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was.« »Ja«, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. »Das ist doch krank«, sagte der Mann vom Saray, »voll krank. Wir sollten mehr aufeinander aufpassen. Wir sollten uns mehr füreinander interessieren. – Knoblauchkräuterscharf?« Noch ehe ich antworten konnte, sagte er: »Knoblauch. Stimmt’s? Du nimmst immer Knoblauch.« Ich nickte. Er lächelte zufrieden. Dann sagte er: »Willst du hier essen? Setz dich doch. Nimmst du ‘n Tee?« Er wird schon bald wieder normal werden, dachte ich.

      Aber für heute nahm ich den Tee dankbar an, setzte mich in den kleinen Garten raus und schaute sinnierend auf die Hipster am Urnenfriedhof, die wiederum auf unsere Seite schauten, auf den Saray und das Haus daneben mit den Obdachlosen davor und dem Swingerclub oben drauf und der dunklen Wohnung darunter, auf deren Balkon nun kein Weihnachtsschmuck mehr blinkte und leuchtete.

       Zettelwirtschaft

      Die Kommunikation über ausgehängte Zettel hat bei uns im Haus eine lange Tradition. Am Tag meines Einzugs vor anderthalb Jahrzehnten hing ein DIN-A4-Blatt unten im Treppenhaus, auf dem in irritierend sauberer Schönschrift, so eine 14-jährige-Mädchen-Handschrift, zu lesen war: »An die Arschlöcher, die immer ihren Müll aus dem Fenster werfen: Wenn ich Euch erwische, schlage ich Euch die Fresse ein!!!« Orthographisch fehlerfrei, die Anrede regelgerecht mit Großbuchstaben am Wortanfang, das ganze Werk in dickem schwarzen Edding, in scharfem Kontrast dazu »Arschlöcher« und »Fresse« sowie die abschließenden drei Ausrufezeichen mit himmelblauem Filzstift gemalt – eine kleine, kunstvolle Kalligraphie. Was für eine Begrüßung im neuen Heim. So ging Weddinger Willkommenskultur im Jahr 1999.

      Ein halbes Jahr später hatte ich dann auch das Problem mit dem Müll verstanden, nachdem ich mehrfach gebrauchte Kondome aus unseren Blumentöpfen gefischt hatte. Ich versuchte es mit einem eigenen Aushang. Weil ich eine schlechte Handschrift habe, wählte ich den Computer für folgende Ermahnung, Times New Roman in Fettdruck und 28 Punkt, in milder Ironie:

      »Bewohner in den Stockwerken >1! Es ist erfreulich, dass Sie ein erfülltes Liebesleben pflegen. Es ist noch viel erfreulicher, dass gerade Sie dabei darauf achten, sich nicht zu vermehren, denn sonst sähe es bald in der ganzen Stadt aus wie auf einer Müllkippe. Aber auch zwei von Ihrer Sorte reichen für diesen Hof schon aus. Ficken Sie deshalb doch bitte zukünftig in die Tonne!«

      Ich war ganz zufrieden. Die Aufschrift füllte das DIN-A4-Blatt exakt aus, fügte sich in das hiesige Idiom perfekt ein und war doch formvollendet, denn auch ich wählte die groß geschriebene Anrede ebenso gewissenhaft, wie ich auf das Wörtchen »bitte« Wert legte. Um mich in die Tradition der Schönschrift-Ermahnung zu stellen, setze ich ausgesuchte Wörter in Himmelblau ab, um meine Eigenständigkeit zu unterstreichen, wählte ich dafür aber die freundlichen aus, nämlich »erfülltes Liebesleben« sowie »bitte«.

      Als ich am nächsten Morgen das Haus verließ, hatte jemand in krakeliger Handschrift dazugesetzt: »Und macht dabei mal das Fenster zu. Oder der Typ soll nicht immer bellen wie ein Hund, wenn er kommt. Das klingt völlig idiotisch.« Idiotisch grün unterstrichen. Ein Freigeist! Als ich abends zurückkehrte, waren zwei weitere Botschaften hinzugekommen: Zuerst ein durchaus gekonnt skizzierter nach oben zeigender Daumen. Und das Anfang des Jahres 2000, Jahre vor Facebook! War Mark Zuckerberg damals zu Besuch im Wedding? Ist ihm hier die Idee für sein soziales Netzwerk gekommen? Das könnte immerhin den Umgangston, der dort heute über weite Strecken herrscht, erklären. Denn die zweite Botschaft lautete: »Ihr seid doch nur neidisch, weil ihr alle nur wichst, ihr Wichser.« Das war zwar deutlich, fiel aber semantisch doch ein bisschen ab im direkten Vergleich.

