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der Verkäuferin mit dem schnüffelnden, alle Ecken ausforschenden Frettchengemüt war allenthalben bekannt, dass Elfriede Schneider ihren Mann, einen braven Frontsoldaten mit Namen Joseph, so sehr vermisste, dass sie ihr Heil in der Nahrungsaufnahme suchte und alsbald an dem gewachsenen Umfang ihrer Oberschenkel und der lappigen Bauchschürze, die gleich unterhalb des Halses zu beginnen schien, ihre Sehnsucht in Zentimetern und Fettgehalt ihres weißen Fleisches messbar wurde. Der örtliche Bäcker, der zugleich der Vorsteher des Bahnstellwerkes war, ein Mann mit buschigen Augenbrauen und kräftigen Unterarmen, nahm sich Elfriedes an. Er war aus fadenscheinigen Gründen vom Wehrdienst befreit und leistete seinen Solidaritätsbeitrag an der Heimatfront. Am liebsten leistete er ihn zwischen den feisten Schenkeln von Elfriede, bis ihr Doppelkinn unter ihrem Kreischen erbebte und sich zwei Fleischmassen, eine männliche und eine weibliche, wieder voneinander trennten. An solchen Tagen buk der Bäcker, der auch eine Konditorenlehre abgeschlossen hatte, ein krapfenähnliches Fettgebäck, das er mit einer Zitronenglasur und Liebesperlen überzog. Die Krapfen waren eine Vollzugsmeldung für das gesamte Dorf. Man freute sich auf den Verzehr als Folge des nebenehelichen Verkehrs und auch der Frontsoldat Joseph erhielt sein Scherflein in Form eines liebevoll gepackten Paketes von seiner geliebten Elfriede.

      Es hätte alles gut sein können, wenn die frettchengemütige beste Freundin von Elfriede nicht darauf bestanden hätte, das Schemengeschöpf am Bettpfosten von Elfriede sei der gramgebeugte, vielleicht aber auch rachedurstige Geist des gehörnten Ehemannes Joseph, der seit einiger Zeit als in Russland verschollen galt. Mit blanken Augen und gespitztem Mund führte die Verkäuferin als Beweis an, dass der beobachtende Schatten bewegungslos, dünn und schmächtig von Statur gewesen war. Man wisse doch, führte sie raunend aus, wie sich die russische Kälte auf den menschlichen Leib auswirke, wenn man kein Bolschewik war. Glied um Glied fror ein, der Körper schrumpfte. Väterchen Frost sog das Mark aus den Knochen. Das Rückgrat beugte sich. Die Fettreserven schmolzen. Musste sie noch mehr sagen?

      Elfriede orderte eine Buttercremetorte und gab sich mit einer Kanne Kaffee-Ersatz einer einsamen Vergangenheitsbewältigung hin, die damit endete, dass sie den veritablen Bäckermeister nicht mehr in die Nähe ihres Ehebettes vordringen ließ. Tatsächlich hatte sie sich schweren Herzens und dem Ruf der Pietät folgend dazu entschlossen, ihn überhaupt nicht mehr vordringen zu lassen.

      Das ganze Dorf nahm auf seine Art Anteil an dem kummervollen Schicksal von Elfriede Schneider, der Ehebrecherin und Kaninchenmörderin. Manche mit Spott, andere mit einer grimmigen Genugtuung und wenige aus echter Sorge um Elfriede. Das Mitgefühl war in jenen Kriegsjahren nur noch eine dünne Krume, unter der der blanke Stahl des eigenen Überlebens hervorschimmerte. Jede Familie hatte Verluste zu beklagen, viele Söhne waren von der Front verschlungen worden. Der Tod schickte seine Gehilfen von Haus zu Haus.

      Was die Episode mit Elfriede davon unterschied, waren die Zutaten der Geschichte. Saftige, pralle Zutaten in einer Zeit, die zwischen Propaganda und Dürre schwankte. Nach den wenigen gesicherten Aussagen des Dorflehrers, bereinigt um die Übertreibungen der besten Freundin Elfriedes, muss sich in einer ruhigen Nacht ohne Fliegeralarm eine Tragödie abgespielt haben.

      Elfriede schien mit dem Verzehr der Buttercremetorte, zu deren Erwerb sie wegen ihrer Beziehungen keine Lebensmittelkarten verwenden musste, wieder stabilisiert zu sein. Auf schweren Beinen begab sie sich in einer mondlosen Nacht zu Bett. Wahrscheinlich betete sie noch für das Seelenheil ihres Mannes und ihre Witwenrente, die ihr den Weg in ein gesichertes Buttercremetortenparadies ebnen sollte. Mitten in der Nacht weckte ein Scharren und Schaben sie aus dem Schlaf. Fremdartige Laute krochen die Holztreppe empor und ein flackerndes Licht warf unruhige Schatten.

