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Was wollte der Mensch noch mehr?

      Das Ende des Marktes rückte näher, der Rand des kreisrunden Platzes war erreicht. Die Blume des Orients tauchte in dem Halbdunkel einer Gasse unter, als sei dies eine Selbstverständlichkeit, und Sam glaubte sich auch nicht zu täuschen, als er feststellte, daß sie ihre Schritte etwas verlangsamte.

      Aha, dachte er, jetzt geht’s los. Sie lockt dich zu sich nach Hause, wir sind wohl gleich da.

      In seinem Geist nahmen nun traumhafte Bilder von exotischen Innenhöfen voller Blumen und weißer Statuen Gestalt an. Er sah sie nackt am Rand eines Teiches stehen und einladende Gebärden vollführen. Sie war ein Wesen von betörender Schönheit, ihre langen schwarzen Haare, jetzt nicht mehr unter ihrer Kopfbedeckung versteckt, flossen über ihre Schultern und umrahmten ein liebliches Gesicht.

      Sam wurde fast schwindlig. Mann, wird das ein Fest! dachte er immer wieder.

      Er war nun ebenfalls in der Gasse, und seine Augen mußten sich erst ein wenig an das Halbdunkel gewöhnen. Plötzlich durchfuhr ihn ein eisiger Schreck. Er vermochte sie nicht mehr zu entdecken – hatte sie ihn am Ende doch zum Narren gehalten und nur an der Nase herumgeführt?

      Er blieb stehen, und sein Grinsen zerbröckelte. Eine Weile stand er recht unschlüssig da, dann wollte er schon umkehren und sich wieder auf die Suche nach Old O’Flynn begeben, doch da geschah es.

      Eine kleine Hand schien sich aus einer der Häuserfassaden hervorzuschieben, aber natürlich war das eine optische Täuschung. Vielmehr kam sie wohl aus einem Eingang oder aus einer Toreinfahrt. Der Zeigefinger krümmte sich und bewegte sich auffordernd hin und her, und unmißverständlich bedeutete diese Geste hier wie daheim in Cornwall, wo man auch schon mal auf solche Weise eingeladen wurde: Nun mal los, auf was wartest du noch?

      Sam atmete auf, und das Grinsen erschien wieder auf seinem Gesicht. Er schritt weiter, zielstrebig und fest entschlossen jetzt, und beim Gehen drückte er schnell noch etwas seine Brust heraus. Dann bog er um die Ecke in die schmale Einfahrt ein, in der die Frau stand.

      Sie kicherte tatsächlich, drehte sich flink wieder um und führte ihn durch die Einfahrt auf einen winzigen Hof, der zwar nicht so malerisch war wie der in Sams Phantasie, aber dennoch ganz einladend wirkte.

      Nichts konnte Sam Roskills Begeisterung und Verlangen dämpfen, er war sozusagen hingerissen von diesem Zauber des Orients und folgte der Verführerin bedenkenlos. Hätte Old O’Flynn ihn in diesem Augenblick beobachten können, er hätte sein Lächeln als ausgesprochen dämlich eingestuft und ihn als Narren bezeichnet – doch der Alte hatte ganz andere Probleme, und es gab auch sonst niemanden, der Sams Weg durch den Hof in die Gemächer der Orientalin verfolgen konnte. Man war hier so richtig ungestört, und auch das trug zu Sams Hochgefühl bei.

      Die Gemächer entpuppten sich zwar als ärmliches Hinterzimmer, doch Sam war nun schon soweit, daß ihm die schmutzigen Wände wie schneeweiße Marmorfassaden erschienen und das unordentliche Mattenlager in der Ecke wie ein Himmelbett mit prunkvollem Baldachin. Jawohl, er stand schon gar nicht mehr richtig mit den Füßen auf der Erde, sondern hatte abgehoben und schwebte den Sphären der Glückseligkeit entgegen.

      Sie war stehengeblieben und hatte sich zu ihm umgedreht. Er näherte sich ihr mit verzücktem Grinsen und sagte mit einer Stimme, die ihm selbst völlig fremd klang: „Nimm doch endlich deinen Schleier runter.“

      Sie kicherte wieder, schien seine Worte aber nicht verstanden zu haben. Darum legte Sam nun selbst Hand an und begann an ihrer Maskierung herumzunesteln. Sie reckte ihm zwar ihre imposanten Brüste entgegen und tat auch sonst alles, um ihn abzulenken, doch er ließ nicht locker und hakte seinen einen Finger so entschlossen hinter ihren Schleier, das dieser sich löste und fiel.

      Da zerplatzten all die rosaroten Träume mit einem Knall. Sam kehrte aus dem Reich der Illusionen in die gnadenlose Wirklichkeit zurück und stand als total verdatterter englischer Seemann, den man nach allen Regeln der Kunst hereingelegt hatte, vor der vermeintlichen Blume des Orients.

