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zu legen. Anfangs fürchtete sie sich vor dem Geräusch der Schüsse, doch jetzt nicht mehr, sie vertraut uns, sie vertraut darauf, dass wir alles Böse von ihr abwenden. Vater hat keine Lust mehr, Dahlien zu zerschneiden, wo treibt sich dein Bruder nur herum, er hätte vor zwei Stunden hier sein müssen, Mutter erhebt sich, ohne zu antworten. Onkel Zé verspätet sich, und Verspätungen können derzeit bedeuten, dass der vollständige Name in der Liste der Verschwundenen erscheint, die im Radio vor und nach Simplesmente Maria11 verlesen wird. Meine Schwester ist so begeistert von der Radionovela, dass sie vor ein paar Nächten geträumt hat, der Alberto aus Simplesmente Maria werde sie im Mutterland erwarten, wenn sie aus dem Flugzeug steigt. Ich weiß nicht, warum sie sich nicht geschämt hat, uns etwas so Kindisches zu erzählen. Meine Schwester überglücklich: ich habe geträumt, dass Alberto aus Simplesmente Maria mich am Flughafen abholt. Ich habe noch nie von den Mädchen mit den Kirschohrringen geträumt. Ich hebe die Fotos zwischen Matratze und Lattenrost auf, aber niemand hat sie je gefunden, nicht einmal Mutter, die jede Woche die Betten abrückt, um das Pulver gegen die Kakerlaken zu streuen.

      Vater weiß Bescheid, das heißt, er weiß nicht, dass ich die Fotos der Mädchen aus dem Mutterland aufgehoben habe, aber er weiß, dass ich solche Dinge tue. Er hat nie mit mir darüber gesprochen, doch ich weiß, dass er Bescheid weiß, denn wenn Mutter am Sonntagnachmittag widerspenstig war, weil ich nach der Siesta in meinem Zimmer blieb und den Spaziergang zur Inselspitze verzögerte, zwinkerte Vater mir mit einem Auge zu und verteidigte mich, der Junge muss sein Gehirn vom Lernen ausruhen. Ich und Vater gehören zum selben Klub, wenn ich lange im Bad blieb und Mutter hinein wollte, um sich Locken zu machen und die Augen mit blauem Lidschatten anzumalen, sagte er, die Körperpflege braucht ihre Zeit, oder wenn ich mitten in der Nacht den Kühlschrank leer aß, weil ich hungrig geworden war, nachdem ich die eine Sache getan hatte, entschuldigte Vater mich am nächsten Morgen, der Körper wächst im Schlaf schneller, und ein wachsender Körper benötigt Nahrung. Ich sollte bei Vater bleiben und alles in Brand stecken, aber Mutter und meine Schwester können nicht allein bei Onkel Zé sein, Onkel Zé ist nicht wie wir, er gehört nicht zu dem Klub, zu dem Vater und ich gehören, vermutlich gibt es einen eigenen Klub für diejenigen, die wie Onkel Zé sind.

      Aber im Mutterland gibt es wunderschöne Mädchen. Mädchen mit Kirschen an den Ohren, Satinschleifen im Haar und knielangen, fliegenden Röcken wie auf den Fotos der Zeitschriften, die ich im Tabakladen von Senhor Manuel kaufte. Der war der Schlaueste von allen, ging letztes Jahr am 31. Dezember mit seiner Familie an Bord der Príncipe Perfeito, da hörte man noch fast keine Schüsse und auch nicht das Hämmern auf den Containern, ich gebe euch kein Jahr, bis ihr alle dasselbe tut, so Gott will wird es dann noch immer Schiffe und genügend Holz geben, damit ihr alles in Kisten packen könnt, was ihr habt, so Gott will.

      Inzwischen wissen wir, dass Gott nicht wollte. Doch an jenem späten Nachmittag, als wir auf dem Mäuerchen des Tabakladens saßen, hätte Gott noch Zeit gehabt, seine Meinung zu ändern, Vater lachte Senhor Manuel aus, wir geben Ihnen kein Jahr, bis Sie wieder hier sind, kein Jahr, bis Sie Ihre Bicuatas – Ihre Pakete – wieder hierher zurückbringen, doch Senhor Manuel beharrte, Hören Sie, die Revolutionäre haben uns an diese Pretalhada – dieses Negergesocks – verkauft, er sagte immer Pretalhada und Mulatagem – Mulattenhorde -, hören Sie, diese Pretalhada wird nicht eher ruhen, bis sie uns plattmacht, Senhor Manuel hasste die Revolution und die Revolutionäre so sehr, dass er sich verhaspelte und verschluckte, wenn er aufgebracht über sie herzog, sein birnenförmiger Kopf wurde dann rot vom Husten, und Vater lächelte, reden Sie keinen Unsinn, Mann, die Lage wird sich bessern, wir werden endlich aufhören, Portugiesen zweiter Klasse zu sein, die Nachbarn lächelten Vater zu, doch sie standen da mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn wie Leute, die ernste Probleme haben, trinken Sie ein Bier, Mann, dann werden Sie die Dinge mit anderen Augen sehen, Senhor Manuel lehnte ab, Sie lachen, aber die Kommunisten im Mutterland wollen uns hier raus haben und es wird ihnen gelingen, unsere Soldaten haben sie bereits entwaffnet, ein Weißer darf keine Waffe besitzen, aber ein Preto hat das Recht auf zwei, korruptes Verrätergesindel, und es sind nicht nur die Kommunisten, alle stecken unter einer Decke, ihr wollt gar nicht wissen, wie sie im Mutterland über uns reden, wie sie uns nennen, erinnert euch an das, was ich euch heute sage, hier wird es ein Blutbad geben, die Vorfälle von 1961 sind nichts im Vergleich zu dem, was hier noch passieren wird, es wird heißen rette sich wer kann, so Gott will, wird es an dem Tag, an dem ihr mir recht gebt, noch nicht zu spät sein.

