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finden und wieder in die Seele zurückspiegeln kann. Und da er stets ein Wissen vermittelt, das er selbst gar nicht durchschaut, sondern an das er nur gefühlsmäßig glaubt, weil es seine inneren Sehnsüchte entflammt, identifiziert er sich gerne mit Rollen, die mit Bewusstseinserweiterung zu tun haben. Deshalb ist er darauf erpicht, auch seinen Mitmenschen einen erweiterten Bewusstseinshorizont zu vermitteln. Dabei geht es nicht um Wissen im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr darum, das Wissen dingfest zu machen: Jede Bewusstseinserweiterung setzt nämlich einen geistigen Fixpunkt voraus, um von diesem aus dann in sein eigenes Universum abheben zu können.

      In dieser Art von Sinnfindungsprozess manifestiert sich die unbewusste Absicht, „draußen“ zu finden, was man „innen“ sucht. Tatsächlich ist der Mensch selbst der Schöpfer seines Gottes, ohne es wahrhaben zu wollen, dass er sich dabei nur selbst – sich seines Selbst von ferne erinnernd – in seiner eigenen Schöpfung entdeckt. Der rote Faden seiner Erkenntnissuche liegt einzig und allein in der Sicherheit der Erinnerung, und seine eigene Schöpfung entspringt der Sehnsucht, stets das zu erstreben, was er auch prompt immer wieder „findet“ – ein im Suchen selbst liegender Lebenssinn! Was der Mensch aus dieser Not heraus „Gott“ nennt, ist in Wahrheit sein eigenes, von ihm allein geschaffenes Ebenbild, weil er sich an Gott selbst nicht (mehr) erinnern kann. Und was er als Ziel bezeichnet, enthüllt im Grunde nur seine Absichten, und zwar in Form des von ihm selbst entworfenen Schöpfungssinns. Finden ist seine spezifische Form von Suchen!

      Man sagt, dass Krisen von Menschen ausgelöst werden, aber das ist nicht ganz präzise:

       Krisen werden von den Inhalten und Systemen, die den Menschen aufoktroyiert worden sind, ausgelöst, wenn die Menschen ihre angelernten Inhalte in der Welt zu verwirklichen trachten.

      Akron

      Die logischen Axiome des Aristoteles, seit mehr als zweitausend Jahren das Fundament des abendländischen Denkens, sind nicht nur die sichere Grundlage, auf der unser Weltbild steht, sondern sie sind gleichzeitig auch der Preis für diese Sicherheit. Sie errichten nicht nur die hohen Mauern der rationalen Wissenschaften, die alles ausgrenzen, was sich nicht in die Gesetze der Logik eingliedern lässt, sondern sie mutieren auch zu einem Filter unserer Erkenntnis, der alles aussondert, was nicht durch Stoff und Form, Bewegung und Ziel definiert werden kann. Doch es geht auch anders. Im Gegensatz zu Aristoteles ging Platon davon aus, dass wir im sichtbaren Objekt nur das erkennen können, was dem inneren Urbild dieses Objektes entspricht, d. h. was wir an Informationen oder Vorstellungen über das betreffende Objekt in uns tragen. Das bedeutet, dass unser Bewusstsein im Objekt immer nur unsere eingegebenen Erfahrungen erkennt, und dass wir, indem wir das Objekt erkennen, im Grunde immer nur uns selbst erkennen, oder genauer: unsere Perspektive gegenüber dem Objekt.

      Aus Platons Blickwinkel heraus betrachtet, ist Aristoteles’ Modell also nur eine „Vorstellung vom Leben“ – eben aus der Perspektive der Wissenschaft heraus gesehen. Denn alles, was wir in unserer Anschauung der Welt erfassen, ist eine Vorstellung von Wahrheit, ein Abbild der Wirklichkeit, abhängig von Gesetzen, die wir uns selbst geschaffen haben. Bei Letzterem beherrscht die Vorstellung bereits die Wirklichkeit, und viele Suchende glauben, dass die Vorstellung die Wirklichkeit nur ausdrückt. Wie kann die Vorstellung aber die Wirklichkeit ausdrücken, wenn sie nicht weiß, was die Wirklichkeit ist? Deshalb lässt sich im wissenschaftlichen Streben auch nicht das schöpferische Bemühen erkennen, die Natur zu verstehen, sondern höchstens das menschliche Bestreben, aus der Natur heraus das abzuleiten, was der duale Geist seinen Verständnismodellen als „zusammenhängende Erinnerungen“ dann wieder abringen kann.

      Um es ein wenig bissig auszudrücken: Eigentlich spielt es keine Rolle, was wir sehen, oder wie wir das interpretieren, was wir zu erkennen glauben – was sich vor unserem Auge abspielt. Im Grunde ist es auch völlig egal, ob wir lügen oder die Wahrheit sagen, weil die Wahrheit sowieso immer ein Teil der Lüge ist. Aber nicht, weil sie unwahr, sondern weil sie immer nur die Hälfte eines unerkannten Ganzen ist, das wir nie sehen dürfen, weil sonst unser ganzes Weltbild, das die Dinge polarisiert, zusammenbricht. Deshalb ist es nur natürlich, dass unsere Welt lückenhaft und unvollkommen ist. Denn von einem Modell, das immer einen Teil seiner selbst gegen sich selbst mobilisieren muss, um den anderen Teil zu stützen, ist schlechterdings keine Vollständigkeit zu erwarten.

