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dort, von dort winkte immer die frostige Hand; von dort gähnte ihm entgegen — die Un—Unermeßlichkeit: Russisches Reich.

      Ja: nun zum Porträt des Ministers . . . Öfters hatte er diesem gesagt:

      »Rußland ist eine eisige Ebene, in welcher sich seit Hunderten von Jahren Wölfe umhertreiben . . .«

      Der Minister hatte ihn mit samtweichem, liebkosendem Blick angesehen; mit der weißen Hand den gepflegten, grauen Schnurrbart streichelnd, schwieg er und seufzte. Der Minister hatte seine Ämter als ein qualvolles, opferheischend drückendes Kreuz getragen; er trug sich mit dem Gedanken, nach Beendigung des Dienstes . . .

      Aber er starb.

      Jetzt ruhte er im Grabe, und Apollon Apollonowitsch Ableuchow war nun ganz allein; hinter ihm verloren sich die Jahrhunderte, in der Un—ermeßlichkeit; vor ihm zeigte eine frostige Hand in die Un—ermeßlichkeit.

      Un—ermeßlichkeiten flogen ihm entgegen.

      Rußland, Rußland, dich sah er, dich!

      Du bist es, das durch Wind, Sturm, Schnee und Regen heulte; heulte durch Millionen lebendiger, beschwörender Stimmen! Es schien in diesem Augenblick dem Senator, als riefe eine Stimme aus einem einsamen Grab, in unbestimmter Weite nach ihm; es wiegte sich dorten kein einsames Kreuz; es winkte von dort kein Lichtchen in das eisige Schneetreiben hinein; und hungrige Wölfe heulten in Rudeln dort als Echo der heulenden Winde.

      Unstreitig: im Senator entwickelte sich mit den Jahren Raumangst.

      Die Krankheit wurde akut — seit jenem tragischen Tod; vielleicht beobachtete ihn nächtlich die Gestalt des toten Freundes und blickte ihn in den langen Nächten an mit seinem samtweichen Blick und streichelte mit der weißen Hand den gepflegten, grauen Schnurrbart.

       Inhaltsverzeichnis

      Inzwischen setzten Nikolai Apollonowitsch und der Unbekannte die Unterhaltung fort.

      »Ich habe den Auftrag,« sagte der Unbekannte, die Aschenschale von Nikolai Apollonowitsch nehmend, —»ja: ich habe den Auftrag, Ihnen dieses Paketchen zur Aufbewahrung zu übergeben.«

      »Nur das?« rief Apollonowitsch Nikolai. Er wagte noch kaum zu glauben, daß das beängstigende Erscheinen des Unbekannten nicht jenes schreckliche Versprechen betraf, daß es sich nur um ein harmloses Paketchen handelte; rasch erhob er sich und näherte sich dem Paket; doch seltsamerweise erhob sich auch der Unbekannte und trat zwischen Nikolai Apollonowitsch und das Paket; und als die Hand des Senatorsohnes nach diesem griff, erfaßte der Unbekannte derb seine Finger:

      »Vorsichtig, um Gottes willen . . .«

      Da ertönte plötzlich ein metallischer Laut, ein Knall; man hörte das Quieken einer gefangenen Maus; im Nu flog das Taburett zu Boden, und mit eiligen Schritten lief der Unbekannte in die Ecke:

      »Nikolai Apollonowitsch! Nikolai Apollonowitsch,« rief seine ängstliche Stimme, »eine Maus, eine Maus . . . Sagen Sie geschwind Ihrem Diener . . . daß, das . . . das kann ich nicht ertragen . . .«

      Nikolai Apollonowitsch wunderte sich.

      »Sie fürchten sich vor Mäusen? . . .«

      »Rasch, rasch . . . schaffen Sie sie fort . . .«

      Nikolai Apollonowitsch beeilte sich, den Knopf der elektrischen Klingel zu drücken und sah ordentlich komisch aus, in der Hand die gefangene Maus haltend, die allerdings in der Falle saß, und Nikolai Apollonowitsch neigte sein Gesicht fast bis an den Draht, um das Tierchen genauer zu betrachten.

      »Ein Mäuschen«, sprach er, die Augen zum hereintretenden Diener gewandt; höflich wiederholte seinerseits dieser:

      »Ein Mäuschen.«

      Nikolai Apollonowitsch trug endlich das Paket in sein Arbeitszimmer; es fiel ihm flüchtig nur auf, daß das Paketchen so schwer war; doch dachte er darüber nicht weiter nach; nur als er auf dem weichen Teppich leicht stolperte, ertönte aus dem Paket ein metallischer Klang; der Unbekannte fuhr bei diesem Laut leicht in die Höhe, und dabei beschrieben seine Arme jene Zickzacklinie in der Luft, die den Senator vor kurzem so erschreckt hatte.

