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das ist viel zu gefährlich, die Güter der Kolonisten, die fortgehen, gehören automatisch der zukünftigen angolanischen Nation, kein Kolonist darf seinen Besitz zerstören, wenn sie Vater dabei erwischen, wie er das Haus und die Lastwagen in Brand steckt, töten sie ihn, dann töten sie uns, dann vierteilen sie uns mit Machetenhieben und werfen unsere Stücke in einen Graben, oder sie spießen uns auf Pfählen am Straßenrand auf, letzte Woche erst stand plötzlich der Kopf eines Weißen auf einen Pfahl gespießt an der Straße nach Catete9. Hier bleibt nichts zurück, sagt Vater und beginnt, die nächste Dahlie aufzuschlitzen.

      Mutter schaut nach draußen, ihre Augen sind unruhig unter dem blauen Lidschatten, es macht ihr wohl nichts aus, dass Vater die Tischdecke zerschneidet, sie wird sie ohnehin nicht mitnehmen, sie ist wohl eher besorgt, weil Onkel Zé sich verspätet, es ist immer schwierig gewesen, zu erraten, was in ihrem Kopf vorgeht. Und seitdem das alles hier begonnen hat, ist es auch schwierig, zu erraten, was in Vaters Kopf vorgeht, im Kopf meiner Schwester. In meinem Kopf. Als wären wir alle Mutter ähnlich geworden. Vater trennt die Dahlien auf, und Piratin wälzt sich auf dem Rücken, sie träumt wohl, denn sie bewegt die Pfoten sehr schnell, als befände sie sich in einer Welt, die auf dem Kopf steht, und würde den Kindern in ihren Seifenkisten hinterherrennen. Es gibt keine Kinder in Seifenkisten mehr. Wir schweigen weiter, doch wir bleiben am Tisch sitzen. Das Messer, das lang und scharf ist, schiebt sich klein und harmlos in Vaters riesiger, wütender Hand voran. Vater ist fast zwei Meter groß und wiegt mehr als hundert Kilo, wo immer er sich aufhält, erscheint alles kleiner, die Sitzfläche seines Stuhls beult sich nach unten aus, wer wird sich dort hinsetzen, wer wird unsere Plätze einnehmen, wie lange wird es dauern, bis sie dieses Haus besetzen, aus welcher Richtung werden sie kommen, werden sie durch den Hauseingang oder durch die Garage herein-kommen, wie lange wird es dauern, bis sie den Trick mit dem Stoß herausfinden, damit der Ventilator aufhört zu quietschen, der Ventilator bleibt auch hier, im Mutterland benötigen wir keinen. Dort ist jetzt Sommer, doch Mutter sagt, es sei nicht lange heiß, und im Herbst werde es bereits kalt.

      Mutter muss es wissen. Es war Herbst, als sie mit der Vera Cruz herkam, mit Schleifen in den Zopfspitzen – wie auf dem Porträt, das im Wohnzimmer an der Wand hängt. Mutter wird niemals mehr zum Porträt schauen und erzählen, wie es damals war, es regnete an dem Tag, als ich meine Heimat verließ, meine Eltern brachten mich in einem gemieteten Auto zum Bahnhof. Hier fährt man nicht mit dem Zug, das heißt, die Pretos fahren per Anhalter mit und klammern sich an die Türen der Waggons, aber das ist nicht Zugfahren. Ich sah meine Eltern zum letzten Mal am 30. November 1958, die Bahnhofsuhr zeigte sieben Uhr zehn an, meine Eltern verabschiedeten sich von mir ohne Umarmung, das tat man damals nicht, für die Reise gaben sie mir einen Beutel mit Schafskäse, Brot und geschälten Maronen mit, Gott hab sie selig. Wenn Vater nicht alles verbrennt – was wird dann aus dem Porträt ohne Mutter mit ihren Geschichten über den Tag, an dem sie aus dem Mutterland herkam, über die neun Tage mit dem Schiff, über die Ankunft, es war so windig, dass der Staub herumwirbelte, als würde der Teufel blasen, roter Staub, noch nie hatte ich etwas Derartiges gesehen.

