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wurden die neuen Regeln Anfang 2017, kurz vor Ablauf der Präsidentschaft Obamas, fertiggestellt. Als sie jetzt unter Trumps Regierung zur Anwendung kommen sollten, wurden sie sofort ausgesetzt. Die hinter der Nichtanwendung der strengeren Richtlinien stehende Rechnung ist einfach: Arbeitsschutz kostet Geld. Berylliose dagegen nur Menschenleben. Menschenleben aber sind gute Kosten, denn die machen den Weg frei, für das Einzige, was unter Trump zählt: Jobs. Neue Jobs. Neue Jobs voller alter, schleichender Vergiftungen.

       06.06.2017

      Glücklich verkehrte Welt: Ich schreibe dieses Tagebuch nicht, um etwas von mir, sondern um etwas von einem anderen preiszugeben.

       07.06.2017

      Es ist keine Ironie der Geschichte, sondern der Zynismus der Gegenwart, dass die Whistleblowerin, die Informationen über russische Hackerangriffe auf die Präsidentschaftswahlen in den USA öffentlich machte und deshalb vor wenigen Tagen verhaftet wurde, den Namen Reality Winner trägt.

       08.06.2017

      Donald Trump hat heute nichts getwittert, und ich frage mich, ob es nicht generell an der Zeit wäre, die Weltgeschichte als Geschichte des Unterlassenen, Nicht-Gemachten, Leeren und Lückenhaften zu schreiben. Die Historie als Abfolge von Hohlräumen, aus denen die Geschichte heimlich ihr gemachtes Köpfchen rausstreckt. Aber das wird nicht passieren. Unterlassen gilt nicht als Handeln. Machen hat immer schon das Recht auf seiner Seite, während das Nichts-Tun unter der eigenen Beweislast begraben liegt. Und auch ich mache weiter …

       09.06.2017

      Wir schreiben das Jahr 2017. Ganz Washington ist von verrückten Republikanern besetzt. Ganz Washington? Nein! Ein unbeugsamer Republikaner hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Sein Name ist Walter Jones. Er ist Vertreter des Repräsentantenhauses, abgeordnet aus North Carolina, und hat heute als Einziger auf republikanischer Seite gegen die Deregulierung der Wall Street gestimmt. Er hat auch schon gegen die Abschaffung von Obamacare votiert. Und kürzlich öffentlich gemacht, dass das US-Militär sechs Millionen Dollar ausgegeben hat, um neun seltene italienische Ziegen in Afghanistan anzusiedeln, in der Hoffnung, die dortige Kaschmir-Industrie zu beleben. Allerdings, so Jones, wisse niemand, wo die Tiere jetzt sind und was aus ihnen geworden ist. Ich hoffe, Walter Jones findet die Ziegen.

       10.06.2017

      Donald Trump spielt heute mal wieder Golf. Dan Scavino, sein ehemaliger Caddy, ist inzwischen Social-Media-Chef im Weißen Haus. Damit hat er seine Möglichkeiten verzehnfacht. Beim Golf sind nämlich nur 14 Schläger erlaubt, bei Twitter dagegen 140 Zeichen. Und trotzdem: Obwohl aus dem Caddy ein Twüterich geworden ist, hat er seine ursprüngliche Rolle behalten, denn noch immer ist Dan Scavino vor allem eines: ein Handlanger, der Schlagdrein Donald Trumps.

       11.06.2017

      Ich weiß nicht, ob dieses Tagebuch ein Ausdruck der Hilflosigkeit ist oder einer des Protests. Andererseits, vielleicht sind das nur zwei Aggregatzustände ein und derselben Sache, vielleicht bedeutet Protest nichts anderes als sich einer Hilflosigkeit zu entäußern, die sich selbst nicht mehr erträgt.

