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jene typisch amerikanisch-maskuline Weise abgehalten wurden, bei der die Redner wichtigtuerisch über die Bühne stolzieren.

      Mehrere Diskussionen in jener Woche stimulierten und berührten mich auf diese Art. Ich war davon ausgegangen, meine Zeit dort mit roboterhaften Tech-Bros und Silicon-Valley-Fanatiker:innen zu verbringen. Stattdessen fand ich mich in Gesellschaft von Menschen wieder, die sich zum großen Teil mit ehrlicher Leidenschaft für Ideen interessierten, die etwas verändern könnten. Wir sprachen über die vier großen Technologien der Zukunft – Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und Kognitionswissenschaft (die NBICs). Wir betrachteten die Schnittpunkte von Technologie und Bewusstsein und sahen uns einen unglaublichen Clip an, in dem ein kleines Mädchen ein Spielzeugauto mit ihren Gedanken kontrolliert. Zwischen den Diskussionen gab es Yogakurse und gesunde Mahlzeiten. Kurz gesagt, die Reise hatte sich gelohnt.

      Der Besuch bot mir jedoch auch einen besorgniserregenden Blick in eine Zukunft, die utopisch sein könnte – in der die Probleme des Gesundheitswesens, Armut, soziale Ungleichheit und die Klimakrise gelöst wären –, die unsere gegenwärtige Denkweise jedoch niemals verwirklichen würde.

      Ich erinnere mich an ein beunruhigendes Gespräch mit einer Gruppe von Leuten, allesamt wohlhabend, weiß und männlich, die in aller Ernsthaftigkeit erwarteten, dank lebensverlängernder Technologien (Reverse Aging, epigenetische Verjüngung, Anti-Aging-Nahrungsergänzungen, und so weiter) mindestens hundertfünfzig zu werden. Sie waren etwa in meinem Alter, sprachen jedoch mit der Gewissheit, noch ein weiteres Jahrhundert zu leben. Ich konnte das Entsetzen nicht verbergen, das ich verspürte, als diese sowohl durch ihre Race als auch durch ihre Klasse privilegierten Männer aufgeregt über ihre Zukunft sprachen. Es war keine Zukunft, von der ich oder die meisten Menschen auf unserem Planeten auch nur träumen können.

      Dabei hatte ich keine moralischen Bedenken gegenüber lebensverlängernden Technologien an sich. Ich bin nicht dagegen, zu erforschen, wie die Wissenschaft das Leben verbessern und verlängern kann. Aber ich bin dagegen, neue Technologien gedankenlos in die falsche Richtung zu entwickeln. Ich bin dagegen, Menschen dazu zu ermutigen, sich zu verhalten, als lebten sie auf einer einsamen Insel, wo ihre Entscheidungen keinerlei Auswirkungen auf andere haben. Ich bin gegen die unfassbare Ungleichheit zwischen jenen, die schon Glück haben, wenn sie eine Handvoll Jahrzehnte überleben, und jenen, die bereits planen, bis weit in ihr zweites Jahrhundert hinein am Leben zu bleiben. Ich bin gegen die immer engeren Beziehungen zwischen wissenschaftlicher Forschung und profit-orientierten Unternehmen, die so viele Aspekte im Leben der Menschen kontrollieren können. Es ist kein Zufall, dass einige der bedeutendsten Investoren in lebensverlängernde Technologien die Gründer von Unternehmen wie Google, PayPal und AstraZeneca sind.

      Wissenschaft ist selbstverständlich der verlässlichste Weg, um Hypothesen zu überprüfen. Wissenschaft wurde jedoch auch benutzt, um Verbrechen zu rechtfertigen – vom transatlantischen Sklav:innenhandel bis zum Holocaust oder dem Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben. Die Welt der Wissenschaft ist noch immer voller Rassisten und Sexisten, die »Wissenschaft« benutzen, um ihre Vorurteile zu bestätigen. Kaum ein Monat vergeht ohne irgendeinen neuen Skandal im Zusammenhang mit einem Missbrauch der wissenschaftlichen Methode. Ich muss etwa an Satoshi Kanazawa denken, einen Evolutionsbiologen an der London School of Economics, der 2011 einen »wissenschaftlichen« Artikel veröffentlichte, in dem er behauptete: »Schwarze Frauen sind weniger attraktiv als andere Frauen.« Mich überkommt ein unwirkliches Gefühl, wenn ich daran denke, dass die seriöse Plattform Psychology Today diese beleidigenden Worte auf ihrem Blog veröffentlichte. Am meisten beunruhigt mich dabei gar nicht Kanazawas Rassismus, der so transparent wie trivial ist, sondern dass seine Worte in unserer Zeit noch immer ernst genommen werden konnten. Wie der Anthropologe Jonathan Marks in seiner Streitschrift Is Science Racist? ausführt: »Nahezulegen, eine wissenschaftliche Studie über Race könne sich irgendwie gegen Kultur oder Politik abschirmen oder immunisieren, ist selbst eine zutiefst politische Heuchelei.«27

