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die Micro Brewery gegenüber aufmachte, »schnell mal hingehen, ehe die wieder zumachen«. Aber es wurde nicht nur was, es wurde sogar ein großer Erfolg. Endlich konnte ich mich mal guten Gewissens bei uns in der Nähe mit Freunden verabreden. Nicht, dass man früher im Wedding nichts zu trinken bekommen hätte. Aber wenn man Unbeteiligte, also Nicht-Weddinger, hierher lotste, benahmen die sich immer so, als wären sie frühe Forschungsreisende, die auf einer Südsee-Insel anlandeten, die gemeinhin für Kannibalismus bekannt ist.

      Aber jetzt gibt es das Vagabund und das Frederick und die Nussbreite, und man kann einfach so reingehen. Vielmehr: könnte einfach so reingehen. Wenn man denn reinkäme. Als ich neulich mit einem alten Freund an einem Freitagabend verabredet war, um ihm zu zeigen, dass man jetzt auch im Wedding ausgehen kann, war alles voll. Wenn überhaupt, dann nur Stehplätze mitten im Raum. »Da hätten wir ja gleich nach Kreuzberg gehen können«, knurrte der Freund. Es ist wirklich ein Witz: Jahrelang kann man nirgends hingehen, weil es nichts gibt, und kaum gibt es was, kann man nicht hingehen, weil alle da hingehen.

      Wir beschlossen, erst mal was zu essen. Ich schlug die Dönerbude meines Vertrauens vor, mein Freund fragte, ob die denn auch vegan hätten. Ich dachte, er scherzt. Er ist schließlich mein Freund. »Nein«, sagte ich, »keine Sorge, so schlimm ist es dann doch noch nicht. Die Kneipen mögen überfüllt sein mit hipsterigem Jungvolk, aber die Dönerbuden sind noch Dönerbuden.« »Dann lieber nicht«, sagte der Freund. Ich staunte. Ich staunte sogar gleich doppelt. Erstens, weil mein Freund offenbar zum Veganer mutiert war. Und zweitens darüber, dass ich ohne mit der Wimper zu zucken sagen konnte: »Gut, dann gehen wir eben in den Lichtsauger bei mir um die Ecke, der hat vegan.« »Lichtsauger?«, fragte mein Freund irritiert. »Du wolltest doch vegan!«, sage ich vorwurfsvoll, »die heißen nun mal so.«

      Der Freund, so erfuhr ich im Lichtsauger, macht einen Selbstversuch. Drei Monate lang will er vegan leben. Zur Selbsterfahrung. Um mal wirklich mitreden zu können. Und um ein Buch drüber zu schreiben, dass sich angesichts des Vegan-Hypes anschließend gefälligst wie geschnitten Wurst verkaufen würde, freute er sich. Aber es sei nicht leicht. Immerhin vier Wochen habe er schon überstanden, aber dauernd werde er von seinem Umfeld gedisst und mit Unverständnis verfolgt. »Ach, soll doch jeder machen, wie er will«, sagte ich nur, »mir ist das ganz egal. Du brauchst dich für nichts zu rechtfertigen. Wir müssen auch gar nicht drüber reden.« Mussten wir aber doch. Der Freund hatte Redebedarf. Detailliert berichtete er von seinem exakt 26-tägigen Martyrium, während wir als einzige Gäste im Lichtsauger an unserem Tischlein hocken. »Tischlein« deswegen, weil die winzigen Stühlchen und Tischchen korrespondierten mit den lustig kleinen Portionen veganen Irgendwas’, die uns die Bedienung als Gnocchi angepriesen hatte. Die Bedienung, die so dermaßen klischeehaft nach einer lust- und lebensfeindlichen Veganerin aussah, dass ich mir auf der Stelle wünschte, sie möge doch bitte übergewichtig und gutgelaunt sein, nur um mal das Klischee zu brechen. Aber so war sie nicht, und die Chronistenpflicht zwingt mich festzuhalten, dass sie nun einmal aussah, wie sehr bösartige Carnivore eine Bedienung in einem veganen Restaurant aussehen lassen würden, wenn sie darüber berichteten. Immerhin, dafür sahen die veganen Gnocchi auf unseren Tellern ganz und gar nicht wie Gnocchi aus, sondern eher wie aufgequollene Pfannkuchen. Wie sehr, sehr kleine aufgequollene Pfannkuchen. Allerdings schön dekoriert, das sei lobend erwähnt, mit winzigen Blättchen und undefinierbaren, aber ganz nett darübergestreußelten Unkraut-Krümeln.

      Ich kam mir deplatziert vor. Ich traute mich kaum, mich auf meinem Stuhl zu bewegen, weil ich Angst hatte, er bräche unter mir zusammen. Mich auf den Tisch aufzustützen, wagte ich aus demselben Grund erst recht nicht. Immerhin, die Last unserer beiden Teller trug er aber souverän. Denn auf den Tellern war ja praktisch nichts drauf.