      Krisen sind immer auch ein notwendiger Teil der Entwicklung, und es ist auch nicht die Aufgabe des Menschen, daraus zu lernen. Das – so zynisch es klingt – würde die Entwicklung hemmen. Die menschliche Entwicklung lag noch nie im Zurückbuchstabieren oder in der Umkehr, der Rückkehr, sondern darin, dass sie in den Lösungen von heute auf die Probleme von gestern die Probleme von morgen schafft, die nach Lösungen von übermorgen verlangen.

      Akron

      Von der Voraussetzung ausgehend, dass alles, was wir in der Welt gestalten, zuerst als Bild in uns selbst ist, äußert sich im Wunsch nach Weltgestaltung gleichzeitig auch der Wunsch nach Selbsterkenntnis. Wir müssen unsere inneren Muster in Frage stellen, wenn wir die äußere Welt verstehen wollen, aus der uns unsere eigenen inneren Fallstricke und Gefahren entgegenblicken. So können wir auch unseren eigenen Schatten sehen lernen.

      Der Schatten ist nicht nur dort, wo man ihn identifiziert, personalisiert und stigmatisiert, sondern er ist gerade auch dort, wo man ihn nicht sieht, weil man scheinbar Gutes tut. Der Schatten ist daher nicht nur in den Hexenverbrennungen, den Massakern des Dritten Reiches oder den Gräueltaten militärischer Regime zu finden. Dort tritt er nur offen zutage. Viel raffinierter versteckt er sich in den Wohltaten und Wohltätern der modernen Gesellschaft, zum Beispiel in den Wirtschaftssystemen, die auf dem Zwang zum Wachstum gründen und daher in ihrer inneren Struktur zutiefst lebensfeindlich sind.

      Unter dem Vorwand des Fortschritts haben wir die in den Atomen schlummernden Urkräfte geweckt und den Entdeckern dafür reihenweise Nobelpreise verliehen. Heute nennen wir die Entdeckung böse, dabei ist sie weder gut noch böse, sondern nichts anderes als die natürliche Fortsetzung des im Kinde wirkenden Urtriebes, seinen Teddy zu zerstören, um zu sehen, wie er innen aussieht. Es ist das krampfhafte Streben nach Fortschritt, das uns Menschen zwingt, uns immer weiterzuentwickeln, selbst wenn diese Entwicklung in eine Sackgasse führt. Dieses Streben entwickelt seine eigene Dynamik, die uns über die Grenzgebiete der Gegenwart hinaus ins Niemandsland der Zukunft trägt. Und da das Prinzip des äußeren Fortschritts dem Prinzip der inneren Entwicklung des Menschen entspricht, dürfen wir dieses Prinzip als solches nicht ungestraft in Frage stellen, auch wenn wir mit den Schattenseiten des Fortschritts konfrontiert werden. Denn es ist allemal folgerichtig, was geschieht – selbst wenn es das Ende wäre. Verlust und Zerstörung wären nicht das Risiko des Fortschritts, wenn sie nicht als solche schon im menschlichen Verhalten angelegt wären. Die menschliche Entwicklung ist ohne Risiko und Zerstörung gar nicht denkbar – ob wir dies wahrhaben wollen oder nicht.

      Die furchtbare Bedrohung durch eine Technologie, die alles Leben vernichten kann, wenn sie in falsche Hände gerät, löst längst vergessen geglaubte Urängste aufs Neue aus. Das ist der Preis für den Fortschritt, für die Atombombe und den Retortenmenschen, für den Computer, der den Menschen überflüssig macht, für die digitalen Träume virtueller Realitäten, die langsam in die Wirklichkeit eindringen, für die Gentechnologie, die Menschen als maßgeschneiderte Produkte aus dem Embryo-Supermarkt heranwachsen lässt, wo Gehirne gespeichert, programmiert und direkt miteinander verbunden werden, um globale Gruppeninteressen zu sichern, Bedürfnisse, die sich über Bildschirme selbst aussteuern und sich das Blaue vom Himmel herunter simulieren. Wir sind aus Zuschauern des Schöpfungsdramas zu seinen Regisseuren geworden, die ihre inneren Bilder in ihren eigenen Schöpfungen inszenieren – ein Trauma wie aus Dantes höllischem Inferno, das aber immer auch die Möglichkeit des geistigen Erkennens in sich trägt. Schließlich erkennen wir nicht aus Lust an der Erkenntnis, sondern die Erkenntnis ist die einzige Erfahrung, um die Bedingungen und die Grundlagen unserer Selbsttäuschung kennen zu lernen und damit die Voraussetzung zu deren Beseitigung. Der Wunsch nach Wissen ist der Wunsch nach Erlösung, der Wunsch nach Befreiung von sich selbst. Die inneren Ängste sind dazu da, in eine sichtbare Form gegossen zu werden,

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