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des Pfrunger-Burgweiler Riedes, die er dann mit den Störchen teilte. Hier zwischen Königseggwald und Riedhausen war er vor allem auf Mäuse und Tauben, die um die Brauerei siedelten, scharf. Auch der interessante Geruch der Brauerei zog ihn immer wieder an.

      Der heutige Tag war jedoch anders, das konnte er aus seiner Perspektive sehr gut beobachten. Nach einer Schleife vom Ortsrand über den Friedhof segelte er geräuschlos zum angrenzenden Brauereikomplex, der direkt neben der Straße lag. Überall parkten bunte Fahrzeuge: auf dem eigentlichen Kundenparkplatz, vor dem Haupteingang, auf dem Beladehof, vor dem neuesten Gebäude, der Vollguthalle, bis hin zur Tenne. Fahrzeuge und Menschen. Die Menschen strömten zur Tenne.

      Der Rotmilan drehte den Kopf mit den scharfen Augen und dem gelblichen Schnabel, nutzte kurz verärgert die schiere Kraft seiner Brustmuskeln. Mit wenigen Flügelschlägen drehte er ab Richtung Ried. Lieber mit Störchen als mit Menschen teilen.

      Unten um die Tenne herum ging es weitaus lustiger zu. Vor dem weit geöffneten hölzernen Flügeltüren-Eingang drängten sich die Gäste und die Protagonisten. Links und rechts über dem weiten Eingangstor waren in unverputztem Mauerwerk trapezförmige Lampen verankert, die auf beigem Glas mit roter, geschwungener Schrift von den Ursprüngen der Brauerei erzählten: Härle Bier. In der Tenne war die Anmeldestube, jede Mannschaft musste einen bürokratischen Prozess über sich ergehen lassen, damit es nicht zu Schummeleien kam. Jede Mannschaft, jeder Teilnehmer wurde registriert. Dann wurden einem die Teilnahmebedingungen und die Wettkampfspielregeln ausgeteilt. Jeder Teilnehmer musste eine Erklärung unterschreiben. Ein Hinweis auf das DRK-Zelt war verpflichtend.

      Die Tenne beherbergte aber vor allem die Küche. Unter der pfeilergestützten Gewölbedeckenkonstruktion war ein Zelt aufgebaut, in dem freiwillige Helferinnen und Helfer eifrig agierten.

      Chefin der Küche war die allseits unbeliebte Berta Löffler. Berta Löffler führte ein straffes Regiment, Fehler, und waren sie noch so gering, wurden mit einem verbalen Gewitter quittiert. Auch der Kochlöffel wurde zur körperlichen Züchtigung junger Mithelfer immer wieder gerne eingesetzt. Umgekehrt proportional zu ihren moralischen Ansätzen stand ihre Kochkunst. Sie war eine perfekte Künstlerin der schwäbischen Küche. Und so war Berta Löffler die Einzige, die pekuniär für ihre Tätigkeit belohnt wurde.

      Ganz ohne Bezahlung, nur für ihre Brauerei und vor allem um die Stimmung vor dem Event hochzupeitschen, war der fast 30 Mann und Frau starke Musikverein Königseggwald e.V. in prächtig rot-weiß-schwarzer Uniform angetreten. Vor allem die zehn Damen in ihrer Trachtenuniform, deren weite, rötliche Röcke noch zart grünliniert durchwirkt schimmerten, waren echte Eyecatcher. Die Musikanten starteten schmissig mit einem musikalischen Blumenstrauß.

      7. Esssport

      Letztendlich waren es dann doch nur sechs Mannschaften, die zum Zweiten Traditionellen Königseggwalder Kässpätzleswettessen antraten. Die angekündigten und mit Spannung erwarteten Bodensee-Swingers, wer immer sie sein mochten, waren, so ergaben spontane Recherchen auf dem Höchsten, in der Gaststätte hängengeblieben. Sie würden aber dem Ausklang beiwohnen.

      Der angekündigte und nicht minder sehnlichst erwartete Damen-Kegelverein GutHolzVorderHütten aus Veringenstadt hatte sich, so ergaben begleitende Smartphone-Hilferufe, was erstaunlich ist, in der Gegend um den Bussen, dem Heiligen Berg Oberschwabens, herum verfahren. Sie seien in einer Gaststätte in Hailtingen gelandet, und es wäre lustig. Sie kämen mit Sicherheit nach dem Wettbewerb.

      Auch die mit Freuden erwarteten Kässpätzles-Freunde-Friedberg blieben dem Wettbewerb fern. Eine SMS mit dramatischem Unterton erreichte den Veranstalter:

      ›Sorry, können nicht pünktlich sein. Wagen brennt hinter Hosskirch. Müssen warten, bis Feuerwehr eintrifft. Kann uns später jemand abholen? Feurige Grüße, Schnauzi‹

      Wenige Meter vor dem Ziel war ihr Fahrzeug havariert.

