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zur Mittelpromenade jetzt richtiges Geschirr.«

       Um die Breite einer Nuss

      Man wird ja immer nervöser allmählich. Freie Wohnungen gibt es auch im Wedding schon lange nicht mehr, die Mieten steigen unaufhaltsam, und jetzt hat auch noch die Bio Company eine Filiale in der Müllerstraße eröffnet. Bei uns gegenüber hat eine von amerikanischen Hipstern via Crowd Funding gegründete Micro Brewery namens Vagabund aufgemacht, direkt daneben laden langbärtelige, behornbrillte Zottelhipster in eine neue Kulturkneipe namens »Nussbreite«, die von donnerstags bis sonntags geöffnet hat und deswegen ihr Donnerstagsprogramm das »Nuss-Montagsprogramm« nennt, weil der Montag schließ­lich der erste Tag der normalen Woche ist und eben der Donnerstag der erste Tag der Nussbreiten-Woche, wie ich dem »Nussletter« entnehme, für den ich mich offenbar eingetragen habe, als ich da neulich nachts mal einen Nusslikör zu viel getrunken hatte.

      Solche langbärteligen, behornbrillten Zottelhipster sind das also. Aber ich muss zugeben, dass es dort sehr schön ist. Wahnsinnig nette, junge Menschen, über die man natürlich leicht lästern könnte, weil sie erstens so jung und zweitens so nett sind und drittens auch noch anders aussehen als wir damals, als wir noch jung und nett waren. Mit dem Alter wächst allerdings die Einsicht in die wiederkehrenden Kreisläufe des Lebens, und man ahnt allmählich, warum wir in unserer Jugend fanden, dass die Älteren so seltsame Sachen sagen: dass die jungen Leute ja auch immer bescheuerter werden und so. Und jetzt ertappt man sich zunehmend dabei, wie man selbst genau solche seltsamen Sachen denkt wie die Älteren damals, aber mir bleibt noch ein Rest von Erinnerung an das, was ich damals zu so etwas gedacht habe, und der lässt mich vermuten, dass wir damals einfach Recht hatten und es tatsächlich scheiße war, was die Älteren gesagt haben und was ich heute fast gedacht hätte. Deswegen verbiete ich mir jeden lästerlichen Gedanken über das Aussehen der jungen, wahnsinnig netten Leute und rufe vielmehr generationenübergreifend dazu auf, alle Menschen zu ächten, die meinen, sich zum Aussehen anderer abfällig äußern zu müssen.

      Folgt mir auf die Barrikaden gegen die Modediktate und Trendvorstellungen der Bescheidwisser, gegen die »Geht gar nicht«- und »Must have«-Sager! Und dabei ist es scheißegal, ob die »Geht gar nicht«- und »Must have«-Sager »geht gar nicht« und »must have« in den Kicherkolumnen neofeministischer Topcheckerinnen-Blätter oder im bieder-bräsigem Klassenbewusstsein irgendwelcher Mode-Blogs von Brigitte oder Welt-online sagen. Es ist doch ganz einfach: Wer meint, sich darüber mokieren zu müssen, wie andere sich anziehen oder welche Frisur sie tragen, ist ein spießiges Arschloch, ganz egal, ob er nun grün oder links wählt oder bei Pegida mitmarschiert. Und wo, wenn nicht im Wedding, sollte die Revolution gegen diese Modefaschisten beginnen. Sie darf nicht eher ruhen, bis sie alle am Kleiderhaken baumeln, die Stil-Kolumnistinnen und -Kolumnisten, ganz egal ob vom Missy Magazin, von Men’s Health, von der Gala oder der Bunten!

      So sinnierte ich beim Nusslikör in der Nussbreite vor mich hin, während um mich herum junge, hübsche Frauen und Männer in fremdartigen Körperkluften und mit interessanten Hüten auf dem Kopf lachten, tranken und parlierten, auffallend oft auf Englisch.

      Wie es überhaupt sehr rätselhaft ist, wo plötzlich all die englischsprachigen Menschen herkommen. Ich wohne seit 1991 im Wedding, und ich bin mir sicher, dass ich dort bis etwa 2010 nicht ein einziges Mal einen englischsprachigen Menschen irgendwo auf freier Wildbahn angetroffen hätte, so etwas gab es hier einfach nicht. Und jetzt hat mich neulich der türkische Dönermann beim weit-nach-mitternächtlichen Imbiss müde angesprochen mit: »Do you want Döner? Which sauce, Knoblauchkräuterscharf?« Ich habe ihn fassungslos angestarrt und vorsichtig »Aber ich bin es doch!« gewispert. Da hat er die Augen noch mal aufgemacht und gemurmelt: »Tschul­digung, Großer. Sind so viele mit Englisch hier jetzt. Überall Englisch. Hab ich vorhin ganz normal zu Kunde gesagt: willstu Döner?, hat der mich so voll komisch angeguckt, weißtu, und hat er gesagt: Do you have an English menu?« Er schüttelte empört den Kopf.

      Neben der neuen Nussbreite hat jetzt ein noch neueres Café aufgemacht. Es heißt »Lichtsauger«. Im Schaufenster steht ein uralter Computer mit grünem Bildschirm, der den Schriftzug »Lichtsauger« zeigt. Es gibt biologisch zusammengeschraubten Käse aus ausgesuchten italienischen Gebirgsstöcken und vegane Sonntagsbrunches. Ob der Wedding dafür schon bereit ist?

