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der Wälder, der fruchtbaren Erde und des fruchtbringenden Regens. Indem der Mensch sich seine städtische Welt baut, in der ein Herrscher die Richtung |3| und Ordnung vorgibt, richtet sich sein Blick über diese irdische Spitze hinaus nach oben zum Himmel. Das unverfügbare Andere sieht man nicht mehr in dieser Welt angesiedelt, sondern über dieser Erde im oder über dem Himmel, in einem Bereich, der uns unzugänglich ist. Dieses »über der Erde« bedeutet noch nicht »außerhalb«.

      An die Stelle der vegetativen Mächte treten astrale Gottheiten (Gestirnsgottheiten), Götter, die im Himmel wohnen. Im mesopotamischen Raum wird bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. ein Himmelsgott Anu verehrt. Die nahen, weiblich-mütterlichen Erdgottheiten, die irdische Geborgenheit geben, werden von fernen, Ordnung fordernden männlichen Gottheiten abgelöst. Auch die Stämme Israels, die um 1000 v. Chr. in Kanaan zu einem Volk zusammenwachsen, befinden sich in diesem Umbruchprozess.

      Seit der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. bilden sich nahezu zeitgleich in den damaligen kulturell aktiven Zentren der Welt Religionen, die ihre regionalen Bindungen hinter sich lassen und universalen Charakter annehmen. Sie gehen zwar aus regionalen Hochreligionen hervor, streifen aber das regional Bedingte so weit ab, dass sie als Systeme des Weltverstehens, der Sinndeutung und des Handelns grundsätzlich für Menschen jedweder Kultur und Herkunft zugänglich werden. Religion wird damit zu einer eigenständigen Realität, die in jede Kultur hineinwirken kann. Zu jenen universalen Religionen zählen neben dem monotheistischen Judentum, aus dem Christentum und Islam hervorgegangen sind, auch der Buddhismus, der Konfuzianismus, der Taoismus und der indische Hinduismus.

      Viele Gespräche über Religion enden in sinnlosen Streitereien, weil nicht geklärt wird, was die Gesprächsteilnehmer unter »Religion« verstehen. Das Wort »Religion« ist nun einmal ein vielschichtiger Sammelbegriff, der Unterschiedliches bezeichnen kann. Er kann bedeuten:

       Das konkrete Sinnkonzept einer Gemeinschaft (Weltverständnis der Jäger, Sammler …).

       Das organisierte Gefüge einer Kultgemeinschaft mit ihren Mythen und Ritualen (hellenistische Kulte aller Art).

       Eine organisierte Glaubens- oder Bekenntnisgemeinschaft (christliche Kirchen).

       Ein Weltanschauungskonstrukt (Ideologie oder Organisation wie z. B. Scientology Church).

       Eine esoterische Gruppe.

       Von »Religion« ist zu unterscheiden die »Religiosität« des Einzelnen.

      Es empfiehlt sich, gemeinsam vorab zu klären, wovon man reden will!

      1.3.1 Das Judentum

      Die Universalreligionen, die man auch »Weltreligionen« nennen kann, sind weltweit um die Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. entstanden. Die ursprüngliche Universalreligion, die für Europa prägend geworden ist, ist das monotheistische Judentum. Dieses Judentum ist freilich eine Religion der Juden geblieben und dadurch zur Weltreligion geworden, dass jüdische Menschen und jüdische Gemeinden in aller Welt und in vielen Kulturen anzutreffen sind. Ihre Zahl liegt derzeit bei etwa 18 Millionen, das sind 0,4 Prozent der Erdbevölkerung.

      Nach jüdischem Selbstverständnis und Gesetz gilt als Jude, wer eine jüdische Mutter hat. Das Judesein ist also in erster |25| Linie eine Frage der physischen Abstammung und erst danach ein Tatbestand religiöser Überzeugung. (Der Staat Israel hat in einem Rückkehrergesetz definiert, dass als Jude jeder Mensch gelte, »der von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder sich zum Judentum bekehrt hat und nicht Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft ist«.) Es gibt auch einen Beitritt zum Judentum als Religion. Der aber ist kompliziert, und die jüdische Religionsgemeinschaft ist daran wenig interessiert. Das Judentum kann zwar weltweit und in allen Kulturen gelebt werden, bleibt aber im Wesentlichen auf Menschen jüdischer Abstammung beschränkt. Dennoch ist die jüdische Religion die Mutter der Universalreligionen Christentum und Islam. Das hängt vor allem mit ihrem Gottesverständnis zusammen.

