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dich einmal wegen der Bereitung der Matze beschuldigen ...”

      “Wieso, Papa?”

      “Es ist eine böswillige Geschichte verbreitet worden, dass die Juden für ihr Osterbrot das Blut eines Christenkindes benötigen, um es hineinzumischen.”

      “Welche Lüge, Papa! Ich habe zugesehen; es ist nur Wasser und Mehl darin.”

      “Du hast gut aufgepasst. Aber leider wurden derartige Geschichten oft verbreitet, um das Volk gegen uns aufzubringen, uns zu vertreiben und sogar zu töten. Deine Großeltern hätten fast ihr Leben so verloren.”

      Vater schwieg und versank in Gedanken und sagte dann leise:

      “Das geht nun schon zweitausend Jahre so.”

      “Papa, wie können die Menschen aber solchen Worten glauben?”

      “David, es scheint, als ginge die gesamte Menschheit in einem gewaltig langen Zug durch die Schöpfung Gottes hindurch. Alle Menschen sind Wandernde. Alle, denn ein jeder muss endlich selbst durch die Wüsten gehen, um am eigenen Leibe Gottes Güte und Gesetze zu fühlen, sein Geh-Wissen zu erhalten. Es scheint, dass einige Juden diesem langen Zuge vorausgehen sollen, sie dürfen aber keinen Stein vom Wege rollen. Denn der ganze Zug der Menschheit muss durch Sand und Steine wandern. Auf dass ihr Hochmut falle! Da werden die Menschen auf uns böse, denn sie möchten auf gefälligen, schönen Wegen wandern, und manch einer leitet sie auf dergleichen Umwege und spielt den Weisen und sogar den Götzen zum Anbeten. Es ist eine traurige Eigenschaft, dass mancher Mensch sich freut, wenn man ihn anbetet. Es gibt nur einen Weg, nur einen! Den schwersten Weg! Auf dass der Mensch dem Lichte Gottes den Durchgang durch seinen eigenen Leib gewähre. Also seine Seele sich erleuchte!”

      Es war, als wenn Vaters Augen den gewaltig langen Zug der Menschheit wandern sähen. Er sagte ganz leise:

      “Geduld. Geduld. Es wandern Millionen! Aber- und Abermillionen!”

      An diesem Pessach-Abend erzählte man sich bis spät in die Nacht hinein Geschichten und alle baten um die Geschichte der Großeltern.

      Also begann Vater: “Es war in Russland. Mein Großvater war das Haupt einer friedlichen Gemeinde. Seine Wohnung und die Synagoge lagen in einem großen Hof, von einer festen Schutzmauer umgeben. Es geschah, dass tote Tiere in den Hof geworfen wurden, manche wollten sich von dem bösen Geist ihrer Krankheit befreien und ihn dem Rabbiner schicken.

      Als die Osterzeit kam, wurde im Haus der Großeltern alles zum Feste bereitet: An langen, schön gedeckten Tischen saßen schon viele Menschen. Es brannten die Kerzen und der Seder begann, als Großmutter aufsprang, hinauseilte und mit bleichem, entsetztem Gesicht zurückkam.

      ‘Ein großes Unglück bereitet sich vor! Man hat ein totes Kind in unseren Hof geworfen!’ Eine schreckliche Stille folgte.

      ‘Geh, hebe das Kind auf und hole es herein’, ordnete Großvater an. Stellt euch vor, Großmutter in ihrem weißen Festkleid, in den Armen den Leichnam eines kleinen Jungen von etwa neun Jahren. Sie betrachtete das ärmlich angezogene Kind und weinte, dass ihre Tränen auf sein bleiches Gesicht fielen, so bleich, als ob wirklich alles Blut aus seinem Körper geflossen sei.

      Großvater legte seinen Gebetsschal über den Kopf und betete tief innerlich, darauf sagte er:

      ‘Dass die Angst unsere Gedanken nicht verdunkle! Wir sind in Gottes Hand. Kleidet das Kind wie zum Pessach-Fest, kämmt seine Haare, als hätte es Päis, bedeckt sein Haupt mit dem weißen Käppchen und darüber einen Gebetsschal. Dieser Talit wird es vor bösen Blicken schützen! Setzt es zu meiner Seite an den Tisch, vorgebeugt, wie ein betender Jude. Lasst unsere Erinnerungen weitergehen!’

      Die Gebete und Gesänge begannen wieder. Bald hörte man Pferde galoppieren und eine Menschenmenge schrie draußen:

      ‘Die Kosaken, die Kosaken kommen!’

      Diese schlugen fest ans Tor: ‘Aufmachen!’ Man kennt in Russland jene rauhen Männer zu Pferde im Dienste der herrschenden Klassen.

      ‘Aufmachen!’ Großvater selbst stand auf und öffnete das Tor.