      Ich war mir nicht sicher, wie man so etwas richtig isst. Es war so wenig, dass man es im Grunde mit einem beherzten Gabelhieb hätte verschwinden lassen können. Das schien mir aber irgendwie unangemessen bei einem Gericht, das immerhin neun Euro fünfzig kostete. Ich kam mir sofort sehr ungehobelt, barbarisch geradezu vor. Ich stellte mir vor, wie die verkniffene Bedienung hinterm Tresen lauerte: »Aha! Der Fleischfresser stopft unsere von Kinderhänden in Südostasien aus handverlesenen Sojabohnenspitzen sorgsam zusammengespeichelten Vegan-Gnocchi einfach so achtlos in sich hinein, als wären sie ein blutiges Leichenteil. Bestimmt wird er nachher

      läs­tern, dass es nichts Anständiges zu essen gab, und sich irgendwo eine Wurst holen!«

      So einfach aber wollte ich es der Frau nicht machen. Also filetierte ich vorsichtig an meinen Pfannküchlein herum, mit der Sorgfalt eines Chirurgen, der versucht, bei der Krebsoperation das böse Gewebe von dem guten zu trennen. Der Veganer auf Probe mir gegenüber seufzte auf und griff zu seinem Handy. Er wischte ein paarmal darüber, dann gluckste er glücklich: »Pulled-Pork-Sand­wiches!«, sagte er nur. Ich verstand nicht. »Ich habe neulich dermaßen Lust auf Pulled-Pork-Sandwiches bekommen, da habe ich mir einfach einen Schwung Bilder aus dem Netz runtergeladen. So habe ich sie immer ganz nah bei mir. Das hilft.« Mit träumerischem Blick strich er durch eine Galerie voller vor saftigem Fleisch überlaufenden Brötchen- und Brothälften. »Hier, sieht das nicht toll aus?« Er hielt mir eines vor die Nase. Traurig blickten wir anschließend auf unsere Teller. Ach, was soll’s, dachte ich, nahm die Gabel entschlossen in die Hand, und der vegane Gnocchi-Quatsch war verschwunden.

      Sogleich eilte die Bedienung zu unserem Tisch: »Darf’s noch etwas sein?«, fragte sie hinterhältig. Eine Falle! Aber so leicht ließ ich mich nicht vorführen: »Nein, danke, ich bin restlos satt«, sagte ich ganz ernst, während der Freund versuchte, ein hysterisches Kichern zu unterdrü­cken. Dann zahlten wir und gingen. Vielleicht war ja jetzt in der Micro Brewery ein Plätzchen frei für uns.

      Die Spanier, die kürzlich bei uns im Haus eingezogen sind, kamen uns auf der Seestraße entgegen und begrüßten mich fröhlich mit den Worten: »Ey, wart ihr wirklich in dem Veganerschuppen? Ihr seid ja krass!« Ich wies entschuldigend auf meinen Freund, der mich böse anguckte. Aber diesmal passten wir in die Micro Brewery, und nach ein paar vorzüglichen IPAs war jeder Groll vergessen.

      Als wir wieder herauskamen, es war nach zwei, wurden wir von Rauchschwaden umhüllt, die uns das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Es roch nach Grill. Ich war verwundert. Aber tatsächlich: unser Spätkauf! Yusuf, der Chef dort, hatte in dieser lauen Frühlings-Wochen­endnacht einfach so einen Elektro-Grill mitten auf den Bürgersteig gestellt und verkaufte nun Bratwürste und Nackensteaks an die trunkenen nächtlichen Flaneure. Ich stellte mich fröhlich an, mein Freund strich derweil traurig über das Display seines Telefons.

      Vor mir in der Schlange stand eine hagere Frau. Sie kam mir bekannt vor, ich guckte noch einmal hin: tatsächlich. Es war die Bedienung vom Lichtsauger, die sich gerade ein wunderbar duftendes Nackensteak vom Grill reichen ließ und sogleich beherzt hinein biss. Sie sah sehr vergnügt dabei aus. Ich war es auch sogleich. Sie grüßte mich freundlich kichernd, als sie an mir vorbeiging. Und eigentlich, das sei an dieser Stelle dann doch zugegeben, waren die Gnocchis vom Lichtsauger wirklich verdammt lecker.

       Miteltern

      Der Unheil verkündende Zettel in der Postmappe des Sohnes drohte an, dass über die kommende Klassenfahrt zu sprechen sei. Deswegen werde ein Elternabend einberufen. Herrjeh, dachte ich da, was soll das denn? Wenn Klassenfahrt ist, würde doch ein Zettel, auf dem alles draufsteht, völlig reichen: wann geht’s los, wann müssen wir sie wo wieder abholen hinterher, und gut is’. Aber nein, wir werden einen ganzen Abend lang gründlich durchinformiert. Und müssen alle möglichen Entscheidungen treffen.

      Schon geht es los. Taschengeld. Die Kinder sollen ihr Taschengeld in einem Briefumschlag mit Namen drauf mitbringen. Der wird dann bei den Lehrern abgegeben. Wenn sie sich am Kiosk in dem Schullandheim etwas kaufen wollen, können sie sich das Geld wieder abholen. So ist gewährleistet, dass es nicht verloren geht. Und natürlich, wir sind schließlich eine Weddinger Grundschule, dass die lieben Kleinen sich nicht gegenseitig überfallen, um an die Kohle der anderen zu kommen. Eine zweifellos sinnvolle Einrichtung.

      Doch die Miteltern schauen sich ratlos an. »Aber wieviel?«, flüstern sie verunsichert. »Wie, wieviel?«, werfe ich irritiert ein, »einen Umschlag halt.« »Aber wir müssen doch wissen, wieviel Geld da rein soll!« Ach, es ginge ja nur darum,

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