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Petersburg. Andrei Bely
Читать онлайн.Название Petersburg
Год выпуска 0
isbn 4064066116255
Автор произведения Andrei Bely
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Warum kamen nur zu ihr so viele Offiziere? Mein Gott, sie tanzte ja auf Bällen; war hübsch, ohne Demimondäne zu sein; und schließlich war sie selbst Offiziersgattin.
War ihr Besucher Musiker oder Musikliebhaber, erklärte ihm Sofja Petrowna, daß ihre Götter — die Duncan und der Nikisch seien (sie sagte aber Dunkàn und Nikìsch), daß sie selbst Meloplastik zu erlernen gedenke, um den Walkürenflug in — ja, man denke nur! — in Bayreuth zu tanzen. Doch erschüttert durch die falsche Aussprache der Namen kam der Besucher bald zu dem Schlusse, Sofja Petrowna Lichutina sei nichts weiter als einfach ein Gänschen; und sein Verhalten wurde ein wenig »ungezwungen«; inzwischen aber brachte das sehr hübsche Stubenmädchen das Grammophon ins Zimmer: und aus der Kehle des roten Blechrohres ergoß sich über den Gast der Flug der Walküre.
Sofja Petrownas Besucher zerfielen in zwei selbständige Gruppen: die zur Gesellschaft Gehörenden und die sozusagen Besucher, die keine waren, denn sie waren — gern Gesehene — etwas für die Seele; diese sozusagen Besucher gaben sich keine Mühe — nicht die geringste! —, in das Treibhäuschen zu gelangen. Mit Gewalt fast lockte sie Engel Peri — wie die Offiziere sie nannten — zu sich; und war das geschehen, dann erwiderte sie sofort den Besuch; in ihrer Gesellschaft saß Engel Peri mit geschlossenem Mündchen: sie lachte nicht, kokettierte nicht im geringsten, war äußerst schüchtern und, während die sozusagen Besucher stürmisch miteinander debattierten, war sie stumm. Man hörte »Revolution — Evolution«. Und wieder »Revolution — Evolution«. Immer über dasselbe debattierten die sozusagen Besucher; es war nicht die Jeunesse doré, es war die einfache, arme Jugend, Studierende, die mit den Fremdwörtern: soziale Revolution und soziale Evolution stolzierten. Engel Peri verwechselte konsequent diese beiden Worte.
Der Offizier Ssergeij Ssergeijewitsch Lichutin
Unter den Studierenden befand sich eine häufige Besucherin des Hauses Lichutin, eine in diesem Kreise geschätzte Persönlichkeit: die Studentin Warwara Ewgrafowna.
Unter dem Einfluß der Studentin gab sich Engel Peri dazu her, einen — denken Sie! — Meeting zu besuchen. Unter dem Einfluß der Studentin stellte auch Engel Peri die Sammelbüchse mit der verschleierten Inschrift »Für Wohltätigkeit« auf den Tisch. Die Büchse war natürlich nur für die Besucher bestimmt; die zu den sozusagen Besuchern Gehörenden waren vom Zahlen befreit; die Zahlenden waren Graf Awen, Baron Ommau-Ommergau, Sporyschew und Werhefden. Unter dem Einfluß der Studentin begann Engel Peri die O.-Schule zu besuchen und ochste verständnislos das »Manifest« von Karl Marx. Zu dieser Zeit nämlich besuchte sie täglich der Student Nikolenka Ableuchow, den sie ohne Risiko sowohl mit Warwara Ewgrafowna (die in Nikolenka verliebt war) als auch mit Ihrer Majestät gelbem Kürassier bekannt machen konnte: der Sohn Ableuchows war natürlich überall willkommen.
Übrigens huschte Engel Peri seit einiger Zeit heimlich zu den Spiritisten hinüber, im Hause der Baronin . . . (na, wie heißt sie nur?), die ins Kloster gehen wollte.
Seit dieser Zeit auch lag auf Sofja Petrownas Tischchen ein prachtvoll gebundenes Büchlein »Der Mensch und sein Körper« von einer gewissen Henri Besançon (Sofja Petrowna hatte wieder die Namen verwechselt: es war nicht Henri Besançon, sondern Anni Besant).
Ihre neue Passion verheimlichte Sofja Petrowna sorgfältig sowohl vor dem Baron Ommau-Ommergau wie auch vor Warwara Ewgrafowna; und aufs Verheimlichen verstand sich Engel Peri in bewunderungswürdiger Weise: so ist Warwara Ewgrafowna bei ihr nie auf Graf Awen und Baron Ommau-Ommergau gestoßen. Was dahinter gesteckt haben mochte — weiß der Himmel!
