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wenn Vater sie aus seinem ehrenvollen Bart mal fragte: “Channe Fegele, was bekommen wir heute?” antwortete Mamme: “Diesmal gibt es etwas ganz Feines, nämlich frische, kleine Zwiebeln mit Brot!”

      Und Vater sagte dann: “Gott sei’s gedankt! Und zum Abend?”

      “Das wird eine Überraschung, ihr bekommt sogar frisches Brot mit gerösteten Zwiebeln dazu.”

      “Hast du vielleicht noch etwas versteckt?”

      “Ja, ihr bekommt auch eine Tasse Tee!” Aber manchmal gab es sogar ein Glas Milch. Erst wenn kein Brot und keine Zwiebeln mehr im Hause waren, wurden Mutters Augen wie ein Himmel, den dunkle Wolken verstecken wollen, und dann sagte sie: “Heute müssen wir Zufriedenheit essen.”

      Aber unsere Gesundheit war ausgezeichnet gut. Und wenn unsere Mahlzeiten auch sehr einfach waren, wir empfingen sie von des Schöpfers Hand. Vater saß würdevoll und ruhig am Tisch mit seinem schönen Bart, er brach das Brot, wir machten zusammen die vorgeschriebenen Segenssprüche und dankten Gott für seine Güte.

      So war unser Leben und ich glaubte auch lange Zeit, dass “Jude sein” hieß “Hunger haben”.

      Der Sonnenschein

      Trotz Vaters Abwesenheit hatte ich mich in die Lamentationen des Propheten Jeremias so vertieft, dass alle Unglücke in meine eigene Seele flossen. Ich fühlte mich: zerbrochen, verlassen, überwältigt von den Ungerechtigkeiten der Welt und auch denen meines eigenen Schicksals, es wollte mein Herz schier zerbrechen, ich musste wirklich aus diesen Leiden herauskommen.

      Und draußen im Hof lockte die Sonne! War ich nicht ein Kind? Die Lust zu spielen überfiel mich. Der Ball meiner Schwester Karoline rief auch und er schürte meine Hoffnung, im Hofe vielleicht ihre hübsche Freundin Myriam zu finden, für welche ich zarte Gefühle hegte, und dann könnten wir ja zusammen mit dem Ball an der Synagogenwand spielen. Begeistert rannte ich hinaus. Leider war nur Karoline dort, was mich sehr ernüchterte. Sie trug eine große, dicke Katze in den Armen.

      “David, schau, welch ein schönes Fell sie hat!” Träumerisch bemerkte sie: “Welch gutes Fleisch das ...”

      Karoline war drei Jahre älter und für alle Hausangelegenheiten folgte ich ihren Anweisungen. Sie sagte: “Geh, David! Vater ist nicht da! Hol das rituelle Messer! Du wirst den richtigen Segen sagen und wir werden die Katze schlachten! Überlege gut, wir werden Fleisch zum Sabbat haben!” Ich war ganz verwirrt von dieser Idee. Um Zeit zu gewinnen, glitten meine Hände an meinem Päis herunter, so wie ein ehrwürdiger Rabbiner seinen Bart streicht.

      “Karoline, in der Thora steht nichts darüber, dass wir Katzenfleisch essen dürfen, auch nicht, dass eine Katze wiederkäut oder gespaltene Füße hätte wie eine Kuh. Dann dürfte man sie vielleicht essen, aber die Katzen fressen ja Mäuse und da bin ich ganz sicher, dass wir Juden keine Mäuse essen dürfen!”

      Karolines Redeschwall floss aber, von ihrer Idee begeistert, immer weiter und so intensiv auf mich los, dass ich im Begriff war, das rituelle Messer zu holen, denn die Bilder einer guten Fleischsuppe tauchten in mir auf.

      Wäre Vater nicht gekommen ...

      In dieser Zeit tadelte er mich noch sanft: “Ein zukünftiger Talmudist wie du, der die heiligen Schriften studiert, dich mit einem Ball in der Hand zu finden! David, wer Gott dient, darf sich nicht dem Spiele hingeben!” Stolz aufgerichtet schritt ich an Karoline vorbei, der die Katze entlaufen war. Nie wieder haben meine Hände einen Ball gesucht: “Wer Gott dient, darf sich nicht dem Spiele hingeben!”

      Doch der kleine David schaute manchmal sehnsüchtig zum Sonnenschein hinaus, der auf der Wand der Synagoge mit den Schatten der Baumblätter wie mit vielen kleinen Bällen spielte. Ob Myriam wohl auch draußen war?

      Aber wenn ich jetzt andere Kinder mit einem Ball in der Hand sah, ging ich hochnäsig an ihnen vorbei und dachte: “Wie könnt ihr euch mit mir vergleichen!”

