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      In dieser Schrift ist Baphomet das Symbol des Schattens, des Verdrängten oder die bildhafte Manifestierung des Geistes, der sich selbst ins Auge schaut, des Blickes, der sich im eigenen Auge erkennt, oder des Schattens, der sich im Licht versteckt. Dabei repräsentiert er eine geistige Stufe, auf der das Bewusstsein die Polaritäten des Denkens durchbricht und über die Grenzen der menschlichen Vorstellung hinaus vorstößt.

      Also sprach Baphomet, als er aus dem Nichts aufstieg und in der Gestalt der kosmischen Mutter, des Urchaos, den Träumer in die Tiefe lockte:

      In mir ist die Vitalität des Wissens, die Muster, anhand derer du gelernt hast, die Welt zu erschaffen, sowie die Muster der Veränderung, die das verändern, was du aus diesen Mustern geschaffen hast – was ficht dich also an, plötzlich verstehen zu wollen, welche Mysterien die Schöpfer durch deinen Geist formen? Siehe, ich bin Astarte-Astaroth, die Göttin der Liebe und die Schlange, Shiva-Kali, der schöpferische, erhaltende und zerstörende Aspekt des Demiurgen, Anima mundi, die Weltseele oder auch schlicht die Große Mutter. Einen Augenblick lang sind unsere Gedanken völlig eins. Wir umarmen uns, halten einander fest, und dieser erste Kuss steht bloß am Anfang eines Hungers, der nur geboren wurde, um desto stärker tot zu sein. Indem du dich aber vom Tode erhebst, lebst du den Tod – der mich tötet! Vielleicht erscheine ich dir unpersönlich; doch da es meine Energien sind, mit denen du die Muster deiner Vorstellung tränkst, bin ich da nicht dein Lebensborn? Wenn du mich Vater nennst, ist es gut, und wenn du mich Mutter nennst, auch. Nur darfst du mich nicht aus dir selbst entfernen, denn ich bin in dir, in jeder deiner Zellen, jenseits der Schwelle, die du kennst, dir näher als dein Atem. Dabei fällt die dunkle Hälfte von dir ab und dir ist, als kehrte der entfesselte Geist ins Licht zurück, denn seine Auferstehung fordert eine triumphale Rückkehr in die Walhallen der Sonnen geradezu heraus. Das zeigt: Die Menschen träumen ihren Wahn, denn sie sind die Schöpfer wie die Akteure in einem Stück, das auf der Bühne in ihrem eigenen Hirn stattfindet, und dieser Traum hat keinen Schluss. Es gibt aber nicht nur kein Ende für ihr Stück, sondern es gibt auch keine Chance, die Hintergründe ihrer eigenen Inszenierung zu durchschauen und aus ihren an die Nachkommen vererbten Anweisungen wieder herauszufinden. Das ist die letzte und tiefste Erkenntnis am Ende aller Lehren: Was die Menschen ständig vor sich auftürmen und was sie in Ermangelung von Klarheit „Realität“ nennen, ist alles nur gequirlte Luft, um sich vom Wesentlichen abzulenken. In dieser Einsicht liegt der von dir gesuchte Schluss: das erkannte Erkennen, das dir die Siegel der menschlichen Vorstellung enthüllt.

      Baphomet: Das Licht der Hölle

      Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,

       ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,

       das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht

       den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,

       und doch gelingt‘s ihm nicht, da es, so viel es strebt,

       verhaftet an den Körpern klebt.

      Mephisto in Faust I – Erster Teil, Studierzimmer

      Dieses Buch ist kein Tarot-Buch im üblichen Sinn. Es behandelt die Tarot-Karten nicht aus der traditionellen esoterischen Sicht, die den Schatten des Lebens und der Seele relativiert, indem dieser auf seinen bloßen Symbolgehalt reduziert wird. Es räumt auch mit dem Aberglauben auf, dass allein schon positive Gedanken oder gut gemeinte Heilungsrituale die Seele des Menschen und das Leben auf der Erde retten können, denn nur bereits die bloße Absicht, die Erde – oder wenigstens die Seele – retten zu wollen, zeugt von ungeheurer schattenhafter Arroganz, solange die Ursache aller polarisierenden und zerstörerischen Handlungen in uns selbst sitzt. Als „Schattentarot“ schlechthin präsentieren Karten und Buch das Panorama einer seelischen und geistigen Unterwelt, die den wahren Schatten im Verdrängen des Schattens – nämlich im „Streben nach Licht“ – erkennbar werden lässt.

