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      Beim Sonnenaufgang verließ das Militär mit Trommeln und Trompeten unser Dörfchen. Es wurde hernach ganz still. Ich aber hatte am besten alle diese Könige gesehen und ich war ihnen nicht nachgerannt! Ich war stolz auf mich selbst. Aber die Angst und der Schrecken, den ihr Anblick mir machten, das war auch nicht vergessen.

      Warum machten diese prachtvollen Männer Krieg? Sagt man beim Begegnen nicht immer “Schalom”, das heißt “Frieden”? Ich erschrak. Die Christen sagen das nicht. Nein, sie sagen das nicht! Warum? Da bin ich schnell zu Vater gelaufen.

      “Papa, warum machen die Menschen Krieg? Warum machen sie Sünden mit so viel Pracht?”

      Vater hatte geantwortet: “David, darum lernen wir ja aus den heiligen Schriften, um klug zu werden.”

      Und dann sagte Vater: “Pass auf, David, dass du niemals glaubst, du seiest schon klug! Klug ist nur der Allmächtige! Du musst dein ganzes Leben lang lernen!”

      “Aber Papa, du bist doch klug!?” Da bekam ich eine fürchterliche Ohrfeige. Die erste meines Lebens! Sie brennt mir noch heute im Gesicht. Diese Ohrfeige habe ich nie vergessen! Sie hat mir geholfen, die Menschen zu verstehen: solche, die glauben sie seien klug, und solche, die lernen. Es gibt aber auch solche, die nicht einmal nachdenken.

      Aus diesen Erkenntnissen holte mich Mutters Stimme:

      “Davidel, komm, wir werden Schuhe kaufen.”

      Auch meine Schwestern bekamen die ihren. Wir zeigten sie einander in der Küche und jeder fand die seinen am schönsten. Vor allem waren “wachsende Füße” vorgesehen und wir fühlten uns von ihnen in ferne Zeiten getragen. Rachel, die auch im Dorfbazar arbeitete, gelang es, Mutter zu überreden, dass die Frau des Rabbiners auch mit richtigen Schuhen zur Synagoge kommen müsse. Es waren die letzten, die Mutter sich kaufte. Sie lagen wochentags mit Papier ausgestopft in einer Schachtel und durften nur am Sabbat zur Synagoge gehen.

      Von Geld wurde in Kurtakeszi nicht mehr gesprochen. Aber ich ahnte, wie gut es sei, immer in Gottes Licht zu stehen: dann könnte sich keine Versuchung heranschleichen, man würde alles sehen. Alles! Auch, warum die Menschen Krieg machen!

      “Pass auf, David, dass du niemals glaubst, du seiest schon klug! Klug ist nur der Allmächtige! Du musst dein ganzes Leben lang lernen!”

      Der Auszug aus Kurtakeszi

      Langsam fingen wir an, in unsere Schuhe hineinzuwachsen, als eines Tages Vaters und Mutters Geheimnis offenbar wurde: Wir ziehen um! Ein großer Wagen mit zwei Pferden kam vorgefahren, um all unsere Habe zu transportieren. Ich verglich unser Unternehmen mit dem Auszug aus Ägypten. Später habe ich wohl an die zwanzig Auszüge miterlebt. Wenn ich sie auch nicht alle niederschreiben werde.

      Das Wichtigste und Schwerste waren natürlich Vaters 300 Bücher, die zuunterst geladen wurden, darauf unsere beiden Thora-Rollen, gut geschützt und verpackt. Erst dann halfen wir Mutter mit den schon sehr gebrechlichen Möbeln: Ein zerbrochenes Bett und noch ein zerbrochenes Bett, die Kinderbettchen, eine große Schüssel, ein Stuhl, da wackelte das eine Bein, ein kleines Säckchen Mehl, ein kleines Säckchen Bohnen. Wie schwierig war es, das Geschirr gut getrennt zu halten, damit das für Fleischgerichte und das für Milchgerichte sich nicht berührten und vor allem, dass die weißen Teller und die Töpfe für Pessach sich nicht mit den anderen vermengten.

      Wie schön war es, wenn Mutter für unser “Osterfest der Befreiung aus Ägypten” den Tisch ganz weiß deckte. Dann erzählte Vater, wie wir damals in der Wüste nur Mehl mit Wasser auf heißen Steinen backten und kein Brot mit Hefe mehr aßen. Jede Ostern, wenn wir unsere “Matze” aßen, kamen alle diese Erinnerungen und Vater konnte das so wunderbar erzählen; wir erlebten es wirklich mit.

      Aber jetzt hätte ich fast vergessen, mit Mutter und den Schwestern hoch oben auf unsere Strohsäcke zu klettern. Mutter machte mir Zeichen auf ihren Busen, dass dort unser Schatz jetzt ruhte und ich sollte nichts den Schwestern davon sagen, es sollte eine Überraschung werden, wenn sie heirateten. Als alles verstaut war, ging Vater zur Türschwelle zurück, küsste die Mezusa mit ihrem “heiligen Spruch” im Inneren und plötzlich verstand ich: es war der Abschied und Vater segnete das Haus für die kommenden Bewohner. Er ließ für sie die Mezusa am Türpfosten. Auf dem Pergament in ihrem Innern steht: “Höre, Israel, dein Gott ist der einzige Gott ... Liebe Gott mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit all deiner Kraft!”

