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einer Zapfsäule von Aral und sollte so tun, als würde ich auf eine aufgespießte Fritte starren und dabei nachdenken. »Ich soll was?« »Na, nachdenken. Auf die Pommes gucken und nachdenken. Du bist doch Schriftsteller.« Das war natürlich ein schlagendes Argument. Also spießte ich eine Pommes mit meinem grün-trans­parenten Plastikpieker auf, drehte sie nachdenklich nach links, drehte sie nachdenklich nach rechts und dachte darüber nach, was zum Teufel ich falsch gemacht hatte in meinem Leben.

      Ich war also nicht besonders überrascht, als der Fotograf der Zeitung, die eine Geschichte aus meinem letzten Buch »Im wilden Wedding« abdrucken wollte, der Meinung war, dass es zur Illustration ein besonders gutes Motiv sei, mich mit einer Portion Pommes in der Hand zu zeigen. »Gut«, sagte ich resignierend, »wo machen wir’s? Tankstelle, U-Bahnhof, City-Toilette?« »Nee, ich dachte eher an eine Pommesbude.« Gute Idee! Ich war erfreut.

      Der Diensthabende vom Imbiss zur Mittelpromenade ist Routinier. Klar, Foto beim Bestellen, gerne doch. Foto beim Rausfischen der Boulette aus dem Sud, selbstverständlich. Wir sind nicht die ersten Mediengestalten, die irgendwas über den Wedding »machen«. Ghettoisierung, der kommende In-Bezirk, sozialer Brennpunkt, Gentrifizierung – irgendwas ist ja immer. Und wir sind auch ganz offensichtlich nicht die Ersten, die finden, nichts sei dazu passender zur Versinnbildlichung als der Imbiss zur Mittelpromenade. Den Mann bringt nichts aus der Ruhe.

      Nicht einmal seine eigene Kundschaft: An einem der Stehtische steht ein älteres Paar, das uns argwöhnisch mustert. Am zweiten Tisch steht eine Dreiergruppe, von der einer laut ruft: »Fotze! Fotze! Arschloch! Tourette-Syndrom, vastehste?« Mir erschließt sich zunächst nicht, ob er daran leidet oder seinen Begleitern nur sehr lebhaft zu erklären versucht, was das ist.

      Ich schaue zum Imbisswirt. Die Boulette, das erkenne ich sofort, ist immer noch genau so eklig wie vor Jahren, als ich meine erste Geschichte darüber geschrieben habe. Sehr gut, ich bin erleichtert. Unsere Bastion gegen die Gentrifizierung steht. Selbst wenn die Hipster jeden noch so absurden Quatsch plötzlich Kult finden: Ein Gang zum Imbiss zur Mittelpromenade bringt die Dinge wieder ins Lot. So angesagt retro können die gar nicht sein, als dass nach einer der hiesigen Bouletten nicht rasch wieder klare Verhältnisse herrschen würden: Die Trend-Deppen sind mit Darmverstimmung rasch wieder verschwunden, während die wahren Weddinger die schleimig-homogene Masse, die mit Fleisch so viel zu tun hat wie ein Tofu-Bratling mit einem T-Bone-Steak, widerspruchslos mit ungerührter Miene abschlucken. Wer hier mit dem Mundwinkel zuckt oder sonst eine menschliche Regung zeigt, ist draußen. »Arschkrampe! Wichser! Fotze!«, grölt es vom hinteren Tisch. Es klingt geradezu enthusiastisch. Jetzt bin ich sicher, dass der Typ Tourette nur spielt, um es seinen Begleitern zu demonstrieren. Das gibt es ja immer mal wieder, dass Leute glauben, irgendjemand habe davon noch nichts gehört. Dann können sie endlich mal ohne schlechtes Gewissen all die schlimmen Wörter sagen, die sonst streng geächtet sind. Das habe ich schon oft erlebt und ich frage mich, ob dieses Verhalten nicht vielleicht schon längst als Meta-Tourette-Syn­drom in der Fachliteratur beschrieben ist.

      »Tablett oder Teller?«, fragt der Imbisswirt. Ich schaue ihn verwundert an. »Hä?« »Na, hier: Papptablett oder«, er zeigt auf einen Geschirrstapel hinter sich, »Porzellanteller.« Ich bin verblüfft. »Seit wann habt ihr denn Geschirr?« »Tja«, strahlt er, »ist neu. Gut, oder?« »Papp­tablett, bitte«, sagt der Fotograf, »soll ja authentisch nach Wedding aussehen.«

      »Was wird denn das, machste mit bei Deutschland sucht den Superstar, oder was?«, fragt der Mann vom Stehtischchen neben uns. »Nee, wir sind von der Zeitung«, erläutert der Fotograf. »Von der Zeitung? Na, dann schreibense in Ihre Zeitung mal rin, dass wir von Ausländern überrollt werden!« »Genau«, sekundiert seine Begleiterin, »das müssense da mal rinschreiben! Aber das trauta euch ja nich. Das dürfta ja nich. Befehl von janz oben, wa?« Dann dreht sie sich zum Imbisswirt und ruft ihm zu: »Nicht wahr, Turgut? Das dürfen se nich!« Der Imbisswirt nickt ruhig. Ihr Begleiter bekräftigt noch einmal: »Geht doch alles den Bach runter hier. Nur noch Ausländer! Bald sind wa alle Islam. Und dann noch die Sache mit dem Euro!« »Allerdings!«, ruft die Frau, »die Sache mit dem Euro ooch noch. Der wird uns noch alle ruinieren, nicht wahr, Turgut?« Turgut steht ungerührt in seiner Bude und spritzt Mayonnaise auf die Pommes. »Ich hab die Schnauze voll«, tut der Mann jetzt kund, »ich hau hier ab. Ein Jahr und zwee Monate noch, dann bin ich durch, dann mach ich die Biege. Majorka, schön. Da hab ich ’n Häuschen. Da isset schön. Schreibense das ma inne Zeitung: Dass hier bald alle abhauen, wenn das so weitergeht mit die Ausländer und dem Euro.« »Arschficken! Fotze, Fotze!« Der Typ einen Tisch weiter kriegt sich gar nicht wieder ein vor Begeisterung. »Nach Mallorca«, sagt Turgut ruhig und mit nur leicht spöttischem Unterton, »wegen den Ausländern und dem Euro.« Es ist keine Frage, es ist eine Feststellung. Der Mann antwortet trotzdem: »Ja, schreibt das mal inne Zeitung. Aber das trauta euch ja wieda nich. Lügenpresse!«