Es gab noch einen unter den Besuchern Sofja Petrownas; einen Offizier, Ssergeij Ssergeijewitsch Lichutin; eigentlich war er ihr Gatte; er war irgendwo in der Proviantverwaltung tätig; frühmorgens verließ er das Haus; vor Mitternacht erschien er nie wieder; gleich sanft begrüßte er die Besucher und die sozusagen Besucher; mit derselben Sanftheit sprach er aus Höflichkeit eine »Fifka« und zahlte eine Münze; oder er nickte bescheiden bei den Worten Revolution — Evolution, trank eine Tasse Tee und ging in sein Zimmer. Im Grunde genommen wäre Ssergeij Ssergeijewitsch Lichutin den Besuchern wie den sozusagen Besuchern gern ferngeblieben. Im Grunde genommen hätte er gern die Spiritistensitzungen bei der Baronin besucht; doch lag es ihm fern, seinen bescheidenen Wunsch als Gatte geltend zu machen; denn er war kein Despot: Sofja Petrowna liebte er mit der ganzen Kraft seiner Seele; ja, noch mehr: er hatte vor zweieinhalb Jahren gegen den Willen seiner Eltern, steinreicher sibirischer Gutsbesitzer, geheiratet; sein Vater verfluchte ihn deswegen und entzog ihm das Geld; da trat er, unerwartet für alle, bescheiden in das Gregorische Regiment ein.
Und noch ein Besucher war da: der schlaue Kleinrusse Lipantschenko; er war ein sinnlicher Mensch und nannte Sofja Petrowna nicht Engel, sondern Herzchen; doch hielt er sich in den Grenzen der Höflichkeit und durfte ins Haus kommen.
Der gutmütige Gatte Sofja Petrownas verhielt sich mild gegen die revolutionären Freunde seiner teuren Hälfte; gegen ihren mondänen Bekanntenkreis verhielt er sich mit unterstrichenem Wohlwollen; den Kleinrussen Lipantschenko aber duldete er bloß.
Der schlanke hübsche Trauzeuge
Schon am ersten Tage ihres sozusagen »Damendaseins«, während des Mysteriums der Trauung, als Nikolai Apollonowitsch über dem Haupt ihres Gatten, Ssergeij Ssergeijewitsch, den hochfeierlichen Kranz hielt, wurde sie in quälender Weise von dem hübschen schlanken Trauzeugen überrascht, von der Farbe seiner unirdischen dunkelblauen Augen, von dem Weiß seines marmornen Gesichts, von der Göttlichkeit seiner flachsweißen Haare. Nun und . . . Nikolai Apollonowitsch kam ins Haus der Lichutins: erst einmal in vierzehn Tagen, dann jede Woche ein-, zwei-, drei-, viermal, dann erschien er täglich. Bald merkte aber Sofja Petrowna, daß das Gesicht, das gottähnliche, strenge, nur eine Maske war; Grimassen, zielloses Reiben der Hände, schließlich ein unangenehmer Froschausdruck beim Lächeln, herrührend vom ununterbrochenen Spiel der Gesichtszüge — hinter all dem verbarg jenes Gesicht sich für immer. Zu ihrem Schrecken begriff dann Sofja Petrowna, daß sie verliebt war in jenes Gesicht; nicht in dieses, wohl aber in jenes. Engel Peri hatte sich vorgenommen, eine tadellose Gattin zu sein; und der Gedanke, daß sie, ihrem Gatten treu, von jemand anderem gefesselt wurde, bedrückte sie gänzlich. Aber weiter nur, weiter: über die Maske, den Froschmund, über die Grimassen hinweg, suchte sie, unbewußt, ihre verlorene Verliebtheit zu retten: sie quälte Ableuchow, überhäufte ihn mit Beleidigungen; doch heimlich vor sich selbst verfolgte sie seine Spuren, suchte seine Wünsche und seinen Geschmack zu erraten, richtete sich unbewußt nach ihnen, in der ewigen Hoffnung, wieder einmal jenes eigentliche, göttliche Antlitz zu erblicken.
Seit dieser Zeit war ihr eigener Gatte nur Besucher in der kleinen Wohnung an der Moika.
Dies konnte Sofja Petrowna nicht ertragen, denn sie hatte ja ein so winzig, winzig kleines Stirnchen; und neben dem kleinen Stirnchen lebten in ihr Vulkane tiefster Gefühle: denn sie war eine Dame; und man soll in einer Dame das Chaos nicht wecken.
Der