      Dann stieg Vater neben den Kutscher auf unseren Wagen. Der junge Bauer mit seiner stolzen Hahnenfeder am Hut war schon ungeduldig geworden, derweil seine Pferde sicherlich fühlten, wie schwer der Wagen nun war. Er nahm gewichtig seine große Peitsche, knallte damit laut in der Luft und schlug dann auf die Pferde. Die bewegten sich aber nicht. Sie trotzten seiner Aufregung. Da wurde er wütend, fluchte einen Strom ungarischer Flüche und schlug fest zu. Da nahm Vater ihm die Peitsche aus der Hand und legte sie in den Wagen.

      “Schlage nicht deine Pferde! Sie sind Gottes Geschöpfe! Sie verdienen dir dein Brot!” Drauf sprach Vater sanft und eindringlich zu den Pferden. Da spitzten sich ihre Ohren und sie hoben ihre Köpfe. Sie setzten ihre Hufe fest auf die Erde und zogen an. Der Kutscher schaute erstaunt zu Vater und schwieg. Am Wegrand standen einige jüdische Familien und die hübsche kleine Myriam, meine erste Liebe, mit ihrem Vater, unserem Schullehrer. Sie winkten uns nach. Mutter weinte und ich weinte auch.

      “Wenn du groß bist, kannst du zurück kommen und dir Myriam zur Hochzeit holen”, sagte Mutter.

      Aber es öffnete sich nun eine so große Welt, dass ich Myriam ganz vergaß. Erst sehr viel später trafen wir uns einmal und lachten sehr fröhlich miteinander.

      Am Dorfrand kam die Heiligennische, wo der Kutscher sich bekreuzigte. Ein letzter Hund bellte uns nach. Ja, es war wirklich der Auszug aus Kurtakeszi, meinem “lichtigen Dörfchen”.

      Die Landstraße

      Auf unseren Strohsäcken, in der Musik des rollenden Wagens geschaukelt, überkam mich der Schlaf. In dieser besonderen Nacht, nach so vielen Aufregungen, hörte ich die Stimme des Ewigen zu mir sprechen, sie glich erstaunlich der von Vater. “David, mein Sohn, du schläfst? Schämst du dich nicht, in Schlaf zu versinken, derweil der Sternenhimmel über dir schwebt! Der Mensch, welcher nicht seinen Blick zum Firmament erhebt, der weiß nicht, wie klein er ist und er vergisst den Schöpfer.”

      Aus tiefem Traum erwachend sah ich Vater auf dem Kutschersitz, die Zügel in der Hand. Mit klarer Stimme sang er die Psalmen und die Pferde trabten freudig zu diesen Melodien. Mein Blick richtete sich zum Firmament und es war, als ginge unsere Reise bis zu den Sternen hinauf. Früh habe ich den “wandernden Juden” erlebt, in der Welt ein Heim und eine Heimat suchend.

      Im Königreich Österreich-Ungarn waren Staat und Religion verbunden und alle größeren Rabbinerposten wurden von Staatsangehörigen besetzt. Den Flüchtlingen aus Russland und Polen blieben nur kleine Dörfchen übrig, welche sich auf ihre eigenen Kosten einen Rabbiner engagierten und nur eine mehr oder weniger improvisierte Synagoge besaßen.

      Vater, als russischer Flüchtling, durfte nur auf diese Posten rechnen. Außerdem suchte er unter ihnen noch die kleinsten Gemeinden, in der Hoffnung, viel Freizeit für sein Studium zu finden. Er ist auch nie ungarischer Staatsbürger geworden, ich glaube, weil er Russland geliebt hatte.

      Zutiefst in Vater lebte aber ein Traum. Es war die Sehnsucht seiner Seele, einstmals in Jerusalem zu ruhen. Dort war seine Heimat, dort träumte er, einstmals den Messias zu erwarten. Vater dachte viel über die Messianischen Zeiten nach und darüber, wie wir “den Weg zurück zu Gottes Paradies” finden.

      Das Rauschen des Flusses Sajó kam zu uns auf den Wagen und ich stellte fest, wie schnell man aus dem Paradies auf die Erde gerufen wird. Vaters Gesicht war sehr ernst geworden. Es gab hier keine Brücke, der Kutscher musste den Fährmann wecken. Wir Kinder hatten noch nie ein so reißendes, schwarzes Wasser gesehen, was in der Nacht fürchterlich war. Als endlich unser Wagen auf die Fähre rollte, gab es einen Schock, alles wurde durchgerüttelt und ein Kochtopf flog ins schwarze Wasser. Welch ein Schreck, die Fähre hatte schon das Ufer verlassen. Vater sagte traurig: “Channe Fegele, verzeih, wäre es nicht

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