiele dafür, dass bei frühmittelalterlichen Datierungen ohne entsprechende archäologische Funde Skepsis angebracht ist.

      Beim 3. Medieval History Seminar in Washington D.C. ging es im Jahre 2003 noch härter zur Sache. Viele Teilnehmer ließen sich nicht durch die Anwesenheit des konservativen deutschen Mediävisten Erich Fried beirren und kamen zu der Auffassung, dass mehrere mittelalterliche Historiker „ihre historiographischen Quellen konsequent als Fiktionen verstanden“.41 Nicht wenige Teilnehmer zeigten sich in der Diskussion zudem für Kritik an der karolingischen Phantomzeit offen und stimmten darin überein, „daß das 9. Jh. mit derartig ‘gefälschten’ historischen Texten durchsetzt sei, die zutreffender als fiktional anzusprechen seien“.42 Auseinandersetzungen zu den Fälschungen und Erfindungen des Mittelalters im Allgemeinen und zu Illigs „Phantomzeit“ im Besonderen sind in der Geschichtswissenschaft keine Randerscheinung mehr, sondern wirken ansteckend wie ein Grippevirus. Denn im Januar 2004 hat ein bislang wenig bekannter Autor einen sehr ansprechenden Neuansatz einer gegenüber Illig verkürzten frühmittelalterlichen Phantomzeit vorgelegt. Der Historiker Manfred Neusel kommt dabei, ausgehend vom Studium im Rhein-Main-Gebiet, auf insgesamt 220 Phantomjahre innerhalb der sicheren Grenzen zwischen 640/50 und 860/70.43

      Auch in der Mittelalterbranche sind heute Fälschungen kein Tabuthema mehr, wie die neuesten Studien zu den pseudoisidorischen Dekretalen44 zeigen. Bei dieser erst im 16. Jahrhundert aufgedeckten Fälschung handelt es sich um „eine im 9. Jahrhundert entstandene kirchenrechtliche Sammlung von gefälschten Briefen ur- und frühchristlicher Oberhirten.“45

      Noch dreister ging Papst Gregor VII. vor. Er versuchte zu beweisen, dass „Karl der Große ganz Gallien dem Papsttum zinspflichtig gemacht und ihm ganz Sachsen geschenkt habe.“46 Die berühmt-berüchtigte „Konstantinische Schenkung“ wurde schon im Mittelalter als politisches Machwerk zur Machtsteigerung der Kirche erkannt. Möglicherweise stammt sie gar nicht aus der späten Antike, sondern ist wohl erst im 8. Jahrhundert oder noch später entstanden. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Pippinsche Schenkung älter ist als die Konstantinische. Diese Pippinsche Schenkung vom 7. Januar 754 soll auf den karolingischen König Pippin III. (er regierte von 751 – 768) zurückgehen. Bei ihr könnte allerdings auch ein Schenkungsversprechen von 754/756 vorliegen, das die Leitung der römischen Kirche

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