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der Rabbiner, von seiner Wanderung durch die weit zerstreute Gemeinde zurück. Er war ein großer, schöner Mann und Träger eines prachtvollen Bartes. Meine Schwestern und ich waren der Meinung, dass Vaters Bart von seinem Munde wie ein Strom der Gottesweisheit floss. Mit Würde trug er einen kräftigen Stock mit sich, wir Kinder dachten: “So wie Moses”. Sein schwarzer Kaftan und sein großer Hut mit breiter Krempe ließen ihn noch imposanter erscheinen. Ja, unter dem Hut trug Vater noch “die kleine Kalotte”, um niemals barhäuptig zu sein, denn es steht geschrieben: “Der Hohe Priester entblößt nicht sein Haupt.” Die schwarze Farbe unserer Kleidung, das wusste ich schon damals, ist das Zeichen, dass wir Juden noch immer um die Zerstörung der zwei gewaltigen Tempel des Königs Salomon und des Königs Herodes in Jerusalem trauern. Dies ist nun schon zweitausend Jahre her, aber wir vergessen es nie.

      Vaters Erscheinung bewegte mich immer mit Verehrung und Bewunderung, denn diese ganze jüdische Vergangenheit war in ihm lebendig, und ich, ich sehnte mich, alles von ihm zu lernen.

      Vater sagte: “Es muss so tief in dich hinein dringen, dass Gott selbst sagt: Du bist ein Jude.” So erklärte Vater mir das Lernen der heiligen Schriften.

      Jetzt aber fragte seine klare Stimme mich:

      “Nun, David, wo bist du angelangt?”

      Ich drückte meinen Finger so stark auf die Linie im heiligen Buch, dass mein ganzer Eifer in ihn hinein rutschte.

      “Hier Vater!” Da geschah etwas sehr Unbegreifliches, ja Erschreckendes, es fiel nämlich vom Himmel auf mein Buch eine kleine Silbermünze.

      “Du hast mit Fleiß Gott gedient – und siehe, David, Er belohnt dich dafür”. Es wurde mir heiß und kalt in abwechselnden Schauern. Meine Freude, Gott zu dienen, mir seine Liebe zu erwerben, sollte zu diesem Silberstück zusammenschmelzen? Mein ganzes Wesen schüttelte sich, als wollte es diesen Gedanken abwerfen: Nein, niemals rühre ich dieses Geld an! Ich hasste es. Ich wollte es vom Tisch stoßen. Aber glücklicherweise, meine Augen sind sehr flink, hatte ich bemerkt, dass es Vater war, der wie ein Zauberer die Münze vom Deckenbalken herunterfallen ließ. Ja, ich hatte es gut gesehen und gefühlt. Es war nicht Gott gewesen!

      Wie konnte ich aber dies behaupten? Und wie konnte ich es vor Vater sagen, dass ich alles bemerkt hatte und dass ich die Münze nicht haben wollte? In meiner Verzweiflung brach ich schließlich in einen Tränenstrom aus.

      “Papa! Papa, ich will kein Geld haben. Gott hat mich viel besser lieb!” Darauf wurde es still. Ich musste auch schnell meine Nase putzen, damit es nicht auf das heilige Buch rann, derweil schien es mir, ging mein Schluchzen bis zum Allmächtigen hinauf. Ja, und Er nickte mir gütig zu und sagte:

      “Du hast Recht, David!”

      Vaters Hand legte sich sanft auf mein Haar, seine starke Liebe glitt in mich hinein, bis in das Allertiefste meiner Seele. Wie war ich glücklich! Meine Augen voller Tränen schauten zu Vater auf und unsere Blicke begegneten sich, ja begegneten sich in jener Welt, wo man Gottes Liebe sucht, in dieser stillen, gewaltigen Welt, wo man Ihm begegnen kann.

      “Nimm die Münze, David, sie war für dich bestimmt und mache dir eine Freude damit”. Vater nickte mir gütig und froh zu. Ich wischte sorgsam die Tränentropfen vom offenen Buch, die Welt wurde hell, sogar sehr leuchtend schön! Unsere Welt!

      Vater nahm wieder seinen Platz an unserem gemeinsamen Studiertisch ein.

      So war es in Kurtakeszi, meinem “lichtigen Dörfchen”. Unsere Mutter saß draußen vor der Tür unter dem Himmel des Allmächtigen und arbeitete, wie immer, für uns alle. Plötzlich wusste ich, was zu tun sei, rannte zu ihr, um ihr die Münze in die Hände zu legen.

      “Mamme, behalte du sie! Wenn noch mehr herunterfallen, können wir Schuhe zum Winter kaufen!” Aber niemals ist wieder ein Geldstück vom Himmel gefallen. Doch der große Reichtum der heiligen Schriften, er fiel tief in meine Kinderseele hinein. Dieser Reichtum wurde zu meinem unverlierbaren Schatz und Schutz während des langen Wanderns durch die Wüsten der Welt.