      Doch es geschah nichts: der Unbekannte erblickte nur zu seiner nicht geringen Verwunderung auf dem Lehnstuhl im Nebenzimmer einen faltenreichen roten Domino und eine schwarze Maske; während Nikolai Apollonowitsch einen Platz in seiner Schreibtischlade freimachte und, vorsichtig, das Paketchen hineintat, betrachtete der Unbekannte den Domino; zugleich sprach er lebhaft Gedanken aus, die in ihm gründlich gereift zu sein schienen:

      »Wissen Sie . . . Die Einsamkeit richtet mich zugrunde. Ich habe in diesen Monaten verlernt zu reden. Merken Sie nicht, daß meine Worte verworren sind?«

      Nikolai Apollonowitsch, den bucharischen Rücken dem Gaste zugewandt, sagte hierauf durch die Zähne:

      »Na, das geschieht zuweilen mit jedem.«

      Der Unbekannte sprach hinter seinem Rücken weiter:

      »Ich finde mich nicht mehr in den Sätzen zurecht. Ich will irgendein Wort sagen, sage aber etwas ganz anderes: drehe mich immer im Kreis um die Sache herum . . . Ich vergesse zuweilen die Namen der gewöhnlichsten Gegenstände, und wenn ich auf sie komme, dann zweifle ich, ob sie richtig sind. Ich wiederhole mir: Lampe, Lampe, Lampe; plötzlich aber scheint es mir, daß ein solches Wort gar nicht existiere. Ich habe meist niemand, den ich fragen könnte; und den ersten besten zu fragen, davon hält mich Scham zurück; man würde mich am Ende für einen Wahnsinnigen halten.«

      »Aber was fällt Ihnen ein . . .«

      Übrigens, was das Paket betrifft: hätte Nikolai Apollonowitsch aufmerksam auf die Mahnungen zur Vorsicht seitens seines Gastes geachtet, er würde begriffen haben, daß das vermeintlich harmlose Paketchen keinesfalls so harmlos war; aber er beachtete es nicht und verstand auch kaum die jetzt aufgefangenen Worte. Indessen fuhr die prasselnde Fistelstimme fort, ihn auf den Rücken zu trommeln:

      »Das Leben ist schwer für einen, der, wie ich, in der Torricelli-Luftleere . . .«

      »Torricelli?« fragte verwundert Nikolai Apollonowitsch, ohne auf die Rede zu achten.

      »Ja, eben — Torricelli-Luftleere, und das alles im Namen der Allgemeinheit, der Sache für die Allgemeinheit; diese Sache für die Allgemeinheit hat aber mich aus der Liste der Lebenden gestrichen. Meine Gesellschaft sind Wanzen und Mauerkäfer. Ich bin nur — ich. Hören Sie mir zu?«

      »Gewiß doch.«

      Nikolai Apollonowitsch hörte jetzt tatsächlich zu.

      Hier aber schwieg plötzlich der Unbekannte. Denn Nikolai Apollonowitsch hatte den Schreibtisch abgesperrt und wandte sich um.

      »Wissen Sie: ich wollte Sie schon längst einmal sehen, um mich einmal vor Ihnen auszusprechen: ich sehe so wenige. Ich wollte Ihnen von mir erzählen.«

      »Von wem? . . . Aber warten Sie, warten Sie: ich habe einen Kognak im Schränkchen — mögen Sie . . .«

      »Nicht abgeneigt . . .«

      Bald erschien vor dem Gast eine kleine Karaffe und zwei geschliffene Weingläschen.

      Während er dem Gast das Glas füllte, dachte Nikolai Apollonowitsch daran, daß jetzt die beste Gelegenheit sei, sich von dem damaligen Versprechen loszusagen; als er aber diesen Gedanken in Worte einkleiden wollte — wurde er verlegen; aus Feigheit vermochte er es nicht, sich vor einem Fremden feige zu zeigen.

      »Ich lese jetzt Conan Doyle zur Erholung,« fuhr der Unbekannte zu prasseln fort, »Meine Lektüre würde Ihnen überhaupt sehr verrückt erscheinen: ich lese die Geschichte des Gnostizismus, Gr. Nissk., den Syrianer, den Apokalypsis. Das ist, wissen Sie, mein Privileg. Die Originalität meiner geistigen Nahrung kommt von

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