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wir Juden, ja, auch wir Juden!”

      “Unsere Geistlichen haben um Regen gebetet, aber ihr? Die Juden kennen die Erde nicht, ihr lebt nicht vom Acker und vom Schweiß der Bauern. Was tut ihr?”

      “Wir beten auch um Regen, wir Juden fühlen auch das Leid der Erde.”

      “Sie sagten soeben, dass Gottes Geist im Tale sei. Wenn Sie ihn fühlen oder sehen können, warum bitten Sie Ihn nicht um Regen? Ihr Juden liebt uns nicht. Das ist der Grund!” Er schlug erregt auf die Pferde los.

      Nach einer Stille sagte mein Vater: “Sonnabend wird es regnen. Aber vergessen Sie nicht, wir lästern damit Gott! Es wird ein Regen ohne Segen sein! Wenn Gott strafen will, müssen wir es verstehen lernen!”

      “Ein Regen ohne Segen?”

      “Ja, ein Regen ohne Segen! Der Mensch soll sich nicht Gottes Strafe entziehen. Der Mensch soll lernen.” Dann sprachen sie nicht mehr miteinander, man hörte nur das Traben der vier Pferde. Bald waren wir in Bakony-Tamasi. Das Dorf lief zusammen, sich die mächtige Schlange zu betrachten. Der Kutscher hatte sie hinten am Wagen angebunden. Ihr Leib bewegte sich noch immer. Ein Grausen überfiel alle. Es war der Abend des Donnerstag.

      Der Regen des Unheils

      In der Nacht hatte ich nicht geschlafen und sah am Morgen des Freitag die große Kerze auf Vaters Tisch, wie sie sein ernstes Lesen und Denken beleuchtete, glücklich, ihm Licht zu spenden, sich selbst verzehrend. War Mutter nicht auch solch ein Licht für uns alle? Sie war schon aufgestanden und putzte das Haus für den Sabbat.

      Na, was war da schon zu putzen? Aber Mutter bereitete uns immer aus Nichts ein Fest: So es Eier und Mehl gab, backte sie die beiden Zopfbrote mit einem leisen Kuchengeschmack, auf den ich die ganze Woche hoffte. Vor Sonnenuntergang saßen wir dann in frischen Kleidern am Tisch, Mutter zündete die beiden Kerzen zum Empfang “der Braut”, des heiligen Sabbat an. Vater sprach den Segen über Brot und Wein und es war, als strahle Mutters Licht im ganzen Hause.

      Der Kutscher des Bürgermeisters verbreitete inzwischen: “Der jüdische Gott wird es am Sabbat regnen lassen! Aber ein Regen ohne Segen!”

      Die Bauern schauten uns von weitem misstrauisch an. Sonnabend vormittag sprach der Vater in der Synagoge von den Gesetzen in Gottes Schöpfung. Der Mensch solle versuchen, sie zu verstehen, um ihnen folgsam zu sein. Der Mensch solle sich nicht gegen Gottes Gesetze und Willen erheben. Darauf legte Vater seinen großen Gebetsschal über den Kopf und alle beteten.

      Wenn Vater betete, war es, als ob er von einer fernen Musik, die nur er hörte, leise, leise gewiegt wurde. Das machte mir immer einen tiefen Eindruck. Niemand wiegte sich so wie Vater. Nach dem Gottesdienst kamen wir in eine unerträgliche Hitze hinaus. Ich dachte an die Bauern und die Tiere auf den Feldern. “Im Schweiße deines Angesichtes”, ich fügte hinzu “und aller deiner Glieder” – das hatte ich beim Wandern erlebt – “sollst du dein Brot verdienen”.

      Als unsere kleine Familie am Mittagstisch saß, wurde es plötzlich finster. Schwarze Wolken rasten am Himmel auf Bakony-Tamasi zu, getrieben vom Sturm, der nun das Dorf erreichte. Draußen schrien Mensch und Tier vor Entsetzen. Das Vieh brach aus den Ställen aus. Mütter riefen nach ihren Kindern. Alles, was nicht fest am Boden stand, wirbelte zum schwarzen Himmel. Was dann geschah, werde ich nie vergessen: Es donnerte furchtbar und der Blitz schlug in unser Haus ein. Wie tausend Riesenschlangen zischte es und alles zitterte. Ein Bauer zertrümmerte mit der Faust unsere Fensterscheibe und schrie: “Heraus, heraus. Das ganze Dach steht in Flammen!”

      “Nichts wird angerührt!” befahl Vater. “Wir dürfen am Sabbat nur das Leben und die Thora retten!”

      Er wickelte die Thora in seinen Talit und befahl mir, das Gleiche zu tun, und wir eilten mit Mutter und den Schwestern hinaus. Inmitten des großen Hofes blieb Vater stehen, wandte sein Gesicht zu den Flammen und betete. Brennendes Stroh flog durch die Luft, es knisterte und zischte, es blitzte und donnerte. Es war wie in der Hölle! Der große Wachhund hatte seine Kette zerrissen und raste auf Vater los, dicht vor ihm aber legte er sich winselnd auf den Bauch. Er kroch heran und leckte Vaters Hände, dann legte er sich zu seinen Füßen nieder. Es war, als wolle er Vater und die Thora schützen.

