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ich hab‘s geschafft. Nach dem Staatsstreich im Mutterland half Onkel Zé dem unterdrückten Volk, sich vom Joch der Kolonialisten zu befreien, er hat sogar einen Ausweis. Die Revolutionslieder kann er auswendig, und er lernt Kimbundu mit Nhé Nhé, während er ihn in seinem Chevrolet Camaro herumkutschiert. Der Wagen war von einem der kolonialistischen Ausbeuter, die fortgegangen sind, konfisziert worden.

      Es läutet an der Tür. Wir warten auf das vereinbarte Zeichen, zwei kurze und ein längeres Klopfen. Es läutet kein zweites Mal. Mutter sagt, Onkel Zé hat vielleicht das Klopfzeichen vergessen, aber Piratin bellt, ein Fremder hat geläutet. Mutter und meine Schwester sperren sich im Zimmer ein, drehen den Schlüssel zweimal um und stellen den Stuhl gegen die Tür. Vater nimmt eine Waffe aus der kleinsten Schublade des Gläserschranks und versteckt sie im Hosenbund. Weiße dürfen nicht bewaffnet herumlaufen, aber Vaters Hemd ist weit genug, so dass niemand die Waffe, die Vater versteckt, bemerkt. Als Vater die Tür öffnet, rennt Piratin zum Tor. Auf der anderen Seite steht ein schwarzer Soldat, und Piratin hört nicht auf zu bellen. Hinter dem Soldaten steht ein Jeep mit weiteren schwarzen Soldaten. Der Soldat, der vor dem Tor steht, zielt mit der Waffe auf Piratin. Vater grüßt ihn und schreit Piratin an, still. Piratin setzt sich gehorsam und wedelt mit dem Schwanz. Wir müssen die Soldaten mit dem passenden Gruß zu der Bewegung, der sie angehören, begrüßen, die Pretos der einen Bewegung hassen die Pretos der anderen Bewegungen noch mehr als die Weißen, wir dürfen die Begrüßungen nicht verwechseln, man verliert sein Leben schon für weniger. Der Soldat senkt seine Waffe nicht, ein Weißer ist ein Sklaventreiber, ein Kolonialist, ein Imperialist, ein Ausbeuter, ein Vergewaltiger, ein Henker, ein Betrüger, jeder Weiße ist alles das gleichzeitig und muss gehasst werden. Im Jeep sitzen auch Kinder, einige von ihnen in Uniform und bewaffnet, Rotze hängt auf ihren Lippen und bei einigen auf den Wangen, einer der kleinsten hat Eiterbeulen am Kopf, die Gewehre sehen aus wie Spielzeuge, doch man weiß nie.

      Bevor der Soldat sagt, weshalb er hier ist, wendet Vater sich an mich, geh und hol ein paar Bier, Junge, diese Männer sind durstig, und bring auch ein paar Zigaretten. Ich gehorche augenblicklich, doch Vater scherzt, gib Gas, Junge, diese Männer haben nicht den ganzen Tag Zeit. Einer der Soldaten, derjenige, der vorn im Jeep sitzt, viereckiges Gesicht und halb geschlossene Augen, kommt mir bekannt vor, ich habe ihn schon gesehen, doch ich kann mich nicht daran erinnern, wo, vielleicht ist er vor ein paar Tagen hier vorbeigefahren, überall sind Jeeps mit schwarzen Soldaten unterwegs. Ich komme mit dem Bierträger und einer Packung Zigaretten zurück, beides verteilt der Soldat rasch unter den anderen. Sie beachten uns nicht einmal. Der mit dem viereckigen Gesicht öffnet die Flasche mit der Spitze seines Messers, ohne sich anmerken zu lassen, ob er mich kennt. Das Bier trinkt er in einem Zug, er rülpst, zündet sich eine Zigarette an und öffnete eine weitere Flasche. Die Soldaten haben schlammfarbene Augen, wie die Hügel und die schweißgetränkten Uniformen.

      Auf der Straße nur wir, die Soldaten und die frühe Nachmittagssonne. Ich erinnere mich an ein Fußballspiel auf dem Platz mit der festgetrampelten Erde neben der Schule. Während des Spiels nannte Lee einen der Schulkameraden Scheiß-Preto wegen eines üblen Tricks. Mein Herz schlägt schneller. Der Scheiß-Preto kann gut der Soldat mit dem viereckigen Gesicht und den halbgeschlossenen Augen sein, der gekommen ist, um sich zu rächen. Es war ein Missverständnis wie viele andere, Scheiß-Preto, das war keine Beleidigung, Lee nannten wir Brillenetui, und wenn wir böse auf ihn waren, wurde er zum Scheißbrillenetui, Gegé war die Bohnenstange, aber auch die Scheißbohnenstange, wenn es Ärger gab, Scheiß-Preto war keine Beleidigung, und wirklich nur ein Preto konnte deshalb so beleidigt sein, dass er drauf und dran war, Lee zu schlagen. Ich und Gegé hielten den Preto fest und Lee gab ihm einen guten Schlag in die Magengegend. Der Preto wankte vom Spielfeld, ich hoffe, er hat die Lektion gelernt, sagte Lee, und rief Garrincha, der stattdessen spielen sollte. Der Preto spielte nie wieder mit uns, und ich erinnere mich nicht einmal, ob er die Versetzung in die nächste Stufe geschafft hat. Nein, der ist es nicht. Es gibt viele Pretos mit viereckigem Kopf und halb geschlossenen Augen, als hätten sie Mühe, sie zu öffnen. Der ist es nicht, der kann es nicht sein.

