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seinem Teller etwas, so wurde sie eine große Henne und eines Tages legte Rachel uns ein Ei! Es wurde allerseits bewundert und sie schien sehr glücklich darüber zu sein. Rachel folgte Vater jetzt auch bis zur Synagoge. Da geschah es eines Tages, dass Vater, vertieft im Morgengebet, sie nicht beachtete und ihr auf den Fuß trat. Rachel schrie laut auf, lief aber dann dennoch hinkend hinter ihm her zum Studierzimmer zurück. Vater war gerührt und sagte mit freundlicher Stimme leise vor sich hin: “Zadekeste”. Das heißt etwa: “gütige Weise”.

      Der Winter wurde härter und kälter, Vater musste fast gänzlich unsere Wanderungen einstellen, der Schnee lag zu hoch. Eines Freitagmorgens kam ein junger Sakrifikateur zu Vater, um Rat zu erbitten. Vater schickte mich hinaus und ich half Mutter in der Küche, unsere Gänsefedern schleißen. Dies wurde der Tag, an dem Rachel unsere Welt verließ, der heilige Sabbat, an dem sie ihre irdische Güte an uns verteilte. Es wurde der Tag, an dem ich keinen Bissen herunterschlucken konnte. Vom Jenseits blickte Rachel zu mir hernieder, mit viel stiller Güte, derweil ich fastete. Gott ließ unsere ‘Zadekeste’ auf meine Großgrundbesitzerwünsche und Ideen der Gerechtigkeit antworten.

      Die Arten des Hungers

      “Papa, warum ist das Messer des Sakrifikateurs von beiden Seiten so aufs Feinste geschliffen?”

      “Damit den Tieren kein Leid geschehe, dass ihre Seele ohne Schmerzen in Gottes Licht gleite. Sie sind seine Geschöpfe.”

      “Warum hat der Sakrifikateur Rachels Seele zum Allmächtigen geschickt und nicht du?”

      “Wenn du ein Tier gerne hast, ist deine Hand nicht ruhig. Ich durfte es nicht, meine Hand hätte gezögert und ich hätte Rachel weh getan.”

      “Papa, wir haben alle Rachel gern gehabt, warum durfte sie nicht bei uns bleiben und im Frühling Kinder haben? Sie legte doch schon Eier?”

      “David, es ist nicht unseres Bleibens hier in Bakony-Tamasi! Du wirst keinen Garten und kein Hühnerhaus mehr haben. Wir hätten Rachel nicht mitnehmen können. Aber ihre kleine Seele, die wird immer mit uns gehen!”

      “Ja, Papa, das habe ich gefühlt! Aber ich glaube, viele Menschen haben die Tiere nicht gerne, sie lassen sie nur arbeiten, schlagen sie und essen sie auf.”

      “Das sind schwere Gedanken, David. Mir scheint, es kommt daher, weil viele Menschen nur den Hunger ihres Magens fühlen und sie glauben, nur er sei zu stillen. Der wahrhaftige Hunger des Menschen kommt viel tiefer aus unserer Seele, das ist der Hunger nach Liebe. Und nur der Mensch, der geliebt hat, dessen Hunger ist gestillt! Das wissen nur wenige Menschen, David.”

      Und so endete meine Hühnergeschichte.

      Der Friedhof

      Es wurde Frühling. Aber unser Garten mit seinem ersten Grün lockte mich nicht mehr hinaus. Die Stille im Hühnerhaus trug meine Gedanken zu weit in jene Welt, wo, wie es scheint, die Seelen weilen. Vater war sorgenvoll. Er fühlte, dass unsere Anwesenheit den katholischen Geistlichen tief erregte und die Freundschaft des Bürgermeisters, in dessen Haus wir wohnten, ihm auch nicht gefiel. Diese Art Dinge bewirkten in Vater eine Traurigkeit, aber niemals Angst, denn Vater fühlte sich, wo er auch war, im Dienste Gottes. Als die Bauern am Sonntag aus der Kirche kamen und die Großgrundbesitzer in ihren Kaleschen heimfuhren, drang durch die ersten warmen Sonnenstrahlen plötzlich Geschrei und Jammern zu uns. Jüdische Frauen und Kinder eilten herbei, um sich bei uns in der Synagoge zu verbergen, derweil ihre Männer im Haus blieben, Hab und Gut zu verteidigen. Die Bauern seien mit wütendem Geschrei aus der Kirche gekommen, durch das Dorf gelaufen und dann zum Friedhof gerannt, hätten begonnen, Grabsteine zu zerschlagen, umzuwerfen und seien dabei, sie zu beschmutzen.

      Vater sprang auf.

      “Jetzt hat er, dieser Pfaffe, mich aufgerufen! Er hat das Heer seiner armen Bauern, die an ihn glauben sollen, gegen uns geschickt. Gegen mich, den Rabbiner! Gegen mich, den Juden! Gegen seinen Feind: mein Volk!”

      Die Gestalt Vaters wurde unheimlich groß, in seinen Augen leuchtete es wie Flammen.

