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die Zigaretten schmecken wie sonst. Dona Alzira hat ihm den Aschenbecher vermacht, ihr Mann war zwanzig Jahre lang Zusteller in der Bierbrauerei und bekam Aschenbecher geschenkt, obwohl er in seinem Leben nicht eine Zigarette geraucht hat, im Haus von Dona Alzira standen überall Aschenbecher für die Besucher, vielleicht haben Dona Alzira und ihr Mann sogar einen Koffer voller Aschenbecher ins Mutterland mitgenommen. Maria de Lurdes, wiederholt Vater wütend, meine Schwester weiß, dass sie sich bei Mutter entschuldigen muss, ich wette, ihr gehen Rachepläne durch den Kopf. Die Mädchen im Mutterland sind bestimmt auch rachsüchtig. Sie wären keine Mädchen, wenn sie es nicht wären.

      Ich würde gern nach Brasilien oder nach Südafrika ziehen. Wenn wir nach Amerika zögen wie Senhor Luis, das wäre wunderbar. Das Leben in Amerika ist bestimmt gut. Der Flug nach Amerika würde noch länger dauern, ich habe Angst, dass mir im Flugzeug schlecht wird wie Gegé, als er in den Ferien ins Mutterland flog. Als wir klein waren, nahm Vater uns zum Flugzeuge-Schauen mit, wir saßen auf der Terrasse des Flughafens und tranken Limonade, näher sind wir dem Fliegen nie gekommen. Wir mochten sogar den Lärm der Flugzeuge. Auf dem Heimweg im Auto wollte meine Schwester spielen, dass wir im Flugzeug sitzen, man muss sich nur vorstellen, dass der Wagen durch die Luft fährt, niemand kann sich so gut dumme Spiele ausdenken wie Mädchen. Gegé hat im Flugzeug gekotzt, das ist so normal, dass es sogar extra Tüten dafür gibt, Gegé ist ein Lügner, aber ich glaube, da hat er die Wahrheit gesagt. Wenn mir schlecht wird, will ich Vater gar nicht anschauen, das wäre so peinlich, ein Mann kotzt nur, wenn er betrunken ist oder etwas Verdorbenes gegessen hat.

      Die Sonne taucht unter den niedrigsten Ästen des Mangobaums auf und vertreibt die Schatten auf den Liegestühlen im Hof. Wir werden nie wieder unseren Mittagsschlaf auf den Liegestühlen halten, Vater wird sich nie wieder auf die Holzbank setzen, damit der Barbier ihm das Haar stutzt und ihn rasiert, ein weißer Barbier, nur ein Verrückter würde es zulassen, dass ihm ein Preto ein Messer an den Hals setzt. Mein Bart rechtfertigt noch keinen Barbier, in meinem Alter trug Vater schon den Bart, den er heute hat, wir wurden früher zu Männern, sagte der Barbier, es ist gerade so, als würde das Lernen sie langsamer machen. In der Stimme des Barbiers lag eine gewisse Verachtung, Lernen ist das beste Instrument, das wir ihnen geben können, sagte Vater wütend und beendete das Gespräch. Der Barbier ist schon fort, bestimmt ist er im Mutterland und erzählt den Zwergenwitz. Ein Betrunkener sieht, wie eine Gruppe von Zwergen aus einer Bar kommt, sieh nur, sieh nur, die Tischfußballer gehen heim, Vater musste bestimmt lachen, als der Barbier den Witz zum ersten Mal erzählte, und er erzählte ihn jedes Mal, wenn er zu uns kam, es gelang ihm, immer wieder über denselben Witz zu lachen, Passen Sie auf, dass Ihnen nicht die Hand ausrutscht und Sie mir die Kehle aufschlitzen, ermahnte Vater ihn. Der Barbier ist bestimmt im Mutterland, vielleicht sehen wir ihn dort wieder, Vater sagt, das Mutterland ist nicht groß, gut möglich, dass wir uns dort alle treffen, vielleicht sehe ich Paula wieder. Wenn ich es recht bedenke, will ich sie nicht wiedersehen, Paula ist nicht einmal so hübsch und überhaupt nicht lustig, das einzige, was sie für ihr Leben gern tut, ist, Schaufenster anzusehen, die vielen Stunden, die ich mit ihr vor dem Schaufenster von Sarita gestanden und Kleider angeschaut habe, sie sind so hübsch, nicht wahr, gefällt dir das blaue besser oder das grüne. Ich wusste es nicht, aber Paula, sag schon, sag schon. Das grüne. Und Paula, aber das blaue ist viel schöner, Jungs sind alle gleich, haben überhaupt keinen Geschmack. Ich muss die Mädchen aus dem Mutterland kennenlernen, wunderschöne Mädchen mit Kirschen an den Ohren und Tanzschuhen an den Füßen.