      Durch den Schweiß beginnt der dünne Stoff von Vaters Hemd, am Rücken zu kleben. Ich habe Angst, dass man die Waffe bemerken kann, ein bewaffneter Weißer bettelt geradezu um Schlamassel. Ich strecke mich und schlucke trocken, ein Weißer mit einer Waffe ist ein Rassist, der nicht auf seine Rechte verzichtet, ein unterentwickeltes Element, das befürchtet, seine Privilegien zu verlieren, ein Imperialist, der verbittert ist, weil er nicht mehr in einer Welt lebt, die es nie hätte geben dürfen. Der Soldat, der vor uns steht, schleudert die Flasche gegen die Mauer unseres Hauses, wo sie zersplittert, und Piratin beginnt erneut zu bellen. Wir versuchen, die Scherben nicht zu beachten, damit es nicht wie eine Kritik wirkt, doch das Glas glänzt in der Sonne und es ist schwierig, den Blick abzuwenden. Der Soldat fragt, gibt es ein Problem, ich und Vater antworten gleichzeitig mit Nein, bestimmt haben sie bemerkt, dass wir verängstigt sind. Vaters Furcht bemerkt man auch an seinen zusammengepressten und angespannten Lippen, sogar wenn er lächelt, doch vielleicht haben die Soldaten das nicht bemerkt. Der Soldat mit dem viereckigen Gesicht scheint seinen Spaß damit zu haben, mich anzuschauen. Womöglich ist es wirklich der Preto vom Fußballspiel. Womöglich hat er sich inzwischen an das Spiel erinnert. Oder er hat es nie vergessen und ist deshalb hier. Gekommen, um Rechnungen zu begleichen.

      Die Soldaten sprechen, doch wir verstehen sie nicht. Wir haben nie die Sprache der Pretos gelernt, die Sprachen besser gesagt, denn die Pretos sprechen mehrere, und womöglich verstehen sie einander deshalb nicht, es gelingt ihnen nicht, sich gegenseitig verständlich zu machen. In diesem Fall brauchen wir nicht zu verstehen, was die Pretos sagen, obwohl wir versuchen, nicht allzu sehr darauf zu achten, wissen wir, was die Waffen sagen wollen, die auf uns gerichtet sind. Die Geschäfte des Platzes, in dessen Richtung wir schauen, sind alle geschlossen, und sogar die Häuser, die bereits besetzt wurden, haben die Sonnenblenden heruntergelassen. Bei einigen Geschäften sind die Bretterzäune, mit denen die Besitzer sie verrammelt haben, noch intakt, doch die meisten wurden bereits gestürmt, die Schaufenster eingeschlagen und die Türen herausgerissen. Die Furcht lässt uns stärker schwitzen als die Feuchtigkeit des Cacimbo.

      Zwei Schüsse, einer der Soldaten im Jeep gibt zwei Schüsse in die Luft ab. Piratin bellt erneut und Vater gibt ihr einen Fußtritt, der sie aufheulen lässt, anschließend ist sie still und setzt sich neben ihn. Selbst wenn wir sie schlagen, geht Piratin nie weg, sie liebt uns, ganz egal, was wir ihr antun. Ich schicke sie ins Haus, doch Piratin bleibt da, sie beschützt uns vor den Fremden, wie sie es immer getan hat. Alarmiert durch die Schüsse, kommen die Besetzer des Hauses von Dona Gilda an die Fenster und auf die Veranda und winken den Soldaten im Jeep zu. Auch die Besetzer der weiter entfernten Häuser kommen an die Fenster. Eine Gruppe von Pretokindern hängt sich an die schmiedeeiserne Schaukel von Dona Gilda. Einer der braunen Samtsessel aus dem Wohnzimmer von Dona Gilda ist in den Hof gezogen worden und steht völlig deformiert da. Wenn Dona Gilda sehen könnte, was sie mit dem Haus angestellt haben, wenn sie den braunen Samtsessel so sähe, könnte sie glatt einen Herzinfarkt bekommen. Vielleicht sitzt Dona Gilda ja in einem besseren Sessel im Mutterland. An die Hauswände haben sie geschrieben, Kwacha UNITA, darüber mit schwarzer Farbe, Der Kampf geht weiter, darüber, Oyé Oyé Angola Liberté, Angola Populé. In fetteren Großbuchstaben steht da auch, Weiße raus, Weiße verschwindet von hier, Weiße zurück in ihr Land und Tod den Weißen.

      Der Soldat spuckt auf den Boden, der Speichel klatscht auf den heißen Asphalt und hinterlässt einen Fleck, der mich ekelt, doch das lenkt mich von der Angst ab. Ich versuche, die Augen des Soldaten mit dem viereckigen Gesicht zu meiden, bestimmt ist er hier, um sich zu rächen und niemand kann ihn daran hindern, nicht einmal Vater, nicht einmal Vaters Waffe. Ich habe so viel Angst, dass ich verschwinden will, wenn ich losliefe, wenn ich quer über den Platz rennen würde, wenn ich mich hinter den Fensterläden der Drogerie verstecken würde, tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf, doch ich bleibe, wo ich bin, sogar das Atmen fällt mir schwer. Noch nie in meinem Leben ist mein Mund so trocken gewesen, die Zunge klebt am Gaumen, ein bitterer Geschmack steigt bis in die Kehle auf, noch nie hatte ich einen so schlechten Geschmack im Mund. Vater sagt zu mir, diese Männer brauchen mehr zu trinken, geh und hol noch einen Träger, der Soldat, der vor uns steht, tritt die Kippe mit dem Stiefel aus, und mehr Zigaretten, ruft Vater mir nach, die Soldaten im Jeep sehen nicht interessiert aus, der Soldat, der vor uns steht, sagt, gib Gas, Junge, und

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