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keine Rede sein. Die Toleranz der vorindustriellen Gesellschaft läuft also weitestgehend auf eine Duldung der „Anderen“ hinaus. Man musste die Juden und teilweise auch die iberischen Moslems schon deswegen dulden, weil vor allem die adelige und kirchliche Führungsschicht auf sie nicht zuletzt wirtschaftlich angewiesen war. Wirklich tolerant gegen die Juden waren selbst protestantische Fürsten nicht. Nur relativ wenige von ihnen waren wie z.B. der Große Kürfürst bereit, aus rein pragmatischen Erwägungen Juden und Kalvinisten ins Land zu lassen bzw. sogar zu rufen.90 Die Einsicht in die volkswirtschaftlichen Vorteile, die sich aus den wirtschaftlichen Aktivitäten der Juden ergaben, überwogen in solchen Fällen in der Regel die Bedenken gegen sie. Wenn sich die Juden wie in den Niederlanden, in Polen, seit dem Großen Kurfürsten auch in der Mark Brandenburg eher als in anderen Ländern halten konnten, dann war das also nicht unbedingt Ausdruck menschlicher Toleranz oder gar christlicher Nächstenliebe.

      Als Historiker muss man sich sehr davor hüten, geschichtliche Verhältnisse nur aus der Sicht der Normen- und Rechtssphäre zu betrachten. Sowohl aus jüdischer wie auch aus christlicher Sicht zeigt der Verlauf der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte, dass verschiedene Herrscher und Regenten sich nicht bzw. nicht immer an die Beschlüsse der Päpste, Bischöfe und anderer Potentaten hielten und Juden sogar als Hoffaktoren, Minister, Berater und Sprachlehrer, nicht zuletzt auf der iberischen Halbinsel im Mittelalter, einsetzten. Auch kleinere Herrschaften wollten bzw. konnten auf solche jüdische Experten nicht verzichten. Selbst Königin Christine von Schweden (1626-1689) behielt nach ihrer Abdankung und Konversion zum Katholizismus (1655) ihren jüdischen Hoffaktor bei. Sie feierte mit „ihrem Juden“ sogar im Jahre 1667 in Hamburg die Krönung von Clemens IX. zum römischen Papst.91 Diese wenig bekannte Episode legt nahe, dass es zumindest seit dem 17. Jahrhundert eine friedliche Koexistenz von Vatikan und europäischem Judentum gegeben hat. Vor allem die europäischen Eliten wussten nicht nur das wirtschaftliche Know-how, sondern auch das intellektuelle Niveau der Juden sowie deren Vertrautheit mit dem Alten und Neuen Testament zu schätzen.

      Bei der Behandlung der Juden durch die europäischen Eliten gab es allerdings eine breite Skala: Getaufte Juden, Konvertiten, wurden anders behandelt als nicht getaufte, wohlhabende anders als arme Juden. Aus den rigiden Vorschriften des „Freisinger Rechtsbuches“, welche die rechtlichen Beziehungen zwischen Juden und Christen minimierten, könnte ein Historiker, der die rechtliche Normierung der sozialen Realität gleichsetzen würde, auf die Idee kommen, dass den Juden bereits im Hohen Mittelalter jeglicher Eintritt in die ‘bessere’ christliche Gesellschaft und der soziale Aufstieg völlig unmöglich geworden war.

      Dieses „Freisinger Rechtsbuch“ von 1328, das sich auf den Bayerischen Landfrieden von 1300, das Augsburger Stadtrecht (1276/1281) und vor allem auf den Schwabenspiegel stützt, enthält „hauptsächlich Vorschriften über Diebstahl, Erbrecht und die Juden“. In diesem Buch mit insgesamt 278 Artikeln werden Juden in vielen Punkten mit Christen gleichbehandelt, z.B. im Fall von Totschlag. Wichtig erscheint mir die Bestimmung, dass Juden nicht zwangskonvertiert werden durften. Allerdings waren Konvertierte voll ins bürgerliche Leben integriert und es wurde von Seiten der Christen alles getan, z.B. durch Sammlungen in Kirchen, dass der getaufte Jude wegen „leiblicher Not“ nicht mehr ins Judentum zurückfalle.92 Bestimmungen zu den Juden finden sich auch in „Des Kaisers Buch“ im oberbayerischen Landrecht von Kaiser Ludwig dem Bayern aus dem Jahre 1346. Der Art. 184a über die Juden wurde seltsamerweise später aus den Handschriften getilgt.93 Er wurde wohl als zu judenfreundlich empfunden.