      Mutter isst den Milchreis nicht, ihr fehlt Zitrone, während sie die gestickten Dahlien auf dem Tischtuch streichelt, sagt sie, Ich hätte nie gedacht, dass es eines Tages niemanden in diesem Viertel mehr gibt, den ich um eine Zitrone bitten kann. Ich glaube, der Milchreis hat zu lange gekocht, doch ich sage nichts und schlucke ihn hinunter wie Medizin. Mutter beginnt das Gespräch, das sie sonst mit den Besuchern führte, dies ist eine der Tischdecken aus meiner Aussteuer. Vielleicht ist es die angemessenste Unterhaltung, denn wir wirken selbst wie Besucher. Aber wir sitzen am Küchentisch, und in die Küche kamen die Besucher nie. Als ich hierherkam, um bei eurem Vater zu sein, brachte ich den gelben Koffer mit, er war voll mit meiner Aussteuer, alles hatte ich selbst gemacht, ich hatte es so eilig, hierher zu kommen, tagsüber arbeitete ich auf dem Feld und abends stickte ich, so eilig hatte ich es, dass ich kaum schlafen konnte, ich konnte nicht glauben, dass ich ein Haus mit Wasserhähnen haben würde, unmöglich! Weil ich es so eilig hatte, musste ich diese Dahlie dreimal wieder auftrennen, hier sieht man noch immer den zerstochenen Stoff, ein Haus mit Wasserhähnen bedeutete, dass ich nie wieder Wasser von der Quelle würde schleppen müssen, wie habe ich diese blauen Krüge gehasst, einen auf dem Kopf und einen in jeder Hand, vom Haus zur Quelle und von der Quelle zum Haus, der Weg nahm kein Ende mit so viel Gewicht, im Dorf gab es kein einziges Haus mit Wasserhähnen, ein Haus mit Wasserhähnen, aus denen Wasser käme, wann immer man wollte, das war nur weit weg von diesem Elend möglich, an einem so entfernten Ort, dass nicht einmal die Kälte dorthin gelangte, ich glaubte gar nicht, dass es hier keine Kälte gab, zwei gefütterte Decken stopfte ich in den Koffer mit der Aussteuer, an diesem Punkt lachte Mutter immer, aber heute nicht. Der Koffer mit der gelben Kunststoffschicht und den schwarzen Rhomben, in dem die Aussteuer herkam, steht neben der Nähmaschine und bleibt hier. Heute gelingt es Mutter nicht, darüber zu lachen, dass sie gefütterte Decken in diese Hitze mitbrachte. Von der Aussteuer wird Mutter nur die Leinendecke mitnehmen. Es ist nicht ihre Lieblingsdecke, doch es ist diejenige, die im Notfall das meiste Geld einbringt.

      Ich selbst kann weder die Sammlung der Großen Abenteuer von Kit Carson, noch die von Captain America mitnehmen, aber die Poster von Brigitte Bardot und von Riquita mit dem Autogramm nehme ich mit. Ich habe beide sorgfältig zusammengerollt, damit sie dort gut ankommen. Als ich candengue5 war, küsste ich das Poster von Brigit Bardot, ich suchte ihren Mund und schloss die Augen, heiße Küsse waren das, erzählt habe ich das nie jemandem, es gibt Dinge, die selbst Freunde nicht wissen dürfen. Gegé hat gesagt, dass alle Mädchen im Mutterland Hosen und Stiefel bis zu den Knien tragen wie Riquita, Riquita tu és bonita, Riquita já és rainha e Angola te acredita6. Das Autogramm bekam ich von Riquita nach dem Festzug auf der Marginal7, leicht war das nicht, es war so voll, dass ich es beinahe nicht geschafft hätte, bis zu ihr vorzudringen. Riquita ist bestimmt auch schon fortgegangen.

      Meine Schwester kann sich nicht entscheiden, ob sie die beiden Sonderausgaben der Fotonovelas – Die Kameliendame und Romeo und Julia -, oder die Schallplatten von Percy Sledge und Sylvie Vartan mitnehmen soll. Ich müsste eigentlich La Décadanse mitnehmen, es gibt keine bessere Musik zum Tanzen als La Décadanse, das ist wie Hexerei, wenn La Décadanse spielt, können wir die Mädchen an uns drücken und am BH-Verschluss herumfummeln. Lee sagt, Mädchen seien leicht herumzukriegen, vorausgesetzt man legt die richtige Platte auf, und dass sie noch viel verrückter als wir danach sind, uns ihre Brüste zu zeigen, wenn es nicht so wäre, würden sie nicht so enge Shirts tragen und sich nicht so hochrecken. Ich vermisse es, mit Paula zu La Décadanse zu tanzen, mit Lee und Gegé auf dem Fahrrad in die anderen Viertel zu fahren, um Mädchen zu gucken, die Filme, die im Miramar laufen, beim Ganas auf der Terrasse mit Ferngläsern anzuschauen. Gegé sagt, im Mutterland gebe es keine Freiluftkinos, ich verstehe überhaupt nicht, wie es sein kann, dass im Mutterland alles besser ist als hier, wenn es dort keine Freiluftkinos gibt.

      Vater nimmt das Fleischmesser und beginnt, mit der Spitze eine der Dahlien aufzuritzen, die Mutter gestickt hat. Ganz langsam, als gäbe es eine richtige Art und Weise, Dahlien aufzuritzen, und als hätte Vater sie genauso gut gelernt wie Mutter es gelernt hat, sie zu sticken. Sie streckt noch die Hand aus, um ihn daran zu hindern, doch mehr tut sie nicht. Nichts bleibt hier übrig, sagt Vater und schiebt die Messerspitze Richtung Mitte der Dahlie, wo die Mutter beim Sticken Dunkelbraun benutzt hat, nicht einmal den Staub an den Schuhen lasse ich hier, die verdienen nichts. Die – das sind die Pretos. Alle. Diejenigen, die wir nicht kennen und die keinen Namen haben, und diejenigen, die wir kennen und die Namen aus dem Mutterland haben, die sie nicht korrekt aussprechen können, Málátia, Ádárbeto, man muss schon sehr matumbo8 sein, um nicht einmal den eigenen Namen richtig sagen zu können.

      Vater nennt sie wegen jeder Kleinigkeit matumbos, aber im Scherz. Er lagert die Benzinkanister im Anbau und hat geschworen, das Letzte, was er in diesem Land tut, wird sein, alles zu verbrennen, was er besitzt, aber ich glaube das nicht. Wir

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