      ‘Wo ist das Kind, das ihr getötet habt, um sein Blut in euer Brot zu backen?’ schrien sie.

      ‘Kommt herein und seht’, antwortete Großvater, setzte sich an seinen Platz, den Seder weiterleitend, als wäre nichts geschehen. Die Kosaken haben Schränke, Betten, Bücher und Geschirr zerstört, alles zerschlagen und zerrissen; gefunden haben sie aber nichts. Sie haben eine große Verwüstung hinterlassen.

      In der Stille danach ertönten die Gebete weiter. Nochmals kamen sie zurück. Das Tor stand offen. Eine Menschenmenge mit Knüppeln und Beilen hatte unruhig draußen gewartet, um zum Plündern einzudringen. Sie wagten es aber nicht, denn die Gebete machten ihnen Angst. Das Suchen der Kosaken blieb abermals ohne Resultat. Sie schlugen das Tor verärgert zu und ritten davon. Großvater erhob sich, bat einige Frauen, ihn zu begleiten, um Matze unter dem Volk zu verteilen. Er öffnete wiederum das Tor und bat, wer wolle, möge hereinkommen. Verschämt kamen einige Knüppel- und Sensenträger herein und gingen durch die Verwüstung. Unsere Gebete begleiteten sie und sie wagten nichts zu berühren und fanden auch kein getötetes Kind. Es waren Momente, wo Tod und Leben sich begegneten. Die Feuer vor dem Tor wurden zu Asche, das Volk trat den Heimweg an. Es wurde still. Das Kind saß wie ein betender Jude am Tisch. Großvater bat es zu waschen, in ein weißes Leinentuch zu hüllen und aufzubahren, Kerzen anzuzünden und neben ihm zu wachen.

      Hatte es so sein sollen? In diesem Jahr fiel das Datum des christlichen Osterfestes zusammen mit dem unsrigen.

      Wie immer ging das Volk nach dem Sonntagsgottesdienst ins Wirtshaus, man trank, man trank viel, die Zungen lösten sich. Der Vater des Kindes hatte für viel Geld den Leichnam verkauft. Wer hatte ihn über die Mauer zum Rabbiner geworfen? Das kam nicht heraus.

      Aber wie ein Feuer mit dem Wind läuft, kam die Nachricht zu der Mutter. Bitter weinend klopfte sie, begleitet von manchen Frauen, verzweifelt an das Tor der Großeltern.

      ‘Gebt mir mein Kind, mein Kind. Gebt mir mein Kind zurück!’ Vor dem in allen Ehren aufgebahrten Leichnam verbeugte und bekreuzigte sich die Menge. Sie hoben die Bahre mit dem Kind auf ihre Schultern und verließen scheu das Haus.”

      “Dies ist eine schreckliche Geschichte, Herr Rabbiner”, wandte unser Hausherr ein, “die aber im heutigen Ungarn nicht mehr möglich wäre.” Wir fragten uns das aber alle.

      Da klopfte es an der Tür.

      “Geh, David, öffne dem Propheten Eliahu die Türe. Er kommt am Pessach als Gast zu allen Juden, um sie zu segnen. Geh, öffne ihm die Tür!”

      Drei Bauern mit verstörten Gesichtern traten ehrfürchtig herein. Der Älteste wandte sich an Vater: “Herr Rabbiner, wir haben eine Frage an Sie zu richten.”

      “Setzen Sie sich zu uns, so ich die Antwort kenne, werde ich sie Euch geben.”

      Der Mann befreite sich von einer ihn quälenden Last: “Herr Rabbiner, ihr Juden, habt ihr wirklich das Blut eines Christenkindes nötig, um es in euer Osterbrot zu mengen?”

      Vater schaute sie traurig an. “Ist es euch Christen verboten, das alte Testament zu lesen, unsere Thora, von der auch Jesus sprach? Darin steht geschrieben: ‘Du sollst nicht töten und du sollst kein Blut essen.’ Dies sind unsere strengsten Gesetze! Darum wird auch das Fleisch, welches wir essen, von seinem Blut befreit. Für uns lebt im Blut die Seele und die Seele soll zurück zum Schöpfer der Welt gehen! David, reich ihnen von unserer Matze. Wenn euer Geistlicher euch die Kommunion gibt, ist die Hostie in seiner Hand die Erinnerung an dieses Brot. Jesus war ein Jude, er feierte das Osterfest so, wie wir es heute noch feiern. Wir Juden feiern an Ostern unsere Befreiung aus Ägypten, und danach kam das vierzigjährige Wandern durch die Wüsten, wo wir Gottes Gebote empfangen durften.”

      “Man sagte mir, dass euer Geistlicher ein wenig geizig sei; die Hostie, die er euch gibt, ist viel kleiner als unser Osterbrot”, sagte Vater lächelnd. Da lachten auch die Bauern verschämt in sich hinein.

      “Aber

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