      Zu argumentieren, wissenschaftliche Ergebnisse sollten ebenso kritisch betrachtet werden, wie man etwa Literaturkritik oder Kunstkritik betreiben mag, birgt die Gefahr, als wissenschaftsfeindlich oder antiintellektuell bezeichnet zu werden. Wissenschaft ist die Religion des modernen Europatriarchats, und wie jeder Glaube geht auch dieser davon aus, unstrittig zu sein. Eine inhärente Neutralität in der wissenschaftlichen Wissensproduktion infrage zu stellen, hat Auswirkungen. Es als schwarze Frau zu tun, noch dazu in einem Kapitel über das Wissen, lädt zu Anschuldigungen ein, bestenfalls uninformiert zu sein. Und ja, ich bin mir meiner begrenzten Einsichten in die akademischen Debatten zur Erkenntnistheorie, also der Erforschung des Wissens, bewusst. Diese Diskussionen werden in einer abstrakten Sprache geführt, mit der weder ich noch, wie ich mir vorstelle, die meisten meiner Leser:innen ausreichend vertraut sind. Ich kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass mit Ausnahme der feministischen und postkolonialen Wissenschaften, die die Wissensproduktion grundlegend verändert haben, die Debatte sich noch immer überwiegend auf Philosophen der Aufklärung beruft, die das europatriarchalische Wissen etablierten, indem sie dem Gebiet der Wissenschaft ihre Vorurteile einschrieben. Die Welt leidet aufgrund der Vorurteile des Wissens. Die noch tiefere Ursache für Ungleichheit ist allerdings, dass unsere Konzeptualisierung von Wissen uns nur durch Vorurteile erlaubt, Zugang zu ihm zu finden.

      Mein Besuch im NASA-Forschungszentrum war auch nicht das einzige Mal, dass mir ein Mangel an Rücksichtnahme, Empathie und Sensibilität gegenüber der Zukunft der Menschheit schlaflose Nächte bereitete. Meine gesamte Arbeit entspringt der Verzweiflung über die Unterdrückung von Frauen und die daraus resultierende Diskreditierung von Eigenschaften, die als weiblich angesehen werden, wie etwa die oben genannten, obwohl sie von grundlegender Bedeutung sind für erfolgreiche Bildung, Politik, Kultur, Wirtschaft, soziale Beziehungen und Wissenschaft.

      Die Erfahrung verdeutlichte für mich jedoch die Dringlichkeit, europatriarchalische Vorurteile gerade auch auf dem Gebiet der Wissenschaft zu untersuchen, da die neuen Technologien dieselben alten Denkmodelle reproduzieren. Ich meine nicht nur, wie das Wissen geprägt wird von Gender, Race, Klasse, und so weiter, sondern auch, welche moralischen und ethischen Fragen die wissenschaftliche Methode untermauern. Welche Weltsicht hat uns zu unserer gegenwärtigen Gesellschaft geführt? Und wie können wir sie verändern? Denn wenn die Wissensproduktion in der Gegenwart unethisch ist, dann wird auch das produzierte Wissen in der Zukunft unethisch sein.

      Dass die Wissenschaft trotz entscheidender Beweise für das Gegenteil ihre umfassende Reputation als von Natur aus objektiv aufrechterhalten kann, reicht zurück bis zu der Wahrnehmung von Wissen als etwas zu Erwerbendem, geprägt von frühen Europatriarchen wie Francis Bacon. Nur wenige Menschen stellen dieses besondere Element der voreingenommenen Wissensproduktion infrage, dabei ist es die Wurzel, die den Status quo am Leben erhält. Denn wenn man sich Wissen als etwas zu Erwerbendes vorstellt, muss man es sich zunächst als Res extensa vorstellen, etwas von einem selbst Abgetrenntes. Schließlich kann man nicht erwerben, was man bereits besitzt. Diese Unterscheidung wiederum erfordert, dass man Wissen als etwas wahrnimmt, das sich von selbst manifestiert, was bedeutet, dass man Wissen als neutral ansehen muss. Weiterhin muss man das Wissen, um es als neutral anzusehen, von den Denkmustern und gesellschaftlichen Bedingungen abtrennen, die es erzeugt haben. Um den Glauben an diesen Prozess aufrechtzuerhalten, muss man propagieren, die gültigste Form des Wissens sei jene, die sich messen lässt. Letztlich funktioniert auf diese Weise der Prozess des europatriarchalischen Wissens. Wissen um jeden Preis zu erwerben, entfernt es aus seinem Kontext und befördert Vorurteile.

      Als ich sechs Jahre alt war, veröffentlichte Audre Lorde ihren vielbeachteten Essay »Du kannst nicht das Haus des Herren mit dem Handwerkszeug des Herren abreißen«. Ich las ihn natürlich erst viel später, an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich eine Karriere im Marketing hinter mir gelassen und einen feministischen Blog mit dem Titel MsAfropolitan gestartet hatte, der nun rasant wuchs. Ich wollte einen Master in Gender Studies machen, um meine Texte von jenem für scharfe Beobachtungen erforderlichen Verständnis zu erfüllen. Ich entschied mich für die School of Oriental and African Studies, wo ich mich auf schwarze und afrikanische feministische Perspektiven auf Gender konzentrieren konnte. Zur Vorbereitung las ich viel Sachliteratur von schwarzen Feministinnen, darunter auch Lordes Sister Outsider, das mich zutiefst berührte. Wenn sie sagte: »Du kannst nicht das Haus des

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