      Am nächsten Morgen fanden sich weitere Ergänzungen: »Selber Wichser!« und: »Du bist doch völlig unterfickt, du frigider Arsch.« Übers Wochenende war ich nicht da, als ich zurückkam, blickte ich staunend auf eine Schlacht von geradezu epischen Ausmaßen. Inzwischen war ein zweites Blatt unter meines gehängt worden, den analogen Diskussionsstrang rekonstruierte ich wie folgt:

      »Das nächste Mal ruf ich die Polizei« »Für was denn? Fürs Ficken oder für die Beleidigungen hier?« »Klugscheißer« »Ich zeig Sie an! Wegen der Beleidigung!« »Denkt vielleicht mal jemand daran, dass hier auch Kinder wohnen?« »Die hätte man ja wohl verhüten können. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den bellenden Fickern.« »Ich komm dir bald mal nach da oben!« »Ich wohne unten!« »Suche F, 40-50, entsorge meine Kondome auch immer fachgerecht in der Mülltonne.« »Aber bitte trennen! Das ist Bio und Plastik!« »Hat eigentlich jemand die Nummer von der Hausverwaltung?«

      Wahrscheinlich hatte sie tatsächlich jemand, denn am nächsten Tag war das Handschriftenkonglomerat verschwunden und ersetzt gegen ein sehr amtlich aussehendes Schreiben mit dem Briefkopf der Verwaltung und der Aufforderung, zukünftig bitte auf Aushänge jeder Art zu verzichten. Was natürlich umgehend zu weiteren handschriftlichen Schimpf-Orgien der Bewohner führte. Immerhin, jetzt waren sich alle untereinander einig und richteten ihren Zorn gemeinsam gegen die Verwaltung. »Kümmert euch mal lieber um die kaputte Klingelanlage!«, »Im Keller sind Ratten!!!«, »Das Flurlicht im 3. OG ist kaputt«, usw. usf. Der Zettel hing noch ein paar Monate da, dann hatte sich die Lage wieder beruhigt.

      In den Folgejahren gab es zwar immer wieder mal Aushänge verschiedenster Art, aber ganz schleichend hat sich über die Zeit offensichtlich die Mieterstruktur verändert. Die Ausdrucksweise wurde immer gesitteter, aber auch technischer, Schimpfwörter gerieten völlig aus der Mode, meist ging es nur noch um die ausgefallene Warmwasserversorgung oder kaputte Treppenhausbeleuchtungen, manchmal gab es auch die rituellen »Wir feiern und es könnte lauter werden«-Zettel, nichts Besonderes also.

      Bis letzte Woche. Ich fühlte mich fast an meine Anfänge hier zurückversetzt. Denn jetzt hing ein DIN-A4-Blatt im Querformat von innen an der Haustür. In schönster Mädchen-Schreibschrift stand da ein Vierzeiler, für jede Zeile hatte die mutmaßliche Autorin eine eigene Farbe gewählt: »Liebe Nachbarn groß & klein, / darf es auch ein Hallo sein? / Und ein Lächeln noch dazu, / gute Laune haben wir im Nu!«

      Gut, da war die Metrik im Abschluss etwas holprig, aber dafür waren »Hallo« und »Lächeln« unterschlängelt, »Nu!« unterstrichen, und daneben prangte ein großer Smiley. Das untere Viertel des Blattes war so zurechtgeschnitten, dass man sich Merk-Fransen abreißen konnte, wie bei den Suche-Wohnung- oder Gitarrenlehrer-bietet-Unterricht-Zetteln, wo immer die Telefonnummer drauf steht. Aber bei uns stand zum Abreißen und Mitnehmen Folgendes: »Love«, »Peace«, »Happiness«, »gute Laune«, »Ruhe«, »guten Schlaf«, ein Smiley, ein Herzchen, ein Friedenszeichen, »Glück«, »gute Noten«, »Gehaltserhöhung«, »neue Liebe«, »Urlaub«, »schöne Träume«, »Gelassenheit«, »gute Vibes«, »positive Ausstrahlung«. Kein Zweifel – wir hatten eine Wahnsinnige im Haus.

      Robert aus dem zweiten Stock stand wie vom Donner gerührt vor dem Zettel, als ich hinzu kam. »Was soll das denn?«, fragte er mich fassungslos. Wir bestaunten das Dokument. Erst tippten wir auf eines der Mädchen aus dem Haus, aber das kaufmännische &-Zeichen ließ uns von der Theorie abrücken. So was kennen kleine Mädchen doch gar nicht. Es musste also ein Erwachsener dahin gehängt haben. Aber wer tut so etwas? Und warum? Robert murmelte etwas von »Gentrifzierung«, und dass es nun wohl langsam so weit sei.

      Als ich nachts nach Hause kam, waren drei der Zettelchen tatsächlich bereits abgerissen. Hier also die Top-Three der Wünsche meiner Nachbarn: »Ruhe«, »Glück« und »neue Liebe«. Mein Sohn nahm am nächsten Morgen »gute Noten« mit, was immerhin saisonal als Wunsch durchaus angemessen erschien, denn die Halbjahreszeugnisse standen an. Als Nächstes verschwand »Gute Laune«, wie ich feststellte, als ich einkaufen ging. Wieder traf ich dabei auf Robert, der kopfschüttelnd vor dem Aushang stand und den Fortschritt mit seiner Handy-Kamera dokumentierte. »Gute Laune ist weg!«, flüsterte er entsetzt, »irgendjemand hier im Haus wünscht sich allen Ernstes gute Laune. Sie lassen Gehaltserhöhung hängen und nehmen gute Laune mit. Werning, das ist das Ende. Sie werden uns fertig machen!« Er war regelrecht aufgebracht. Ich empfahl ihm, »guten Schlaf« mitzunehmen, aber er zog kopfschüttelnd und fluchend davon. »Man fühlt sich langsam fremd im eigenen Haus«, schimpfte er noch, »die wollen uns zermürben!« Das schien mir etwas übertrieben.

      Inzwischen

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