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zäh. Es war ja auch ein sensibler Bereich, das musste selbst ich eingestehen.

      Und so konnten wir unseren Butzi nicht in Eiche rustikal, sondern ganz in Schwarz mit unserem Totenkopflogo zur letzten Ruhestätte tragen. Natürlich waren wir MIKEBOSSler an diesem traurigen Tag alle in Schwarz, natürlich trugen wir unsere schwarzen Kutten. Wie hätte das denn zu Eiche rustikal gepasst? Wir hätten uns lächerlich gemacht – und das im Angesicht des Todes. Aber Frauen sind da wirklich zäh, ja fast schon penetrant. Wir hatten uns dann gütlich geeinigt, mit Druck erreicht man, vor allem in so einer heiklen Situation, überhaupt nichts. Und ich ging mit meinem gesamten psychologischen und nicht zuletzt pädagogischem Geschick vor und ließ Susi einfach mal ausrechnen, mit wem Butzi mehr Zeit verbrachte: mit seiner Familie oder den MIKEBOSSlern. Das Ergebnis war eindeutig.

      Zuletzt ließ sie sich aber dadurch überzeugen, dass ich Deutsch mal fachfremd unterrichten musste und Susi in eine kommunikationsanalytische Falle tappte. Ich fragte sie nur: Wer sagt denn von den Streitparteien unser Butzi? Da brach sie in Tränen aus, typisch Frau, und kreischte mich an, wir sollen doch tun, was wir wollten, das täten wir eh immer. In Anbetracht der tragischen Gesamtsituation hätte ich von Susi einen einfühlsameren Ton uns gegenüber erwartet. Schließlich hatten wir unseren Butzi verloren.

      Schwarz war sofort klar, die Frage, wohin unser Logo sollte, war dann eine längere Diskussion. Gesicht wollte es auf den Längsseiten, links und rechts. Joe wollte die Logos verstreut auf allen sichtbaren Seiten haben. Flaschen-Gordon, der immerbesserwisserische Latein- und Sportlehrer, wollte aus unerklärlichen Gründen gar keinen Totenkopf auf dem Sarg. Ich plädierte abschließend und entscheidend, meiner präsidialen Verantwortung in dieser Frage bewusst, für die Oberseite und das gesamte MIKEBOSS-Emblem, damit unser letzter Blick von oben herab auf Butzi auch ein Blick auf unser schönes Logo mit dem Totenkopf und der Augenklappe war. Gott sei Dank konnte ich mich durchsetzen, aber nur mit der Unterstützung Deos, der diese Anbringung eines einzelnen Abzeichens, das gen Himmel zeigte, »wüadavolla« fand.

      Und dann war es wider alle Erwartungen doch noch eine richtig schöne Leich geworden. Zunächst hatten wir MIKEBOSSler den Sarg mit dem herrlichen Logo, das viele stille Bewunderer fand, in die kleine Kapelle geschoben. Natürlich waren wir nun ein Mann weniger, um zu schieben, aber Butzi konnte aus leicht erklärlichen Gründen nicht am Schiebeprozess teilnehmen. Nicht, dass er sich gedrückt hätte. Er lag im Sarg. Schon hier, bei der ersten konzertierten Aktion der MIKEBOSSler nach Butzis Tod fehlte er uns.

      Aber wie gesagt, es wurde eine richtig schöne Leich, auch weil wir uns bei der Musikauswahl durchsetzen konnten. Susi wollte natürlich ›So nimm denn meine Hände‹. Das geht ja gar nicht, Butzi ist nicht im Alter von 104 Jahren, dement und inkontinent an Altersschwäche gestorben. Er wurde im zartesten Alter von einer Kugel dahingestreckt. Da kann man doch nicht ›So nimm denn meine Hände‹ vom MP3-Player über die Kapellenlautsprecher knirschen lassen. Da braucht man eine Anlage mit Schmackes und ›Highway to hell‹.

      Wir trugen den Sarg mit den sterblichen Überresten Butzis zum ausgehobenen Grab, wobei es mit den Cowboystiefeln und dem groben Kies doch eines kleinen Balanceaktes bedurfte, ungestolpert zum frisch ausgehobenen Erdhaufen zu gelangen. Beim Absetzen des Sarges auf die Ablassvorrichtung mit Seilwinde schoss es Gesicht dermaßen ins Kreuz, dass ein Schmerzstöhnen die Stille durchbrach. Voller Mitleid lugten neugierige Blicke unter halb gesenkten Lidern zu uns MIKEBOSSlern.

      Es wurde dann aber auch noch eine sehr schöne Leich, weil Deodonatus eine Laudatio auf seinen Freund Butzi hielt. Dem stattlichen Massai und Riedhagener Pfarrer liefen wieder und wieder Tränen der Trauer über sein dunkles Gesicht. Ständig musste er von Weinkrämpfen geschüttelt seine schöne Rede unterbrechen.

      »Da Butzi wa wirklich eina guta Mensch, auf keina andara Mensch trifft da Schprichwoat bessa zu, raua Schala, aba weicha Kean.«

      Als Deodonatus Ngumbu, unser Buschpfarrer in seiner über 30-minütigen, tränenreichen Rede zu der Stelle kam, als Butzi ihm sein Missionsfahrzeug beschaffte und fahrtüchtig machte, gab es kein Gesicht auf dem kleinen Friedhof, das nicht tränennass glänzte.