      Ich nehme unser Tablett entgegen, der Fotograf blitzt, Turgut fragt: »Brauchen Sie eine Quittung?« Ich schaue ihn überrascht an. »Na, die anderen Pressetypen wollen immer eine Quittung.« Wahrhaftig: ein echter Profi. »Nee, schon gut«, sagt der Fotograf. »Arschlecken!«, brüllt es vom Tisch hinten.

      Dann wechseln wir die Bahnsteigseite, weil der Fotograf den Imbiss in der Komplett-Ansicht im Hintergrund haben möchte und deshalb einen größeren Abstand braucht. Außerdem will er eine einfahrende Straßenbahn mit einfangen. Ich soll mich also auf den Straßenbahn-Bahnsteig stellen, in der einen Hand das Papptablett und in der anderen eine Pommes aufgepiekt in die Luft halten und sie wie ein richtiger Schriftsteller nachdenklich anschauen. Der Fotograf fährt dazu großes Gerät auf, Spiegelreflexkamera, Stativ, externer Blitz. Schon blitzt es los. Unzufrieden guckt er auf das Display. Wir brauchen noch einen Aufhellblitz. Der besteht aus einer großen weißen Leinwand, die auf einem etwa anderthalb Meter hohen Metallgerüst installiert und über irgendeinen Kas­ten mit roten und grünen Leuchtdioden mit dem Blitzgerät synchronisiert ist und dann noch zusätzlich ein bisschen mitblitzt.

      Das alles ist, vorsichtig gesagt, nicht gerade diskret. Wir haben mitten auf dem Tram-Bahnsteig ein komplettes Fotostudio aufgebaut, es ist 18 Uhr, ein großes Gewimmel an Leuten steigt hier ein und aus, ich stehe natürlich allen im Weg. Die Leute drücken sich vor und hinter mir vorbei, leise fluchend, ärgerlich äugend, kopfschüttelnd, während Blitz und Aufhellblitz stroboskopartig durch die weit fortgeschrittene Dämmerung blitzen. Ich versuche, so ungerührt wie möglich inmitten des Tumults zu stehen, halte mein Tablett tapfer fest, starre extrem nachdenklich auf meine Pommes und schelte mich selbst einen Idioten, weil ich selbst jetzt den inneren Drang nicht abstellen kann, möglichst unauffällig wirken zu wollen.

      Bald hat sich eine Gruppe migrantischer Teenager um uns versammelt, die kichern und uns mit ihren Handys filmen. Sie wollen wissen, was wir hier machen. Der Fotograf erklärt es. »Zeitung? Ich will auch in die Zeitung!«, ruft einer. Dann hüpfen sie giggelnd immer mal wieder ins Bild. Ich konzentriere alle meine Sinne auf das Pommesstäbchen auf meinem Pieker, das ich anschaue, als versuchte ich, es zu hypnotisieren. »Möselecken! Arschficken!«, schallt es vom anderen Bahnsteig begeis­tert zu uns herüber. Einer der Adolszenten ruft: »Ey, ich hab voll Starpotenzial, bring mich in die Zeitung.« »Dann musst du aber die Boulette hier essen«, versuche ich ihn abzuwimmeln. »Ist da Schwein drin?« »Ich glaub nicht mal, dass da überhaupt Tier drin ist«, mutmaße ich. »Da ist bestimmt Schwein drin!« »Wenn du in eine deutsche Zeitung willst, musst du auch Schwein essen.« »Verarsch mich nicht. Du isst das Ding doch selber nicht«, zeigt er sich jetzt als guter Beobachter, »du guckst nur nachdenklich auf deine Pommes, als wärst du so was wie ein Schriftsteller.« »Arschlecken!«, hallt ein fernes Echo.

      Dann ist plötzlich Schluss mit dem Geblitze, verwirrt löse ich mich aus meiner Trance, die Menge um uns herum murrt leise und enttäuscht. Eine Straßenbahn fährt ein, zwei Minuten später stehen wir fast wieder allein auf dem Bahnsteig. Der Fotograf packt seine Ausrüstung ein.

      Eine ältere Frau tritt an uns heran und zeigt auf mein Tablett: »Essen Sie das noch?« »Äh, also eigentlich ... eher nicht.« »Darf ich?«, fragt sie. »Ist aber schon kalt«, sage ich, als ich ihr das Tablett gebe. Sie erwidert nichts und beginnt umstandslos, das Zeug in sich hineinzuschlingen, während sie wortlos weiterzieht.

      »Und?«, fragt der Fotograf

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