      Unser Leben

      Wenn es Winter war, sahen die etwa hundert verstreuten Häuschen von Kurtakeszi aus, als hätten sie große Kapuzen von di-ckem Schnee über ihre Gesichter gezogen; man konnte kaum mehr aus den Fenstern sehen und der Wind draußen heulte, manchmal waren es auch die Hunde, die heulten, und Vater gab ihnen dann ein Stück von unserem Brot. Aber im Sommer wurde alles wieder tüchtig grün und herrliche Blumen gab es überall; die waren ebenso kräftig und lustig wie die Bauern.

      Wie möchte ich doch gut beschreiben, wie alles hier war, begann doch meine Lebensreise hier, in meinem süßen Dörfchen. Eine wirkliche Straße begann erst vor der Kirche, es stand rechts das Haus des Geistlichen und die christliche Schule. Dann kam das christliche Wirtshaus mit seinem kleinen Bazar und genau gegenüber war der kleine jüdische Bazar mit seiner Herberge. Wir waren vielleicht fünfundzwanzig jüdische Familien im Dorf und unser Synagögchen war nur durch einen sehr großen Hof von der jüdischen Herberge getrennt. Dann kam unser Haus, und wenn ich an Vaters Studiertisch saß, suchten meine Augen oft die Sonne in diesem riesigen Hof.

      Da man zur Synagoge am Sabbat zu Fuß gehen muss, war ganz logischerweise das jüdische Leben um sie herum gruppiert. Nur unsere Schule stand hinter der Kirche auf einem kleinen Hügelchen, recht einsam. Vater gefiel das, er sagte: “Zum Lernen muss man Ruhe haben.”

      Denn auf dieser einzigen Straße hielten die Bauern mit ihren Gespannen an, gerade zwischen den beiden Wirtshäusern, tranken einen guten Schluck Wein, erzählten sich Schwänke und alle Neuigkeiten und man lachte laut von Herzen darüber. Sie waren nicht bösartig, aber wenn ich vorüberging, versuchten sie mich zu erwischen, um an meinen Päis zu ziehen, das amüsierte sie sehr, aber mich beschämte es zutiefst und dann riefen sie “Kleiner Jud! Kleiner Jud!” hinter mir her.

      Und eines Tages geschah es, dass Vater mich bei der Hand nahm und sagte: “David, du bist nun ein großer Junge geworden, es ist an der Zeit, zur Schule zu gehen, damit du das weltliche Wissen erlernst!” Und der Weg führte natürlich zwischen der christlichen und der jüdischen Herberge vorbei. Eigenartig war, dass ich nicht versuchte, mich auf der jüdischen Seite der Straße zu halten, da, wo auch unser Bazar war. Nein! Ich ging immer genau in der Mitte, besser gesagt, ich rannte.

      In der Schule fand ich andere jüdische Jungen, aber sie trugen kein Päis wie ich, was mir bei ihnen zu einem gewissen Respekt verhalf, worauf ich sehr stolz war. Die größeren Jungen flüsterten untereinander: “Wir müssen aufpassen, die Christen lieben uns nicht, sie beschuldigen uns wegen dem Gekreuzigten!”

      Wer war dieser gekreuzigte Jesus? Was bedeutete das Kreuz mit der traurigen Figur darauf genagelt? Das war eine Welt, von der ich noch nichts wusste. Vater zu befragen, schien mir unmöglich. Also rannte ich schnell auf der Straße, mein Herz klopfte laut und lange Zeit glaubte ich, dass “Jude sein” hieß: “Angst haben”. Aber ich wollte so ein Jude wie Vater werden und keine Angst haben! Und das war nicht leicht! Die Ungarn waren lustige Leute und wollten sich immer über mich amüsieren.

      Es war Frühling! Die Sonne schien hell und seltsam, alle ihre Strahlen liefen genau zur Mutter, als wenn das Licht vom Himmel nur für sie herunterkommen wollte. Wenn es Engel auf Erden gibt, so war Mutter einer von ihnen. Sie war das Licht und die Zärtlichkeit in unserem Hause. Sie war unser Glück! Wir fanden sie alle sehr schön, trotzdem sie als die Frau des chassidischen Rabbiners ihre blonden Haare geopfert hatte um vorschriftsgemäß eine Perücke und ein Kopftuch zu tragen. Ja, dies alles um die Liebe nicht mit äußerlicher Schönheit anzureizen.

      “Liebe ist ein Gottesgeschenk”, sagte Vater. So saß Mutter in ihrem schwarzen Kleid im hellen Licht vor der Tür und stopfte unsere schon oft gestopften Strümpfe. Wie konnte ich ihr nur sagen, dass ich Hunger hätte? Früh die aufregende Schule und dann bis spät in der Nacht neben dem Vater den Talmud studieren, das höhlt den Magen aus und er war es auch, der mich zur Mutter führte.

      “Mamme, gibt es heute Mittagessen?” Mutter lächelte.

      “Närrchen, warte bis zum Abend, da hast du noch mehr von den heiligen Geboten gelernt und dann hast du die Mahlzeit wirklich verdient! Da wird

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