      Alle Kultivierung der Selbsterfahrung, auf die heute so viel Wert gelegt wird, ist im Grunde überhaupt nicht geeignet, unsere Seelen zu retten. Dadurch können wir allenfalls erkennen, warum wir in die Situation gekommen sind, in der wir uns befinden. Denn der Schatten ist niemals da, wo man ihn erkennt (dort ist ja Licht!), sondern er ist da, wo man ihn verdrängt, ihn in Licht verwandelt und wo man in seinem Zeichen Gutes tut. Deshalb ist dieses Buch nicht für Menschen geschrieben, die nach Wahrheit suchen, ohne sich selbst in Frage zu stellen, oder die sich hinter der Maske des Positiven verbergen. Es ist auch nicht für jene da, die sich wie Süchtige auf die Suche nach Licht begeben, indem sie den bei sich selbst längst überwunden geglaubten Schatten ausschließlich beim anderen suchen – und finden. Die Suche nach dem Licht ist in der Tat wie eine Sucht: Die Droge, die einem dabei im Nacken sitzt, ist der Schatten selbst! Demzufolge richtet sich dieses Buch an Menschen, die zuerst herausfinden wollen, warum man überhaupt die Wahrheit suchen soll, bevor sie die Wahrheit selbst zu finden versuchen.

      Was ist das überhaupt: die Wahrheit? Nehmen wir einmal an, die Wahrheit sei das anerzogene Ziel im Menschen, das diesem von seinem sozialen Umfeld aufoktroyiert worden ist. Was macht er nun mit dieser Wahrheit? Er wird sie im außen zu verwirklichen trachten, damit er eine Grundlage hat, auf der er seine Ziele rechtfertigen kann. Im Allgemeinen wird er seiner eigenen Projektion in der Außenwelt so begegnen wollen, dass er daraus seinen Lebenssinn schöpfen kann. Um aber seiner Projektion – einem sehr menschlichen Gebilde – den Rang höherer Erkenntnis einräumen zu können, braucht er schlicht und ergreifend einen guten Aufhänger oder – etwas schmeichelhafter ausgedrückt – ein passendes Modell. Dieses Modell macht er dann zu seiner eigenen Wahrheit. Daher bindet sich der Gläubige an Gott, der Suchende an seinen Meister oder wenigstens an das Credo einer erkannten Wahrheit, der Mathematiker an seine Axiome, der Astrologe an die Schicksalsmacht der Sterne, der Tarot-Experte an die göttliche Vorsehung in seinen Karten, der Atheist an seinen gesunden Zweifel, der Wissende an seine hervorragenden Informationen und der Weise an sein eigenes, untrügliches Erkennen.

      Dagegen wäre im Grunde überhaupt nichts einzuwenden, wenn es nur im Bewusstsein der eigenen Projektionen geschähe. Doch sobald sich der Mensch an seine selbst geschaffenen Bilder klammert, anstatt sie zum Ausgangspunkt eines Weges zu machen, der ihn am Ende zu seinen eigenen Ursprüngen zurückführt, beißt sich die Schlange selber in den Schwanz. Deshalb nämlich, weil er nicht merkt, dass alle Lehren doch nur zu einer Selbsterkenntnis führen können: dass niemand einen Schlüssel zum Wissen oder zur höheren Erkenntnis über die kollektiven Prägungen hinaus hat und jeder die Verantwortung für seine Fragen ganz alleine übernehmen muss. Was also ist die Wahrheit über die menschliche Erkenntnis? Die Notwendigkeit, unsere Ziele in unserem eigenen Suchen zu definieren, und nicht die Wahrheit dadurch zu erfahren, indem wir dem Sinn, der Erleuchtung oder wie auch immer das Ziel definiert sein mag, wirklich dort draußen begegnen.

      Es wird die Aufgabe der Zukunft sein, dass wir für die Freiheit,

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