      An der waren nämlich nur die Augen, der Busen und der Hintern ansehnlich, der Rest nicht. Schlimmer noch – sie war ein Ausbund an Häßlichkeit. Ihre Nase war verwachsen und an der Spitze von einer Warze gekrönt, ihr Mund wurde von einer Erscheinung verzerrt, die große Ähnlichkeit mit einer Hasenscharte hatte, ihre Zähne waren bräunlich und schadhaft. Doch dies alles war noch lange nicht das Schlimmste.

      Sam stockte der Atem.

      Die Stirn unmittelbar unter dem Haaransatz, die Wangen und die Kinnpartie dieser Hexe wurden von scheußlichen Pusteln entstellt, über deren Ursprung er sich erst gar keinen falschen Vorstellungen hinzugeben brauchte. Zu augenscheinlich war die Herkunft, und allein der Gedanke an die furchtbare Krankheit ließ ihn erschaudern.

      „Blatternarben“, flüsterte er. „Allmächtiger, laß es nicht wahr sein. Beim Klabautermann, ich träume wohl?“

      Unwillkürlich schloß er die Augen und öffnete sie wieder, aber die gräßliche Erscheinung blieb, ja, sie verzog jetzt sogar ihren Mund zu einem höhnischen Grinsen.

      „Komm“, sagte sie auf arabisch.

      Soviel verstand auch Sam, denn mit seinen Kameraden hatte er sich lange genug in Ägypten aufgehalten und einiges von der fremdartigen Sprache gelernt.

      Er wich zurück.

      „Küß mich“, sagte sie.

      Doch er äugte bereits zur Tür und kam mit sich selbst überein, daß es keine Feigheit vor dem Feind war, wenn er jetzt die Flagge strich und schleunigst verschwand. Er war froh darüber, daß er nicht versucht hatte, Zärtlichkeiten mit ihr auszutauschen, ehe er sie als das entlarvt hatte, was sie wirklich war. Jahre mochten vergangen sein, seit sie von der Krankheit befallen worden war, doch wer wollte schon dafür garantieren, daß nicht allein ihr Atemhauch bereits ansteckend wirkte?

      „Ade, mein Schatz, ich reise“, sagte Sam. Dann warf er sich herum.

      Wie durch ein Wunder standen jetzt aber zwei Kerle unter dem Türrahmen des Hinterzimmers, hingezaubert wie durch Allahs Hand, und versperrten ihm den Fluchtweg. Sie sahen noch schmuddeliger aus als das „Gemach“, und ihre finsteren Mienen ließen nicht den geringsten Zweifel über ihre Absichten offen. Der eine hatte einen dichten Schnauzbart, der andere fiel Sam durch seine prächtige Glatze auf, auf der nicht ein einziges einsames Haar ein trostloses Dasein führte.

      Das Mädchen – oder besser, das Ungeheuer – stieß einen Schrei aus, deutete auf Sam und schien einen Befehl zu geben. Sofort hoben die Kerle ihre Hände und schoben sich auf Sam zu. Vielleicht waren sie die Brüder der schaurigen Lady, oder aber ihr Bruder und ihr Onkel, möglicherweise auch ihr Vater und ihr Onkel – egal, das verwandtschaftliche Verhältnis spielte nicht die geringste Rolle und bedurfte keiner weiteren Erörterungen. Hier ging es nämlich um etwas ganz anderes – um Sams Haut.

      Ganz gleich, ob die Häßliche ihn in die Falle gelockt hatte, damit ihre Helfer ihn ausplündern konnten, oder aber ob sie auf diese Art einen Freier mit Gewalt dazu zwingen wollte, einen gewissen Dienst an ihr zu verrichten – beides war lebensgefährlich.

      Sam griff deshalb zum Messer.

      „Vorsicht“, sagte er warnend. „Mit mir ist nicht gut Kirschen essen. Ich kann verdammt unangenehm werden.“

      Entweder verstanden sie diese Worte nicht, oder sie wollten sie nicht begreifen, jedenfalls rückten sie weiterhin mit grimmigen Mienen auf ihn zu.

      7.

      Auf dem Basar war Sam Roskill nicht mehr zu entdecken, also setzte Old O’Flynn nach einigem Umherforschen seine Suche in den Gassen des Hafenviertels fort. Dabei murmelte er Sätze wie „Wo steckt der Hund bloß“ und „Na warte, Sam, du Satansbraten, wenn ich dich erwische“, und er geriet ahnungslos immer mehr in die Nähe von Uluch Alis Prunkresidenz.

      Wer konnte auch wissen, daß sich ein alter Feind der Seewölfe ausgerechnet hier, in Benghasi, häuslich niedergelassen hatte? Überhaupt, wer wußte schon, daß der Kerl nach dem erbitterten

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