      Hoffnung und Verantwortung

      Als ich von finsteren Tagen noch nichts wusste, das war in Kurtakeszi. “Finstere Tage” waren es nicht, wenn man nichts aß oder wenn man nicht wusste, wo man schlafen konnte. Meine finsteren Tage waren, wenn Vater mich schlug. Darum ist Kurtakeszi mein “lichtiges Dörfchen”.

      Damals neben Vater sitzend, habe ich die Basis meines Wissens erarbeitet in wirklicher Liebe des Lernens; so “leben” in mir die Thora, die Rachi-Kommentare, die Mischna und manches mehr. Ich war selig, dies alles zu meinem Eigen zu machen.

      Nun erlaubte Vater mir, an jedem Sonnabendnachmittag den jüdischen Dorfkindern aus der Thora vorzulesen. Wir waren alle sehr vertieft, sie lauschten mir und wir erlebten zusammen, was die heiligen Worte uns sagen wollten. Vater hörte mit zu und verbesserte mich von Zeit zu Zeit. Er ging dabei auf und ab und hatte für jedes Kind ein aufmunterndes Wort. Manchmal gab es sogar einen Apfel, in Stücke geteilt, damit es für alle reichen sollte.

      Wir Kinder fühlten in uns gute Kräfte erwachen. Was waren das für “lichtige Stunden”! In dieser glücklichen Epoche gab es eines Tages ein denkwürdiges Ereignis: Ein “reicher” jüdischer Herr kam aus einer fernen Stadt, nur um Vaters Gottesdienst zu hören; seine große Familie begleitete ihn und unser Synagögchen war buchstäblich überfüllt. Vaters Rede begeisterte diesen Herrn, ich konnte es gut bemerken. Verzeihung, ich habe aber mehr diesen Herrn als Vaters Rede bewundert, seinen herrlichen Gebetsschal, den er wie ein frommer Jude über den Kopf legte, um die Welt draußen zu vergessen. Doch sein Gesicht mit dem fein zurechtgeschnittenen Bart war gar nicht vorschriftsgemäß (und mir kam es so vor, als ob seine Gedanken noch immer in der Welt “draußen” geblieben waren). Und dann – durfte ein Jude überhaupt “reich” sein?! Aber dieser Herr sah trotzdem sehr klug aus und schien viel nachzudenken. Über was wohl? Seine so schön angezogenen Kinder kamen auch aus dieser Welt, die ich nicht kannte, und der große Hut seiner Frau schien mir gewiss nicht gottgefällig zu sein.

      Als alles vorbei war und wir aus der Synagoge herausgingen, da stellte Vater mich dem Herrn vor: “Mein kleiner Sohn David, er studiert schon fleißig.” Von dem Herrn freundlich befragt, antwortete der “kleine David” prompt auf alle Fragen und legte manche Kommentare stolz dazu.

      Der kluge Herr schien alles gut zu verstehen und zeigte, wie erstaunt er über meine Antworten war. Das gab mir Mut und ich erlaubte mir zu fragen, ob seine Kinder zu meinem Thora-Vorlesen am Nachmittag kommen könnten. Und wirklich, sie kamen! Und der Herr selbst kam auch.

      Wie war ich glücklich, auch meine Vortragskunst zu beweisen! Hingerissen vom Eifer wollte ich, dass alle Kinder mit mir zusammen von diesen heiligen Worten belebt sein sollten, sie sollten zittern und aufatmen und die Worte nicht mehr vergessen. Ich fand selbst, dass ich etwas übertrieb, doch glücklicherweise war Vater da und seine Anwesenheit beruhigte mich. Zum Schluss gelang es mir, die Zemirot, die ich von Vater gehört hatte, mit ihnen allen zusammen zu singen.

      Als alles beendet war, rief mich der Herr zu sich:

      “David, wie alt bist du?”

      “Ich habe soeben mein sechstes Lebensjahr begonnen.” Ein sehr zweifelnder Blick ging zu Vater. Vater aber bestätigte meine Worte. Der Herr nickte mehrmals mit dem Kopf und schaute mich ernsthaft an. Darauf legte er ruhig und fest eine Weile seine Hand auf meine Schulter. Danach verabschiedete er sich von Vater.

      Mir war, als ob diese Familie meine Gedanken mit in ihre Welt genommen hätte. Vater musste mir beim Studium sagen:

      “David, pass auf! Deine Gedanken sind nicht bei der Sache!”

      Einige Zeit darauf kam der Postbote mit einem eingeschriebenen Paket: “Wohnt hier ein David Tulman?”

      Mutter eilte zu Vater.

      “Nein, nein, nicht Sie, Herr Rabbiner, ein David Tulman”. Ich musste selbst unter Vaters Aufsicht unterschreiben, natürlich auf hebräisch.

      Der Postbote murmelte: “Wer kann denn das lesen?”, und ich sagte ihm: “Ich!”

      Das erste Paket meines Lebens. Es war mir erlaubt, es selbst

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