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Wissen eliminiert das Erotische nicht zuletzt aufgrund seiner Assoziation mit dem Femininen. Es weigert sich, das Wissen mit dem Sinnlichen zu verweben, denn es bevorzugt die karge Vorstellung, Wissen habe mit verkörperter Erfahrung nichts zu tun. Im Europatriarchat ist alles binär, entweder oder. Entweder Verstand oder Körper, entweder Vernunft oder Emotion, entweder lokal oder global, entweder angeboren oder erlernt, entweder weiblich oder männlich. Sinnliches Wissen dagegen ist kaleidoskopisch, neben und innerhalb von. Der Verstand existiert neben und innerhalb des Körpers, Vernunft neben und innerhalb des Gefühls, das Weibliche neben und innerhalb des Männlichen, und andersherum.

      Das europatriarchalische Wissen schätzt das Erotische, das Feminine und das Poetische auch deshalb gering, weil sie mit der natürlichen Welt verbunden sind. Was das europatriarchalische Narrativ im Kern verteufelt, ist Innerlichkeit, ogbon-inu. Poesie ist die Sprache des Inneren oder der Seele. Natur bewohnt das Innere der Erde. Und die Sexualorgane der Frau, die poiesis (Leben, Lust und Schöpfung) in sich tragen, liegen im Inneren des Körpers. Die Vagina ist nicht nur ein feuchter, warmer und dunkler Ort, wie ein Dickicht in einem Wald, sie führt auch zu einem noch versteckteren, jedoch Leben spendenden Ort, der Gebärmutter. All diese sexuelle Innerlichkeit umgibt wie eine Ozonschicht die Klitoris, wohl das poetischste Organ, das man sich vorstellen kann.

      Menschen sind die einzige Spezies, die sowohl ausdrücklich poetisch als auch erotisch ist, und diese Eigenschaften in der Wissensproduktion herabzusetzen bedeutet, Wissen seiner Menschlichkeit zu berauben und es robotisch werden zu lassen. Gedichte erklären ein Gefühl wie Verlangen in einer Form, wie es die wissenschaftliche Methode nicht vermag. Tanz beschreibt Freiheit in einer Art, wie die Mathematik es nicht kann. Innere Stille erklärt das Leben auf eine Weise, wie es Analysen nicht zustande bringen. Die Anerkennung der rohen, reinen Eigenschaft der Innerlichkeit ist wesentlich für einen bedeutenden Wandel. Wendeten wir sinnliches Wissen etwa auf die Wirtschaft an, würde es eine Art »erotische Wirtschaft« erzeugen, in der anstelle von Überschuss und Mangel Wechselseitigkeit und Unterstützung gediehen. Wendeten wir es auf die Erziehung an, würden Kinder neben Mathe und Naturwissenschaften auch Unterricht in Fächern wie Empathie und Dialog erhalten. Diese Stoffe würden sich vermischen, im Matheunterricht gäbe es eine Diskussion über Kommunikation, und im Empathieunterricht würden statistische Muster genauso analysiert wie Kunstwerke.

      Eine Strophe aus einem Gedicht der während der Jin-Dynastie (266–420) lebenden chinesischen Dichterin Zi Ye, auch bekannt als »Lady Midnight«, zeigt, wie die Grenze zwischen Wissen, Poesie und Erotik verwischen kann:

      Ich fand keinen Schlaf die ganze Nacht,

      Da der Mondschein auf mein Bett fiel.

       Ich hörte eine Stimme, die unablässig rief:

      Und aus dem Nichts gab Nichts zur Antwort: »Ja«.

      Das »Ja« in dem Gedicht könnte einem natürlichen Verlangen entsprechen, eine Antwort auf eine Frage zu bekommen, vielleicht auf einen spirituellen Zweifel. Ebenso könnte es ein »Ja« zur Berührung eines Liebhabers oder einer Liebhaberin sein. Das Mondlicht evoziert sowohl Klarheit als auch Geheimnis, und die schlaflosen Nächte könnten von Leidenschaft oder aber von tiefen Gedanken ausgelöst worden sein. Wenn das »Ja« erscheint, wirkt es erhellend und erotisch zugleich. Wir können jedoch auch spüren, dass dieses »Ja« die Dichterin mit Angst erfüllt. Wenn man sozialisiert ist, »Nein« zu denken, dann kommt das »Ja« »aus dem Nichts« und erschreckt einen wie ein Gespenst. Oder, in Audre Lordes Worten: »Wir sind dazu erzogen worden, das Ja in uns selbst […] zu fürchten.«11