      “David, gib mir meinen Stock und komm!”

      Meine Beine mussten rennen, um Vaters Schritten zu folgen. Bald hörten wir vom Friedhof Lachen und Kreischen. Unser Weg lief abwärts, wir konnten das ganze Spektakel übersehen. Die nackten Hinterteile der Burschen erweckten das Beifallskreischen der Mädchen, derweil die umgeworfenen Grabsteine besudelt wurden. Ältere Bauern und Frauen hielten etwas Abstand, aber sie lachten befreit und belustigt.

      Mein Vater trat, wie vom Himmel gefallen, genau in ihre Mitte. Es wurde plötzlich still. Man wich zurück. Das Lachen verstummte.

      “Ja, da bin ich! Der Rabbiner! Der Jude! Und ich sage euch: Euer Jesus war auch ein Jude. Jesus würde sich euer schämen. Jesus, der Jude, hat von Liebe gesprochen! Sind eure Seelen so verführt, dass ihr an den Toten Ungerechtigkeiten begeht? Hier bin ich! Ein Lebendiger! Hat Jesus euch gelehrt, ohne Scham zu sein? Hat Jesus, der Jude, gelehrt, über Unreinheit und Schamlosigkeit zu lachen?”

      Ein junger Mann warf einen Stein, der dicht neben mir auf ein Grab fiel. Da hob Vater seinen Stock, fürchterlich groß erschien er, und schritt auf den jungen Mann zu.

      “Sieh, ich bin da! Der Rabbiner! Ich bin allein. Allein gegen euch alle. Aber Gott ist mit mir! Und auch der Jude Jesus!”

      Und sie wichen zurück, zogen ihre Hosen hinauf und glitten verschüchtert vom Friedhof. Einige Bauern murmelten: “Es ist eine Schande, was geschah.” Eine Frau schrie: “Die Gendarme kommen. Die Gendarme, die schwarzen Raben!”

      “Holt Schaufeln und Eimer aus dem Friedhofshaus, um eure Schande abzuwaschen!”, sagte Vater. “Helft mir, die Steine aufzurichten!”

      Und die Bauern kamen. Die Gendarme, die das Volk ‘schwarze Raben’ nannte, erschienen, mit ihren stolzen Federn am Hut.

      “Was geht hier vor?” fragte einer erstaunt.

      Vater antwortete: “Es ist etwas vorgefallen, aber wir werden es reparieren. Sie können weitergehen, wir machen zusammen Ordnung.”

      Vaters Worte erstaunten das Volk: Keine Klage, keine Beschuldigung?! Still beschämt wurde weiter Ordnung gemacht. Darauf gingen alle gedrückt nach Hause. Vater und ich blieben allein auf dem Friedhof zurück. Vater schaute zum Himmel als wenn er in weiter Ferne zu Gott sprechen würde, dann stimmte er das ‘El mole rah’amin’ an, das Gebet für die Toten.

      Dann holte ich Vaters Stock und wir gingen hinunter zum Bach, uns gänzlich zu waschen und dreimal unterzutauchen.

      An diesem Sonntag blieben die Schenken leer, trotz der lockenden Sonne. Daheim angekommen, küssten die jüdischen Frauen und Kinder Vater die Hände und wanderten dann auch zu ihren Häusern zurück. Vater trat still in die Synagoge, öffnete den Schrein der Thora, warf sich, das Gesicht zu Boden, auf die Erde und weinte bitterlich. Nicht wegen der Geschehnisse in Bakony-Tamasi, nein! Ihn schüttelte aus den Tiefen der Vergangenheit alles Leid des Volkes Israel, die kindische Verführbarkeit der Christenwelt. Mir war, als ob der Messias selbst in Vater schluchzte.

      Es dauerte lange, bis er zur Ruhe kam.

      Der Abschied

      Es folgten stille Tage im Haus, wie auch im Dorf. Man sprach in Bakony-Tamasi nicht vom Friedhof, man flüsterte nur. Nach langer Abwesenheit erfuhr der Bürgermeister entsetzt die Geschehnisse. Er klopfte noch spät am Abend an unsere Tür, trat mit weit aufgerissenen Augen ein und eilte zu Vater: “Herr Rabbiner, Herr Rabbiner, ich war nicht da. Ich hörte erst jetzt von den Geschehnissen.” Darauf wandte er sich um und verschwand in der Nacht. Vater sagte: “Channe Fegele, in diese Gemeinde gehört ein kleiner, schüchterner Rabbiner, der in dem katholischen Geistlichen keine Eifersucht erregt. Der Bürgermeister wird die Juden schützen. Ich schrieb an mehrere Gemeinden um einen Austausch; wir werden Bakony-Tamasi verlassen.”

      Ein kleiner, junger Rabbiner kam von Oroszwár, einem Dorf neben Pozsony, mit einem Brief: Vater könne sofort im Austausch den Posten eines Kantors antreten.

      “David, geh zum Bürgermeister und mach mir

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