      Elfriede glaubte nicht an übernatürliche Mächte. Sie glaubte an die heilende Macht der Nahrung, an den beruhigenden Einfluss von Eigentum und ein wenig auch an die Liebe, wenn sie zu allen anderen guten Dingen hinzukam. Sie glaubte, was sie sah. Und sie hatte den Schatten ihres im Russlandfeldzug erfrorenen Mannes gesehen, wie er sie forschend vom Fußende ihres Ehebettes aus betrachtete. Eine elende, geschrumpfte Männergestalt, die die Befleckung seiner Ehre nicht ertragen konnte, die sich zum Erfrieren nicht auch noch Hörner aufsetzen lassen wollte. Elfriede hatte es gesehen und es hatte sie zutiefst erschreckt. Sie hatte ihre Konsequenzen daraus gezogen und Abbitte geleistet. Sie war zum ersten Mal seit Jahren mit aufrichtig bereuender Seele in die Kirche gegangen und hatte Kerzen angezündet. Mehr Kerzen als nötig gewesen wären, um die Heiligen zu besänftigen. Mehr Kerzen als notwendig, um den Heiligen abzuhandeln, sie vor dem umhergetriebenen Geist ihres verschollenen Mannes zu schützen. Für Heilige war das weiß Gott keine schwierige Aufgabe. Heilige taten den lieben langen Tag nichts anderes.

      Außerdem hatte Elfriede noch Geld in den Opferstock gelegt. Zugegebenermaßen nicht viel Geld, aber sie hatte in ihrem Herzen beschlossen, weit mehr zu opfern, wenn die erste Gabe nicht ausreichen würde, weil die an den Himmel gerichteten Wünsche in Zeiten des Krieges inflationär waren und einer deftigeren finanziellen Grundlage bedurften, um zu den richtigen Himmelshelfern vorzudringen. Wer wusste das schon. Im Krieg war alles anders. Elfriede war sich sicher, dass der Himmel ihre guten Beweggründe erkennen und honorieren würde. Zu guter Letzt hatte sie noch die Manneskraft des Bäckers gegen die zart schmelzende, aber seitensprungneutrale Buttercremetorte eingetauscht. Elfriede war moralisch gerüstet.

      Und dann rief eine schwache, gedehnte Stimme ihren Namen. Es war ein zitternder Laut, vorwurfsvoll und sehnsüchtig. Er schlang sich die hölzerne Stiege empor, tastete an den Wänden entlang und brach sich in den Winkeln des oberen Stockwerks. Nichts anderes war zu hören. Elfriede erschauerte und tastete nach dem Beil, das sie aus Vorsicht nach der Nacht der ersten Erscheinung neben ihrem Bett deponierte hatte, falls die Heiligen überarbeitet und zu ihren Gebeten noch nicht vorgedrungen waren.

      Dann wieder dieses Scharren, das das Rufen vor sich hertrieb. Elfriede glaubte sich an den Schritt zu erinnern. Es war der Tritt des Steinbruchbesitzers, der Schritt ihres Josephs, verhalten und schlurfend zwar, wie es sich für einen in Russland erfrorenen und ausgemergelten Leichnam gehörte, aber unverwechselbar. Elfriede presste das Beil gegen ihren Busen. Man hatte so manches von Geistern gehört. Man hatte gehört, dass sie an den Ort kamen, der ihnen am meisten vertraut war. Man hatte gehört, dass sie arme Seelen waren, die nur ihren Frieden fanden, wenn man ihrem Willen entsprach. Man hatte so vieles gehört. Elfriede gelang es nicht, das Rauschen ihres Blutes zu besänftigen und zu einem klaren Gedanken zu kommen. Sie hörte das Rufen, das beständig näher kam. Sie spürte die Seelenlosigkeit in der zitternden Stimme, die für einen lebendigen Mann zu hoch, für ein Gespenst jedoch gerade richtig zu sein schien.

      Elfriede war eine temperamentvolle Frau von aufbrausendem Gemüt. Sie hatte für Joseph getan, was möglich war. Sie hatte ihn sogar den Himmelsmächten anempfohlen. Er gehörte nicht mehr in dieses Haus. Nicht in diesem Zustand. Elfriede hob das Beil.

      Was weiter geschah, kann nur bruchstückhaft rekonstruiert werden. Am wahrscheinlichsten stand der Besucher auf den untersten Treppenstufen. Ein alter Armeemantel war um seine zwergenhaft kleine Gestalt geschlungen. Die genagelten Stiefel schlurften über den Boden. Ein unförmig ballonartiger Kopf ruhte auf schmalen Schultern. Er war eine krude ockerfarbene Maske mit geschnitzten Gesichtszügen. Aus dem Kopf loderte eine Flamme. Die Hirnschale war abgehoben. Der Besucher grinste.„Elfriede“, rief eine zittrige Stimme. Arme ohne Hände tasteten das Geländer entlang.

      Wir müssen annehmen, dass es um Elfriede zu diesem Zeitpunkt bereits geschehen war. Ihre geistige Gesundheit war in jenen Momenten auf dem Weg, sich von ihr zu verabschieden. Es muss der Zeitpunkt gewesen sein, in dem Elfriede mit einer berserkerhaften Anstrengung ihr Nachtgewand zerriss und ihrer Fleischesfülle die volle Freiheit gewährte, bevor sie sich auf das Wesen stürzte, das einmal ihr geliebter Mann gewesen war. Wir wissen nicht, was sie rief, aber wir können sicher sein, dass sie nicht lautlos über den gespannten Draht stürzte und dabei mit einem unabsichtlichen Hieb den Kopf des Besuchers spaltete.

      Was wir wissen, ist, dass sich eine zähe orange Masse aus dem Schädel löste und auf den aufgedunsenen Leib der Gestürzten fiel. Dann schrie Elfriede. Sie schrie, während der Besucher mit dem zerstörten Schädel weiter nach ihr rief. Sie schrie wegen des Schmerzes, den ihre gebrochene Hüfte ihr verursachte. Sie schrie, als das Wesen den Stolperdraht löste und sie betastete, um sich zu vergewissern, wo sich ihre Ohren befanden. Sie schrie

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