      Bei der Bio Company bin ich mir da ja auch nicht so sicher. Der Öko-Supermarkt wirkt jedenfalls bislang noch weitgehend verwaist, die Weddinger eilen hastig an ihm vorbei auf ihrem Weg zum Netto oder zum Lidl. Ich bin ebenfalls skeptisch. Vor allem gegenüber meiner eigenen Kaufmotivation. Bislang war ich aus Bequemlichkeitsgründen meist beim Kaiser’s oder Reichelt einkaufen gegangen. Das ist nicht ganz so schäbig wie Aldi oder Lidl, aber doch halbwegs bodenständig. Und: Irgendwie habe ich mich dort sehr gut dabei gefühlt, nach Möglichkeit die Bioprodukte aus dem Regal zu fischen. Ja, ich war ein bewusster Konsument, ich griff nicht einfach zur billigsten Nudeltüte, sondern auch schon mal direkt daneben zur ökologisch korrekten, und ich konnte mich fortwährend darüber wundern, warum es überall Bio-Milch gibt, aber nirgendwo Bio-Butter, obwohl das doch vom Ausgangsprodukt dasselbe ist, oder kriegt man Bio-Milch nicht so gut zu Butter geschlagen? Egal, ich fühlte mich jedenfalls gut beim Einkauf, und ja, es ist ein niederes Motiv, aber ich kam mir wie ein besserer Mensch vor, als ich die Bio-Milch in den Einkaufswagen gelegt habe.

      Aber jetzt in der Bio Company? Wo alles voll ist mit den absonderlichsten Vollwert-Produkten? Wo es nicht nur ganz selbstverständlich Bio-Butter gibt, sondern auch Bio-Müsli, Mango-Macadema-Likör, Bio-Meersalz-Pe­pe­roni-Schokolade und vegane Kondome? Und mal unter uns: Diese Bio-Müslis schmecken einfach nicht, ich hab’s probiert. Da lobe ich mir Kellog’s Frosties. Mit Original Industriezuckerguss. Und sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich zwischen den Regalen herumschleiche, mit diesem albernen Handkorb, mit dem dort alle herumlaufen, weil ein ordentlicher Einkaufswagen vermutlich ein schlechtes Karma bringt, wegen zu viel Konsum und so, selbst im Öko-Discount-Supermarkt muss man schließlich gegen zu viel Konsum sein, und ich komme mir vor wie der letzte Wedding-Proll, wenn ich die wenigen anderen Gestalten im Geschäft sehe, die mit heiligem Ernst die Inhaltsstoffe veganer Brotaufstriche vergleichen oder merkwürdige Vollkornbratlinge kaufen.

      Es ist nicht zu leugnen: Sobald ich die Bio Company betrete, werde ich umgehend wieder zu dem schlechten Menschen, der ich immer schon war, da hilft es gar nichts, dass ich jahrelang beim Kaiser’s Bio-Milch gekauft habe. Ich glaube, ich geh beim nächsten Mal gleich zu Aldi.

      Ich bin jedenfalls skeptisch, was den neuen Wind hier angeht. Zugegeben, die Gegend war insgesamt in den letzten Jahren ganz schön heruntergekommen. Da freute man sich durchaus, wenn mal ein brauchbarer neuer Laden eröffnete. Trotzdem: Bio Company, Vagabund, Nuss­breite, Lichtsauger – alles schön und gut, aber jetzt könnte auch mal wieder ein richtig schönes Nagelstudio aufmachen, ein neuer 1-Euro-Shop oder ein ordentlicher Spielautomatenladen!

      Als ich neulich nachts noch auf einen Absacker in die Nussbreite einkehrte, lief dort Tocotronic. Die ganz alten Sachen, von »Digital ist besser«. Dann die Sterne, Huah! und Die Regierung. Meine Musik! Erst war ich ganz begeistert, dann beunruhigt. »Sag mal«, fragte ich den jungen Mann mit dem eindrucksvollen Bartwuchs hinter dem Tresen, »ist das jetzt etwa schon retro?« Ich fühlte mich alt und schwach. Er sah mich überrascht durch seine monströse Hornbrille an: »Nein, wieso retro? Das ist einfach nur meine Lieblingsmusik!«

      Ach, das ist ja schön, dachte ich. Und in das große Steakhaus an der Kreuzung Müllerstraße zieht jetzt ein brandneues Wettbüro ein. »Hattrick – Sportwetten und Spielautomaten«, verspricht das Schild im Schaufenster. Vielleicht ist der Kampf ja noch nicht verloren.

       Veganer Erstkontakt

      Es ist nicht zu leugnen: Veränderungen sind jetzt auch bei uns im Kiez überall zu bemerken. Hörte man früher draußen auf der Seestraße ausschließlich Sprachen jenseits des Schulbildungskanons wie Türkisch, Arabisch oder Berlinerisch, spricht jetzt plötzlich jeder zweite hier Englisch oder Spanisch.

      Wie aus dem Nichts entstanden plötzlich nette Kneipen, in die auch unsereins gerne reingehen mag. Nette Kneipen, wie man sie aus Stadtteilen

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