      Auf eine wohl positive Bewertung der jüdischen Kultur durch die christliche Umgebung deutet die erstaunliche Tatsache hin, dass auf den Wappen adeliger Familien, die unverkennbar jüdische Namen tragen, im Raum Freising im 15. Jahrhundert jüdische Symbole auftauchen. Ob man daraus den Schluss ziehen kann, dass es sich um Familien jüdischer Provenienz handelt, lässt sich nicht mehr klären, ist aber in Anbetracht der noch im 9. und 10. Jahrhundert im Raum Freising vorkommenden alttestamentlichen Namen wahrscheinlich. Das Wappen der adeligen Familie der Jud von Bruckberg „zeigt einen bärtigen Judenkopf mit dem entsprechenden spitzen Hut. Auch der Grabstein des Paulus Jud von Bruckberg von 1475 in der Bruckberger Pfarrkirche enthält das gleiche Wappen“94. Das Wappen der Familie Jud ist in stilisierter Form in Apians Wappensammlung abgebildet.95 Die schönste Darstellung bietet das Allianzwappen der Herren Jud und Radlkofer. Dieses befindet sich als Malerei auf dem Vorsatzblatt eines Psalters der Dombibliothek Freising. Diese Inkunabel ist 1477/78 gedruckt worden und befand sich im Besitz des altbayerischen Adelsgeschlechtes der Herren von Bruckberg.96 Der spitze Judenhut befindet sich hier sowohl auf dem Wappenschild als auch oberhalb der Wappenkrone. Aus dem beigefügten Text geht hervor, dass es sich um die Jud von Bruckberg handelt. Der spitze Judenhut scheint jedoch ursprünglich im Raum Freising nichts Ehrenrühriges gewesen zu sein. Denn selbst im Moosburger Graduale, „das der Dekan Johannes Perkhauser zwischen 1354 und 1360 für die Stiftskirche St. Kastulus in Moosburg zusammengestellt hat“, trägt der bärtige heilige Joseph „einen spitzen Judenhut.“97

      Auf dem Grabstein in der Abb. 3 (unten) segnet Jesus vom Kreuz aus mit erhobenen Händen zwei Ritter. Der zu seiner Linken ist der Jud von Bruckberg, deutlich an seinem Wappen mit dem jüdischen Spitzhut erkennbar, der zu seiner Rechten höchst wahrscheinlich ein knieender christlicher Ritter, der keine Kopfbedeckung trägt. Auch in der nicht weit entfernten romanischen Kirche von Ainau (wohl um 1230 errichtet), heute in der Stadt Geisenfeld gelegen, zeigt das Tympanon beim Kircheneingang „die Seelen in Abrahams Schoß umgeben von Propheten und überragt von Christus als ‘Maiestas domini’“.98 Auch hier steht Jesus in der Mitte.

       Abb. 1 und 2: Wappen der Jud von Bruckberg im Psalter des Nicolas (de Lyra), im unteren Bild ein Ausschnitt

      Neben den Bruckbergern taucht auch das Geschlecht derer von Judmann, ein Name, der unverkennbar jüdisch klingt, seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Raum Regensburg und in Oberbayern auf.99 Der erste uns bekannte Judmann ist Gerold Judmann von Reichertshausen im Landkreis Freising. Nach Auffassung von Strzewitzek stammt Gerold nicht aus dem Geschlecht der Judmann, sondern der Sippe der Waldecker.100 Wie aber ein Waldecker zum Namen Judmann kam, ist aber nach wie vor nicht ausreichend geklärt. Gerold war sogar Bischof von Freising. Schlecht soll er jedoch sein Bistum elf Jahre lang verwaltet haben, deshalb wurde er wohl auch außerhalb des Münsters (monasterium) in der Vorhalle begraben. Nahe beim Grabstein von Gerold von Judmann befindet sich auch derjenige des Domdekans Tolkner (nach Goerge Tolknar), gestorben 1397. Auf dem oberen Teil des Tolkner’schen Grabsteins sieht man in seinem Wappen eine Katze mit einer Maus im Maul. Dabei sollen nach Sighart „früher“, also vor 1859, noch folgende Zeilen zu lesen gewesen sein:

      „So wahr die Katz die Maus nit frisst / Wird je ein Jud ein wahrer Christ.“101

      Diese Inschrift richtet sich nicht generell gegen die Juden, sondern wohl gegen Konrad von Tolkner. Wahrscheinlich ist die Initiative zum Anbringen dieser Inschrift unten am Tolkner’schen Grabstein von Freunden und Verwandten des gedemütigten Gerold von Judmann ausgegangen. Die obigen Verse deuten unverkennbar eine jüdische Vergangenheit bzw. Herkunft von Tolkner an. Darin sahen wohl manche Mitglieder des Freisinger Domkapitels und der Freisinger Geistlichkeit eine Schwachstelle Tolkners. Zudem war ja allgemein bekannt, dass Tolkner Gerold von Judmann 1230 in Rom verklagt und dessen Absetzung wegen der Verschleuderung von Freisinger Kirchengütern bewirkt hatte. Dem Streit zwischen Gerold Judmann mit Konrad von Tolkner lag eventuell auch ein politisches Motiv zu Grunde. Denn Gerold hatte Freising von dem judenfreundlichen Herzog Ludwig dem Bayern, dem späteren Kaiser, zu Lehen genommen und damit die politische Autonomie des Hochstifts Freising in Frage gestellt. Am 29. Juli 1230 setzte ihn dann der Papst

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