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Und drittens: Niemand, wirklich niemand hat handschriftlich etwas dazugeschrieben!

      Der Zettel hat mein Bild von den Nachbarn erschüttert. Jeden, den ich treffe, mustere ich misstrauisch. Könnte das jemand sein, der sich nicht zu blöd war, »gute Vibes« mitzunehmen? Wer war es, der sich eine »positive Ausstrahlung« wünschte? Wer sehnte sich nach einer »neuen Liebe«?

      Kurz habe ich überlegt, selbst etwas auf den Zettel zu schreiben. Irgendwas Nostalgisches, so in der Art: »Habt Ihr sie noch alle, Ihr Arschlöcher?« Aber ich atme tief durch. Die Zeiten ändern sich eben. Ich reiße den letzten Abschnitt ab. Darauf steht: »Gelassenheit.« Achselzu­ckend stecke ich ihn mir ins Portmonee.

       Packstation

      Die Post hat angekündigt, die Einrichtung sogenannter Packstationen in jedem Haus erwägen zu wollen. Deren Sinn soll sein, dass dort vom Paketboten Pakete für die Bewohner hinterlegt werden, die diese dann durch irgendeinen Automatismus ausgehändigt bekommen. Da kann ich nur müde lachen. Eine solche Packstation gibt es bei uns im Haus nämlich schon lange. Sie ist zufällig in unserer Wohnung untergebracht, und der Automatismus, der die Pakete an die Hausbewohner aushändigt, bin ich.

      Die Paketboten steigen nämlich nicht so gerne Treppen. Erst recht nicht mit den oft ja auch sehr schweren Paketen. Da trifft es sich gut, dass ich im Erdgeschoss wohne. Und ich bin ja sowieso immer den ganzen Tag zu Hause. Diese beiden Vorzüge scheinen sich inzwischen zuverlässig herumgesprochen zu haben in der Paketzusteller­szene.

      Ich will aber nicht klagen. Ich treibe ja ohnehin keinen Sport, da sind die mehrmals am Tag klingelnden Paketboten und Nachbarn ein willkommener Anlass, mal vom Schreibtisch aufzustehen. Und man lernt auf diese Weise die anderen Hausbewohner kennen.

      Die Menschen in der Seestraße 606 sind nämlich stark gesellschaftlich engagiert. Ihr gemeinsames Ziel ist es, die lästigen Einzelhändler, die immer noch hartnäckig einige Ladenlokale hier im Wedding sinnlos besetzt halten, endlich loszuwerden. Deshalb bestellen sie eifrig bei Amazon, Zalando oder sogar Manufactum und treiben die immer noch ausharrenden Aktivisten der Occupy-Ladenlokal-Bewegung endgültig in den Ruin. Auf diese Weise sorgen sie für den dringend benötigten Platz für weitere Spielautomaten-Casinos, Shisha-Bars, Ein-Euro-Shops, Nagelstudios, Spätkaufs und Christenläden.

      Was hat es nur mit den Christenläden bei uns in der Gegend auf sich? Jetzt hat schon wieder ein neuer aufgemacht. Nach der evangelischen Kirche bei uns gegenüber, dem Palmblatt-Café der Pfingstcharimastiker bei uns im Haus und dem Batik-Laden für »Stofffärben und Begegnungen mit Gott« quer gegenüber hängen nun im ehemaligen Katerstüberl die roten Aushänge mit der zunächst frohe Kunde versprechenden Aufschrift: »neue Bewirtschaftung«. Was mich zu einer hoffnungsvollen Inaugenscheinnahme verführte, denn mit dem Katerstüberl konnte ich nichts anfangen, und ein brauchbares neues Geschäft wäre in unserem Block dagegen durchaus mal wieder angezeigt. Aber dann diese Enttäuschung, als ich den weißen Zettel darunter las: »Abendmahl. Treffpunkt für christlichen Austausch und spirituelle Filmabende.« Was soll der Scheiß? Da faseln alle von der Islamisierung des Abendlandes, und die verdammten Moslems lassen sich ausgerechnet im Wedding reihenweise die Butter vom Brot nehmen? Hier und da ein Falafel-Laden, das kann doch nicht alles sein! Der Einzige, der ernsthaft gegenzuhalten scheint, ist der fins­tere Obst- und Gemüsehändler in der Togostraße, der eifrig Spendengelder für die Hamas sammelt und »Tod den zionistischen Imperialisten«-Flyer in die Obsttüten legt.

      Wie dem auch sei, tagsüber nehme ich also die Pakete für den ganzen Häuserblock an, und ab dem späten Nachmittag kommen die Nachbarn vorbei, um sie wieder auszulösen. Letzte Woche stand der Mann von einem Zustelldienst wie üblich vor der Tür und fragte, ob ich ein Paket für die Künstlerin im vierten OG annehmen würde. Leicht erstaunt war ich, weil er augenscheinlich gar kein Paket dabei hatte. Aber na klar, natürlich nehme ich was an. »Fein«, sagte der Zustell-Mann, »dann hol ich das Päckchen mal eben.« Drei Minuten später rollte er mit einer Art Gabelstapler in den Innenhof, mit einer Euro-Palette und darauf einem zwei Meter hohen Trumm. Ich staunte nicht schlecht. Wir wuchteten das Teil in den Hausflur, wo es zwischenlagern musste, weil es gar nicht durch meine Tür passte. »Fein«, sagte der Zusteller wieder, »jetzt brauch ich nur noch die Euro-Palette zurück.« Ich sah ihn irritiert an. »Aber da ist doch dieses Mons­trum drauf?« »Ja, aber hilft nichts, die Palette muss ich wieder mitnehmen. Das müssen Sie da bitte irgendwie runternehmen.« »Ich?« »Na, ist doch Ihr Päckchen!« Ich schnappte nach Luft. »Na gut, ich helfe«, beschwichtigte der Zusteller. Wir begutachteten das vollständig in dicke Folien umwickelte und dergestalt fest mit der Palette verbundene Irgendwas fachmännisch von allen Seiten.