      Für uns umso besser. Die Zahl der gegnerischen Mannschaften war überschaubar, durch eine WalderBräu-Lottofee, in einem grünen Minikleid mit zwei aufgedruckten Bierflaschen im ansehnlichen Brustbereich, wurden die Gruppennummern, die Berta Löffler schon am Vortag bestimmt hatte, verkündet. Das war ein Novum, im letzten Jahr wurden die Nummern direkt vor dem Startschuss ausgelost.

      Gruppe 1: Witwer-Club Ostrach, Gruppe 2: Junge Union, Gruppe 3: MIKEBOSS, Gruppe 4: Trinksportverein Schluck, Gruppe 5: Die Tiere, Gruppe 6: Busty Biker Brides Pfullendorf.

      Eine freundliche, mikrofonquietschende Begrüßung seitens der Geschäftsleitung der WalderBräu AG stellte die Mannschaften und die Spielregeln vor.

      Man musste kein abgeschlossenes Hochschulstudium der Kommunikationswissenschaften in sechs Jahren hinter sich gebracht haben, um die Spielregeln zu begreifen. Zu interpretieren gab es da auch nicht viel: Die Fünf-Mann-Mannschaft, die in 45 Minuten die meisten Kässpätzle verzehrt, ist Sieger und somit um 500 Euro reicher. Die Kässpätzle werden immer frisch in Fünf-Kilo-Portionen angeliefert. Nachschub muss rechtzeitig der Küche angekündigt werden. Trinken – freie Wahl: Schnaps, Bier, Spezi, Mineralwasser, Leitungswasser.

      Eine eigens für die diesjährige Kässpätzleswettessen komponierte Kässpätzlespolka, hervorragend instrumental dargeboten von den Königseggwalder Musikanten, meisterlich gesungen von einer der charmanten Klarinettistinnen, brachte schon früh die Stimmung vor der Tenne zum Kochen. Rhythmisches Klatschen begleitete die Uraufführung des Liedes, das Potenzial genug enthielt, um als Ohrwurm noch viele Kässspätzleswettessen einzuläuten:

      »Ja, was der Schwabe gar nicht kennt,

      er nicht gern sein Essen nennt.

      Kommt der Vater an den Tisch,

      rümpft er den Zenken, oh Gott, Fisch!

      Auch vom Feinsten der Haute Cuisine

      sieht man ihn vom Tische fliehn.

      Da kommt die Oma, dieses Schätzle,

      und bringt dem Vater seine Spätzle.«

      Dann folgte der eingängige Refrain der schmissigen sechsstrophigen Polka, bei dem schon in der zweiten Strophe das Publikum begeistert mitgrölte:

      »Ja, ja, ja, Kässpätzle mag nicht nur der Vater,

      nein auch jeder, ob Nonne oder Pater,

      ob mit Zwiebel, mit Speck oder G’müs,

      mit Kässpätzle bin ich im Paradüs.«

      Mit einem starken Ritardando wurden die aussagestarken letzten Zeilen unter jubilierend trällernden Klarinettenklängen, mit kräftiger Unterstützung kreszendierender Tenorhörner von der Gesangssolistin geschmettert, wobei jedes Ja von einem infernalischen Paukenschlag begleitet wurde:

      »Ja, ja, ja, Kässpätzle soll’s regnen vom Himmel,

      ja, ja, ja, Kässpätzle am Abend und am Morgen,

      dann hat der Schwab keine Sorgen.

      Ja, ja, ja, Kässpätzle die ganze Zeit, mein Spatz,

      so bleibst du für immer mein Schatz!«

      8. Der Wettbewerb

      Der Witwer-Club Ostrach

      Der Witwer-Club Ostrach bekam bei seiner Vorstellung den herzlichsten Applaus – Mitleid. Der Altersdurchschnitt der Herrengruppe, die alle in grauen Anzügen angereist waren, lag bei knapp über 80 Jahren. Bis auf ein Gürtelmodell wurden alle schlabbernden Hosen von eleganten Hosenträgern federnd im Schritt gehalten. Hingucker und spontaner Publikumsliebling war Rollator-Paule, der mit 94 Jahren leicht vibrierend, aber stolz auf der Bierbank Platz nahm, an Tisch 1. Seine Mitesser waren nicht unbedingt in besserem Zustand, aber sie genossen ebenso wie Rollator-Paule die Aufmerksamkeit des Publikums. Es ging das Gerücht, sie hätten sich lediglich zum Wettbewerb angemeldet, um mal wieder was Richtiges zu essen oder nicht zu verhungern. Ein bisschen sah man ihnen ihre ehrenhafte Motivation an.

      Nachdem in der Küche von Frau Berta Löffler höchstpersönlich die dampfenden Kässpätzlesschüsseln abgewogen, jede musste exakt fünf

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