      »Und da kam da Butzi bei mia voabei gedonnat mit da wundaschöna Zweitakta. Mit da NSU Quickly von Neunzehhundatsiebanafuffzig. Noch heuta ist das meina Dienstfaazeug und hat mich noch nie in da Stich gelassa.«

      Ein kumulatives Aufschluchzen ließ die Trauergemeinde erbeben.

      Es war eine sehr schöne Leich.

      »Und füa da Butzi hab ich noch seina Lieblingslied, es soll uns alla daran erinnara, was füa ein verruckta Hund da Butzi war.«

      Und wieder flossen Sturzbäche der Trauer über das schwarze Antlitz, als nach einem zarten Kopfnicken zu einem der rot-weiß gekleideten Ministranten, der unauffällig einen Musikplayer aktivierte, die ersten Takte von ›Breaking the law‹ in konzertreifer Lautstärke über den ansonsten eher schweigenden Ort grollten.

      Den musikalischen Höhepunkt markierte jedoch der Auftritt der Löchligugger in ihrer herrlichen, fasnetletztsaisonalen, wunderschönen Indianer-Uniform. Für ihr auf tragische Weise zu Tode gekommenes Mitglied Butzi intonierten sie trefflich, den Umständen des Ereignisses sensibel angepasst, Butzis Guggen-Lieblingslied ›Über den Wolken‹. Als dann alle Löchligugger abschließend, zweistimmig a cappella den Refrain sangen, waren es Tränen-Tsunamis, die sich über den kleinen oberschwäbischen Friedhof Bahn brachen.

      Die Leich wurde noch schöner, als die frischgebackene Witwe Susi am Grab, jeder Ganghofer-Verfilmung zur Ehre gereichend, bewusstlos zusammenbrach und kurz danach eine, allen übrigen Trauergästen gänzlich unbekannte Blondine mit einem schwarzen, jedoch kaum daumenbreiten Ledermini bekleidet bei der Kondolenztour vor dem offenen Grab stand, die Hände gen Himmel streckte, was die Kürze des ledernen Lendenschurzes noch unterstrich, und verzweifelt aufschluchzte:

      »Waruuuum?«

      Butzis Kinder standen winzig und fassungslos mit zusammengekniffenen Mündern Händchen haltend da und verstanden nichts von alledem.

      Der abschließende Leichenschmaus in Friedas ›Goldenem Ochsen‹ endete dann im üblichen Besäufnis und war der krönende Abschluss einer schönen oberschwäbischen Leich. Noch einmal wurden die Umstände des Butzischen Todes dramatisch aufgearbeitet.

      Eigentlich, wenn man ehrlich ist, könnte Butzi noch leben. Dann könnte er im Krankenwagen von Unfall zu Unfall, von Patient zu Patient fahren, um dann nach getaner Arbeit mit seinen MIKEBOSSlern bei Frieda, in der Riedwirtschaft, im ›Stengel‹ oder im ›Franzis‹ ein Bier zu trinken. Oder am Wochenende mit seiner Truppe ausfahren, gelegentlich auch mal zu Hause sein, um ein neues Kind zu machen. Aber da nützt das ganze Philosophieren nichts, obwohl er schon noch leben könnte, wenn wir nicht gewettet hätten.

      Eigentlich hatte das Ende da angefangen, wo es gerade endete, nämlich in Friedas ›Goldenem Ochsen‹. Genauer gesagt in der Gruselkammer, wie wir MIKEBOSSler sie nannten, im Kaiserzimmer, wie es Cäci spöttelnd titulierte, im Jägerstüble, wie es Frieda liebevoll bezeichnete.

      Das Nebenzimmer war von Cäcis Vater, einem passionierten Jäger geschmacklos, dennoch liebevoll eingerichtet worden. Der Jägerstammtisch war hier zu Hause, vor allem nach einem Gemetzel bliesen sie hier in volltrunkenem Zustand auf ihren Hörnern und berichteten von erlegten Fasanen in Geiergröße, von dahingestreckten Hasen in Wildschweingröße und von gemeuchelten Wildschweinen mit den Ausmaßen eines Nashorns.

      Über der antiken Wurlitzer hingen hohläugige, gelbgruselnde Schädel von erlegten Säugetieren und grinsten hämisch von der dunklen Holzwand. Die meisten Entfleischten hatten Geweihe. Auf den Geweihen saßen wiederum die trefflich präparierten, gefiederten Freunde des Waldes und der Wiese: Fasane, Elstern, Eichelhäher, aber auch Raubvögel wie Bussarde und Sperber hockten mit dünnen, drahtfixierten Beinchen auf den Geweihen. Im Zentrum des morbiden Arrangements thronte jedoch der mächtige, präparierte Kopf eines Ebers, den Cäcis schmächtiger Vater zu seinen Lebzeiten vom Leben in den Tod befördert hatte. Nun waren sie beide tot. Der eine Krebs, der andere Kugel.

      Hätte Cäcis Vater den Eber nicht geschossen, würde Butzi heute wahrscheinlich noch leben. Und wären wir auf die Wette, entstanden in alkoholgeschwängerter,

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