      Die Stämme Israels haben sich erst in Kanaan zum Volk Israel zusammengefunden. Diese Stämme lebten davor als Nomaden oder Halbnomaden, jedenfalls ohne Verankerung an einem festen Ort. Sesshafte Gruppen verehren Gottheiten der Erde und des Himmels, von denen sie Fruchtbarkeit der Felder und der Herden erwarten. In Kanaan ist El das Haupt der Gottheiten. Seine Gattin, die Göttin Ashera, gebiert ihm 70 Gottheiten und verkörpert das Prinzip des Gebärens. Baal war eine der männlichen Hauptgottheiten der Kanaaniter. Er zeigt sich im Donner und sendet den Regen. Anath, Gefährtin des Baal, ist Fruchtbarkeits- und Liebesgöttin. Die Vegetationsgöttin Astarte personifiziert die fruchtbringende Erde. Diese Gottheiten werden an uralten Kultstätten verehrt.

      Nomadische Stämme haben keine ortsgebundenen Naturgottheiten. So hatten die nomadischen Stämme Israels, die kein Land besaßen, wohl auch keine Heiligtümer, in denen sie ihre Götter in Bildgestalt darstellen konnten. Nomaden haben Götter, |26| die mit ihnen gehen, die ortlos sind, die ihnen auf ihren Wegen nahe sind und die der Gemeinschaft Schutz gewähren.

      Wir wissen nicht, welche der israelitischen Gruppen den Gott Jahwe in den Stämmeverband Israels eingebracht hat. Wir wissen lediglich, dass Jahwe nach der Landnahme zum Gott aller Stämme geworden ist, zu dem sich alle Israeliten um 1000 v. Chr. bekennen. Wahrscheinlich gab es im Land mehrere Jahwe-Heiligtümer. Daneben verehrten die nun sesshaften Israeliten wohl auch andere Götter und Göttinnen der Ureinwohner, die sie nun für ihre Felder und Herden brauchten. Dabei wird Jahwe vielfach mit Baal gleichgesetzt worden sein. Die Propheten haben immer wieder vor diesen anderen Göttern gewarnt. Dem ist zu entnehmen, dass in der Volksfrömmigkeit der Israeliten bis zum Exil (587–539) viele Götter verehrt worden sind, also Israels Volksreligion bis dahin polytheistisch war.

      Was nun Jahwe betraf, so galt er als der Gott Israels, wie eben Baal der Gott der Kanaaniter war. Offiziell hatte Israel nur diesen einen Gott Jahwe. Als ihr Stammesgott war er einer unter vielen anderen Göttern der anderen Völker, deren Macht man nicht in Frage stellte. Dieses Gottesverständnis wird »Henotheismus« genannt.

      Der große und entscheidende Umbruch im Gottesverständnis ereignete sich in der Zeit des Exils und danach. Das ist den Texten der großen Propheten zu entnehmen. Jeremia und Ezechiel, die zu den Deportierten gehörten, versicherten ihren Leidensgenossen, dass Jahwe nicht in Israel geblieben, sondern auch in ihrem babylonischen Exil gegenwärtig und am Werk war.

      Das neue Gottesverständnis formuliert ein Prophet, den wir den Zweiten Jesaja (Deuterojesaja) nennen und der seine Stimme erhebt, als die Perser 539 v. Chr. die Babylonier besiegen |27| und das Exil der Juden beenden. Dieser Zweite Jesaja sagt, dass Jahwe der Gott nicht nur Israels, sondern der Gott aller Völker ist. Er hat bereits die Babylonier aufgeboten, um Israel für seinen Abfall zu anderen Göttern zu strafen, und er hat auch die Perser mit einer historischen Rolle beauftragt. Jahwe erweist sich so als der Gott aller Völker. Er ist der einzige Gott. Die anderen Götter sind neben ihm reine »Nichtse«, nichtige Götzen.

      Dieser eine und einzige Gott, der jetzt auch keinen Namen mehr braucht, wohnt nicht mehr in Kultstätten, sondern er ist jenseits von allem, was wir »Welt« nennen. Er ist überhaupt nicht mehr Teil dieser Welt, sondern steht ihr gegenüber. Deshalb ist er seinem Wesen nach unzugänglich, verborgen, anders, für Menschen nicht verfügbar und auch nicht sichtbar. Der große jüdische Religionsphilosoph Philo von Alexandrien (ca. 13 v. Chr. bis 40 n. Chr.), ein Zeitgenosse Jesu, hat sogar gesagt, Gott sei in seinem innersten Wesen eigenschaftslos, leidlos, unbeschreibbar. In Exodus 3,14 lautet die Selbstbezeichnung Gottes: »Ich bin der (unveränderlich) Seiende«. Von diesem Gott, der zu jeder Zeit als der

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