      Die Flammen sprangen von Haus zu Haus. Das große Strohdach verbrannte gänzlich. Eine Bäuerin legte ihren Säugling in Mutters Arm und eilte fort, zu retten, was zu retten war. Auch im Wald begann die Feuersbrunst zu wüten. Mit aufgerissenen Augen, voller Ruß und Schweiß, rannte der Bürgermeister zu Vater. Was würde geschehen? Er war ein kräftiger Mann, würde er Vater schlagen wollen? Vater stand “Gesicht zu Gesicht” vor dem Allmächtigen im Gebet.

      “Herr Rabbiner, nie wieder werde ich Gott lästern! Euer Gott ist unerbittlich.”

      Da schien es mir, als fielen Tränen aus Vaters geschlossenen Augen hinab. Waren es erste Regentropfen? Sie wurden zum Wolkenbruch! Sie wurden zur Sintflut! Und sie löschten allen Brand.

      Hilfe

      Mit dem Ende der Sintflut fiel auch langsam der Abend über Bakony-Tamasi. Unter freiem Himmel standen noch vier Wände unseres Hauses. Zwei Betten, Tisch und Stühle glitten wie Kähne durchs Zimmer, überall schwamm verbranntes Holz und Stroh. Erste Sterne überblinkten die Nässe. Der Sabbat war beendet. Vater holte seinen Stuhl, wischte ihn ab und setzte sich an den Tisch, wir taten das Gleiche.

      “David, bei welchem Gebet brachen wir ab?”

      Ich wusste es genau und stimmte an.

      Aus dem Hof tönte bitteres Weinen und Schreien. Da brach auch aus Mutter ihr Leid. Ihre Tränen flossen gleich einer zweiten Sintflut. Sie hatte die Gesetze befolgt, nichts Weltliches zu retten. Wir Kinder küssten ihre Hände und unsere Liebe schaute zu ihr auf. Da leuchtete ihr Lächeln durch die Tränen.

      Mutter flüsterte: “Gott hat euch geschützt, preisen wir Ihn. Der Allmächtige wird uns weiterhelfen.”

      Und wir stimmten aufs Neue die Gebete des Sabbat an.

      Die Füße im Wasser, in nassen Kleidern, fröstelnd und zitternd saßen wir da, aber wir waren gerettet. Da trat der Bürgermeister herein. Vater und ich hielten noch die Thora im Arm. Erschüttert betrachtete er dieses Bild, leise den Kopf wiegend, wie um besser zu verstehen. Als unser Gesang beendet war, sprach er: “Herr Rabbiner, jenseits auf dem Hügel, auf der anderen Seite des Dorfes, hat das Feuer nicht gewütet. Ich besitze dort ein Haus, in welchem niemand wohnt. Es hat drei Zimmer, Küche und Backofen und einen kleinen Garten darum herum. Ich stelle es Ihnen zur Verfügung. Tun Sie mir den Gefallen und nehmen Sie es an. Ihre Frau und Ihre Kinder werden sich dort besser fühlen. Hier können Sie nicht bleiben.”

      Vater nickte dankend. Noch in der Nacht kam der Bürgermeister mit einem Wagen, bestand darauf, dass Vater nur die Thora betreute und fasste selbst mit an. Alles war schwarz und nass, aber seltsamerweise waren Vaters Bücher im Schrank trocken geblieben.

      In unserem neuen Heim fanden wir trockenes, sauberes Stroh. Noch in dieser Nacht weihte Vater das erste Zimmer als Synagoge ein. Das zweite, mit dem Studiertisch und den Büchern, war für Vater und Mutter. Zum Backofen sagte er: “Dort werden wir Matze backen.” Das kleine dritte Zimmer bekamen die Schwestern mit der Bemerkung: “Sollte ein armer Mann ins Dorf kommen, so müsst ihr es zeitweilig abtreten.” Ich durfte in der Küche schlafen, die einen Ausgang zum Garten hatte. Gottes Zorn beruhigte sich.

      Heute noch fröstelt es mich und ich zittere, wenn ich bedenke, dass eigentlich die Worte der Thora so tief in alle Seelen der Menschen eindringen müssten, auf dass sie es werden, die unsere Handlungen leiten, so wie bei Vater. Aber das ist noch ein sehr langer Weg.

      Vater sagte: “Alles wandert.”

      Lajos

      Nach dieser Sintflut vertrank mancher Bauer das Geld der Versicherungsämter in der Schenke und die erhitzten Gemüter meinten, der Brand sei von den Juden heraufbeschworen worden. Anderen lief der Schweiß vom Gesicht, während sie Haus und Ställe neu deckten. Mutter wusch, stopfte und besserte Wäsche aus für die Bauern. Ich durfte dann am Abend frische Milch holen. Auf diesen Wegen umschwebten mich Versuchungen!

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