       12.06.2017

      Die Dialektik der Dezibel: Je lauter der Mann im Vordergrund brüllt, desto ruhiger können seine Leute im Hintergrund arbeiten. Bildungsministerin Betsy DeVos vernäht Amerikas Schulen still und heimlich die Münder. Damit sie stumm bleiben und beten lernen. Denn gefaltete Hände bilden keine Faust. Sie bilden Schulen. Schulen wie Betsy DeVos sie mag. Erzkonservative, reaktionäre, christliche Privatschulen. Gelddruckmaschinen im Namen des Herrn, auch wenn er in diesem Fall eine Frau ist. Aber keine Sorge, Betsy DeVos spendet einen Teil ihrer privaten Milliarden. Zum Beispiel für Organisationen, die Workshops anbieten mit dem Titel »Pray away the gay«.

      Zeit, die verdammte Dialektik umzudrehen und es laut und deutlich zu sagen: Diesen homophoben Kreationisten gehört der Arsch zugenäht, denn sie haben ihn offen!

       13.06.2017

      Heute gibt’s mal ein dreiblättriges Kalenderblatt. So denn:

      Am 13. Juni 1966 erklärt der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das Aussageverweigerungsrecht für zulässig. Es räumt Angeklagten das Recht ein, zu ihren Taten zu schweigen.

      Am 13. Juni 1977 publiziert die New York Times die Pentagon Papers. Die geheimen Papiere informieren die Öffentlichkeit über die kriegstreiberische Rolle der USA in Vietnam. Sie sind der Anfang vom Ende des Krieges.

      Am 13. Juni 2017 verklagen zwei Staatsanwälte Donald Trump wegen unerlaubter Hotelgeschäfte. Die Medien berichten ausführlich darüber. Kurz darauf twittert Trump: »The Fake News Media has never been so wrong or so dirty.«

      Und ich? Ich merke mal wieder, dass die Geschichte nicht fortschreitet. Sie dreht sich einfach nur um sich selbst. Aber auch das ist keine neue Erkenntnis – und trotzdem ein seltsames Glück.

      »Jede Epoche«, erklärte der Historiker Leopold von Ranke 1854 bei einem Vortrag, »ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem Eigenen selbst.«

      Es wird sich zeigen, was das Geschrei des Donald Trump wert ist, und was die Gegenwart, die es durchhallt.

       14.06.2017

      … und ihre Antwort auf die heutige Schießerei werden Waffen sein, noch mehr Waffen, und die Spirale wird sich weiterdrehen, wird sich zum Himmel hinaufschrauben wie ihre Gebete, in denen sie um Genesung und Gewehre bitten …

      PS: Weil man schon in ein paar Wochen nicht mehr wissen wird, von welcher Schießerei hier die Rede ist: Es handelt sich um den Angriff auf das Baseball-Team der Kongress-Republikaner. Der Abgeordnete Steve Scalise wurde bei der Attacke schwer verletzt. Der Angreifer wurde von der Polizei erschossen.

       15.06.2017

      Es sammelt der Mueller,

      es mahlen die Mühlen,

      in Washington werden sie bald statt in Mehl

      in Donald’s Geldspeicher wühlen.

      Manche nennen sie Mäuse,

      andere Ratten,

      während Dritte glauben

      man tät’ sie beschatten.

      Und während man in den Backstuben der Wahrheit

      die Argumente wie Brote abwiegt,

      sieht man, wie sich draußen im drehenden Winde,

      das Getreide zum Brechen hinbiegt.

       16.06.2017

      Tagebuchschreiber wie ich sind katastrophale Kartografen. Sie gehören zu denjenigen, die nach oben sehen und nichts als einen leeren Himmel erblicken, und dann nach unten schauen, und das Gebiet zu ihren Füßen kartografieren. Will sagen: Die Gefahr eines solchen Tagebuchs ist mir vollends bewusst. Sie besteht darin, dass es sich im Klein-Klein seiner Einträge verrennt und den Blick fürs große Ganze verliert. Ein »richtiger« Kartograf – einer, der von oben schaut – würde sagen: Der Blick auf die Karte ist besser als der Blick aus dem Gebiet, das die Karte repräsentiert. Und da ist gewiss auch was dran. Aber letztlich setzt sich jede Karte ja aus Aufnahmen des Gebietes zusammen, das sie schlussendlich zeigt. Meine Tagebucheinträge

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