      »Ähm, ja«, gab ich mich geschlagen, »dann müssen wir es da wohl irgendwie losmachen. Haben Sie ein Messer?« »Nein«, sagte der Zusteller, »so was darf ich im Wedding nicht dabei haben.« Ich sah ihn verblüfft an und dachte erst, er macht einen Scherz. Da konnte ich noch nicht ahnen, dass einige Monate später DHL offiziell die Belieferung von Teilen des Weddings einstellen würde, wegen zu großer Überfallgefahr. »Im Ernst?«, fragte ich also ungläubig. »Ja«, sagte der Zusteller, »Weisung vom Chef. Keine Messer, keine Scheren, keine Waffen. Könnte bei einem Überfall gegen uns verwendet werden. In Treptow kann ich sogar ne Machete dabei haben, kein Problem. Aber nicht hier.« Immerhin, dachte ich. Der unheilvolle Hang zu irgendwelchen Bürgerwehren wäre damit ja schon mal wirkungsvoll im Ansatz erstickt. Also ging ich im Dienst der guten Sache zurück in die Wohnung und suchte nach einem scharfen Messer, um die Palette aus ihrem Plaste-Sarkophag zu befreien.

      Immerhin, die Folien-Mumie war mal eine Abwechslung zu den ewigen Amazon-Paketen. Amazon, Amazon, Amazon, immer wieder Amazon. Egal, wie mies die ihre Angestellten behandeln, egal, wie sehr die den gesamten Kulturmarkt austrocknen mit ihrem Monopolisten-Geba­ren, egal, ob die Buchhändler um die Ecke verrecken – die Leute kaufen wie blöd bei Amazon. Kein Wunder, dass die inzwischen über eigene Zustelllösungen nachdenken und deswegen jetzt schon damit experimentieren, ihre Päckchen demnächst durch Drohnen ausliefern zu lassen. Da bin ich ja schon mal gespannt, wie das dann wird, wenn die Dinger hier dauernd im Innenhof landen. Und die sind im Unterschied zu den Zustellern auch garantiert bewaffnet. Schon weil das da vermutlich serienmäßig eingebaut ist. Angesichts der Drohnenbegeisterung bei Militär und Terrorabwehr dürfte es bald im Luftraum ziemlich eng werden. Wobei es natürlich auch schöne Synergie-Effekte geben könnte. Da kann dann so eine patente Mehrzweckdrohne erst die nächste anstehende Exekution eines islamistischen Extremisten, sagen wir, meines Obst- und Gemüsehändlers in der Togostraße, erledigen, und dann anschließend noch ein paar Amazon-Pakete hier im Block ausliefern. Wenn es da mal nicht zu Missverständnissen kommt und am Ende die Amazon-Kunden abgeknallt werden. Obwohl: Vielleicht wäre das realistisch betrachtet der einzige Weg, den Drecksladen doch noch wieder loszuwerden. Mit klassischen Argumenten sind die Leute ja nicht davon abzuhalten, dort zu bestellen, da muss man vielleicht mal etwas handfester werden.

      Es klingelte. Die Künstlerin stand vor der Tür und wedelte mit ihrem Paketschein vor meinem Gesicht herum. »Hier wurde ein Päckchen für mich abgegeben?« »Allerdings!«, sagte ich und zeigte anklagend auf das kleiderschrankartige Teil im Hausflur. »Oh«, sagte die Künstlerin, »und ich hatte mich schon gewundert, was das ist. Aber ich habe doch gar nichts Großes bestellt?« Hatte sie aber doch, wie sich herausstellte. In dem Schrankteil waren so eine Art Käseglocken, die brauchte sie für ihre Kunst. Und damit die Dinger nicht beschädigt werden, hat der Absender sie, nun ja, sehr sicher verpackt. Mit Kubikmetern voller Schaumstoffschnipsel drumherum, die nun knöcheltief den ganzen Hausflur bedeckten. Ich half ihr noch kurz, die Glasglocken nach oben zu tragen.

      Als ich wieder zurück nach unten kam, klebte an meiner Tür ein Zettel von DHL. Mein Paket sei angekommen, verkündete der Text darauf fröhlich, aber leider habe man mich nicht zu Hause angetroffen. Verdammt.

      Am nächsten Tag ging ich zu der angegebenen Adresse, um mein Päckchen abzuholen. Na, mal sehen, wer außer mir hier in der Gegend noch so als Packstation herhalten muss, dachte ich. Es war, wie ich bald darauf feststellte, die Buchhandlung um die Ecke. Die Buchhändlerin warf mir einen eisigen Blick zu, als sie mir mein Päckchen aushändigte. Ich schluckte. Meine Amazon-Bestellung war angekommen.

      

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