      Weg war er.

      In derselben Nacht, als Senhor Manuel und seine Familie mit der Príncipe Perfeito in See stachen, gingen wir zur Silvesterfeier, meine Schwester trug einen Maxirock und schminkte sich zum ersten Mal richtig, sie sah so hübsch aus, wie ich sie noch nie gesehen hatte, Vater betrachtete die Menge, die auf dem Fest tanzte, mit einem vollen Glas Ye Monks in der Hand und fragte, wie soll es möglich sein, dass alle diese Leute einfach fortgehen, Mutter trank Limonade aus einem langstieligen Glas, sie sah aus wie ein Kinostar, nur weniger hübsch. Diese Leute konnten nicht alle fortgegangen sein. Die Band spielte schief, doch niemand hörte deshalb auf zu tanzen, ich tat nichts im Leben, meine Geliebte rief nach mir, um die Kapelle, die von der Liebe singt, vorbeiziehen zu sehen, meine leidgeplagten Leute verabschiedeten sich vom Schmerz, um die Kapelle, die von der Liebe singt, vorbeziehen zu sehen12, die Menschen fassten sich an den Schultern, die Polonaise-Schlangen wurden immer länger und die Runden, die sie drehten, immer kleiner, nichts hatte sich verändert, die Kapelle zog vorbei und sang Lieder von der Liebe und die leidgeplagten Leute verabschiedeten sich vom Schmerz, Vater begann, Ye Monks aus der Flasche zu trinken, Mutter trinkt wegen der Tabletten nie etwas, doch in jener Nacht trank sie und tanzte für Vater, so viele Leute umstanden sie und klatschten, während Mutter für Vater tanzte, die können nicht alle fortgegangen sein, die Glocken hatten noch nicht begonnen, die Mitternacht einzuläuten, und schon waren die armen Ritter auf den Tischen verdorben, die Maisbrote trocken wie Stroh, alle beschwerten sich über die verfluchte Hitze, die alles verdirbt. Als die langsamen Blues begannen, bat ich Paula zum Tanz, meine Hände an Paulas Hals, Paulas Haut so weich, 1975 würde ein gutes Jahr werden, vielleicht das Jahr unseres Lebens, wir würden aufhören, Portugiesen zweiter Klasse zu sein, die Zukunft war hier, trotz der Straßenblockaden und der Schüsse, die begonnen hatten, trotz der Pretos, die unablässig aus allen Winkeln nach Luanda strömten, in einem Land, das vierzehn Mal größer ist als das Mutterland, gibt es viele Pretos, als würden sie zwischen den Steinen sprießen, schlimmer als eine Plage sind sie, schlimmer als Unkraut, wenn er betrunkener war als gewöhnlich, sagte Vater manchmal solche Dinge, doch er sagte auch, im Mutterland gebe es nichts als Hunger und Läuse, oder dass die Nachbarinnen alle schlecht verheiratet seien, nicht, dass Vater wirklich so denken würde, der Ye Monks war schuld daran, die Stadt feierte, womöglich war es das letzte Mal, dass die Stadt feierte, doch das interessierte niemanden, Mutter sang zur schiefen Musik der Band, doch zu meiner Enttäuschung, endete, was lieblich war, alles rückte wieder an seinen Platz, nachdem die Kapelle vorbeigezogen war, und jeder in seiner Ecke, in jeder Ecke ein Schmerz, nachdem die Kapelle vorbeigezogen war und von der Liebe gesungen hatte13, tanzt, liebe Leute, als gäbe es kein Morgen, die Luftschlangen blieben an den nackten Rücken der verschwitzten Mädchen kleben, wo man hinging, regnete es unablässig Konfetti, die Brillengläser von Dona Magui w aren voller Konfetti, nutz das bloß nicht aus, um die hübschen Mädchen in ihren Miniröcken zu begaffen, lachte der Gatte von Dona Magui und zeigte dabei seinen goldenen Eckzahn, und dann wirbelte er Dona Magui in seinen Armen herum, als wären sie ein junges Paar, was gut ist, muss man anschauen, sagte er, während Dona Magui schwindelig wurde mit den Brillengläsern voller Konfetti, in jener Nacht wollten alle hierbleiben. Die Kapelle würde niemals aufhören, vorbeizuziehen und Lieder von der Liebe singen, die Zukunft würde sich ohne große Schrecken ereignen, wie es sich für Zukünfte gehört, auf meine Frage, ob sie mit mir gehen wolle, würde Paula Ja sagen und mir erlauben, ihren Büstenhalter zu öffnen, ich würde den Führerschein machen und sie ins Kino Miramar ausführen, Vater würde Geld von der Bank abheben, um den Scania zu kaufen, der bei Baixa ausgestellt war, Mutters Kopf würde sich erholen und sie würde keine Krisen mehr haben, meine Schwester würde das siebte Schuljahr beenden und einen besseren Jungen finden als Roberto, der in die Inderin Lena verliebt war, die Carlos mochte, Piratin würde alt sterben, genau wie Bardino Jahre zuvor Jane, die Nachbarinnen würden Mutter weiterhin alles übelnehmen, was sie einfach nicht anders nehmen konnten,

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