      In ihrem Essay »Vom Nutzen der Erotik« argumentierte Lorde, das Erotische sei eine Ressource, die »einer zutiefst weiblichen und spirituellen Ebene angehört«. Ihre Unterdrückung sei die Unterdrückung einer »Quelle von Macht und Wissen in unserem Leben«, schrieb sie.12 In einem anderen Essay mit dem Titel »Dichten ist kein Luxus« argumentierte Lorde, das Dichten sei eine »Lebensnotwendigkeit« im Dasein von Frauen, da wir durch Dichtung eine »Sprache[, die] noch nicht existiert«, gestalten.13 Die Verschmelzung von dem, was Lorde als »europäische […] Art«14 des Wissens bezeichnet – was ich europatriarchalisches Wissen nenne –, die sich auf Probleme und Lösungen konzentriert, mit der »nicht-europäischen Sicht des Lebens«15, die den Schwerpunkt auf die Interaktion mit dem wirklichen Leben legt, war ihrer Ansicht nach der »Schlüssel zu unserem Überleben«16 und werde am besten durch Dichtung erreicht. Dichten als Luxus zu bezeichnen heiße daher, zu verwerfen, »was wir zum Träumen brauchen«17. Damit vernachlässigen wir gerade das, was wir benötigen, »um unseren Geist unmittelbar auf die Verheißung hin und durch sie zu bewegen«18. Im Wesentlichen behaupten wir damit, unser »Frausein« selbst sei ein Luxus.

      Eins der frühesten im alten Ägypten anonym verfassten Gedichte von ca. 2000–1100 vor unserer Zeit veranschaulicht ebenfalls diese Nähe von Wissen und Eros:

       Deine Liebe hat alles in mir durchdrungen

      Wie in Wasser getauchter Honig,

      Wie ein Duft, der Gewürze durchdringt,

      Wenn man Saft untermischt.

      Die Dichterin oder der Dichter spricht wahrscheinlich vom Entzücken (»in Wasser getauchter Honig«) einer Transformation, die durch eine spirituelle Erleuchtung hervorgerufen wird, aber die Sprache evoziert den Liebesakt. Der französisch-marokkanische Philosoph Alain Badiou sagt in Lob der Liebe, Liebe werde nicht allein durch den Verstand kultiviert, sondern auch durch »eine transzendente Macht«. In diesem Gedicht könnte die transzendente Macht ebenso gut ein Liebhaber wie das Wissen sein.

      Jene, die den Fortschritt zerstören wollen – Fundamentalist:innen, Imperialist:innen, Sexist:innen, korrupte Regierungen, weiße Suprematist:innen, Militärs, gierige Konzerne, und so weiter –, treten einer sinnlichen Herangehensweise an das Wissen entgegen, da Tyrannen schon immer verstanden haben, dass Menschen umso leichter manipuliert werden können, je roboterhafter sie sind. Aus diesem Grund haben Kolonisatoren indigene Kunst beschlagnahmt. Aus diesem Grund haben organisierte Religionen Zeugnisse der Göttinnenverehrung zerstört und die Taliban die antike Kunst Afghanistans in die Luft gejagt. Deshalb haben Fundamentalisten in Timbuktu Bibliotheken verbrannt. Das ist es, was Hitler gegen die Nazis gerichtete Kunst und Literatur aus Deutschland verbannen ließ, und es ist der Grund dafür, dass das türkische Militär kurdische Denkmäler zerstörte. Diese brutalen Autokraten sind sich bewusst, je mehr sie eine Erfahrung von Wissen als lebendig und sich entwickelnd verhindern, desto besser sind ihre eigenen Chancen, an der Macht zu bleiben. Sie verstehen, dass ein verängstigter, fragmentierter und frustrierter Verstand sich kaum der Unterdrückung widersetzt und sie mit höchster Wahrscheinlichkeit aufrechterhält. Jene, die den Status quo bewahren wollen, werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Transformation von Wissen zu verhindern. Sie wissen, dass ein Mensch, der nicht für sich selbst denken kann, ein Mensch ist, der für sie denken kann.

      Wenn es eine Gruppe gibt, die die Prämisse des europatriarchalischen Wissens schon immer infrage gestellt hat, dann sind es die schwarzen Feministinnen. Aufgrund unserer Position außerhalb des Machtzentrums im Hinblick auf Race, Gender und oftmals auch Klasse bietet schwarzer Feminismus nicht die einzige, aber die umfassendste Kritik am europatriarchalischen Wissen. Schwarze Feministinnen haben stets betont, der Kampf könne sich nicht allein gegen das Patriarchat richten, wie weiße Feministinnen behaupteten. Er darf auch nicht nur die Klassendiskriminierung aufheben, wie von Sozialist:innen angestrebt. Er kann nicht nur Rassismus und Imperialismus angreifen, wie von den Black Radicals gefordert. Und er darf sich auch nicht nur um die Umweltzerstörung drehen, wie von Umweltaktivist:innen proklamiert.

      Aus diesem Grund bietet der schwarze Feminismus für alle eine relevante gegenkulturelle Perspektive, die sich gegen das Wissenssystem richtet, das unsere Welt beherrscht. Keine andere Ideologie – weder der Sozialismus noch der Marxismus, der schwarze Radikalismus oder der weiße westliche Feminismus – hat in ihrem Kern Befreiungstheorien entwickelt, die Diskriminierung aufgrund von Klasse, Gender und Race gemeinsam angehen. Während die schwarze Befreiungsbewegung einen wichtigen Beitrag zum Beenden des Imperialismus

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