      Wir hätten mit dem Schiff fahren sollen, Senhor Manuel war schlau, würden wir mit dem Schiff fahren, könnte Mutters Aussteuer ins Mutterland zurückkehren. Es gibt keine Plätze mehr auf den Schiffen, es gibt gar nichts mehr. Zwei Stunden, bevor die Vera Cruz einlief, war Vater bereits am Kai, Mutter ging in einem grauen Rock und einer weißen Bluse, die ihr als Brautkleid dienten, von Bord. Es befanden sich zwei weitere Bräute auf dem Passagierdampfer, Bräute, wie sie zu sein hatten, mit einem Schleier auf dem Kopf. So windig war es, dass die Bräute ihre Schleier mit beiden Händen festhielten vor lauter Angst, dass sie ihnen ins Wasser flattern könnten. Als Mutter von Bord des Dampfers ging, suchte sie am Kai den Jungen, der viele Jahre zuvor die Flucht vor dem Elend im Dorf angetreten hatte, den Jungen, dessen Porträt sie an einer Goldkette auf der Brust trug. Stattdessen winkte ihr ein Mann diskret aus dem verstecktesten Winkel des Kais zu. Die neuen Schuhe setzten meinen Füßen so sehr zu, Mutter vergaß nie, den Besuchern den Teil mit den neuen Schuhen und den Wunden an den Füßen zu erzählen, und dass sie sie deshalb auszog, bevor sie zu ihm ging. Vielleicht war Mutter ja bereits so, wie sie ist, vielleicht tragen dieses Land, diese Hitze, diese Feuchtigkeit, gar keine Schuld daran, Mutter gelangte zum Vater mit den Schuhen in der Hand, und anstatt ihn zu begrüßen, sagte sie, du siehst dir gar nicht ähnlich. Vater ist bestimmt noch immer eifersüchtig auf den Jungen auf dem Porträt, das Mutter auch heute noch an der Goldkette auf der Brust trägt. Die Bräutigame umarmten ihre verschleierten Bräute so fest, dass sie sie beinahe erstickten, auch Vater war nicht wie die anderen Bräutigame, die sich mitten auf dem Kai auf Kisten gestellt hatten, um den Bräuten zuzuwinken, mit dunklen Polyester-Anzügen und Gel im nach hinten gekämmten Haar, euer Vater trug ein nagelneues weißes Hemd, der rote Staub setzte sich in den Stoff wie ins Fell eines Hundes.

      Vielleicht wurde Vater traurig, weil Mutter keine Tiara mit falschen Brillanten mitgebracht hatte wie die anderen Bräute, sondern einen Strauß Orangenblüten. Mutter begrüßte Vater, ohne ihn zu umarmen, nicht einmal an die Stimme eures Vaters konnte ich mich erinnern, ich war noch ein kleines Mädchen, als euer Vater hierherkam, ich hätte niemals damit gerechnet, dass er schreiben und um meine Hand anhalten würde. Mutter mit dem Rücken zum Meer, ohne Vater wiederzuerkennen, ohne das Land vor ihr zu kennen, die Ladekräne erschienen mir höher als die Wolken, der Hafen war so groß, groß wie hundert Apfelbaumplantagen. Mutter fürchtete sich vor den Vögeln, die genauso kreischten wie die in Lissabon, euer Vater sagte mir, sie hießen Möwen. Vor den Pretos hatte ich keine Angst, an ihnen war nichts Besonderes, es waren nur Pretos. Der Hafen roch sauer, als wäre das Meer gegoren, in Lissabon hatte der Hafen nicht so schlecht gerochen.

      Vater brachte Mutter in seinem grünen Dodge zum alten Haus, ich lernte noch, den Dodge zu fahren, bevor er ihn Malaquias gab, da fiel er schon fast auseinander, Malaquias gelang es nicht, den Dodge zu reparieren, ich würde mich sehr wundern, wenn da noch was zu machen wäre, sagte Vater, als Malaquias den Wagen mitnahm, aber Malaquias war so oder so zufrieden, Hauptsache ihm gehörte irgendetwas, das Problem ist, dass sie nichts im Kopf haben. Sie – das sind die Pretos, die, die wir kennen und die, die wir nicht kennen. Die Pretos. Es sei denn, man möchte erklären, was sie sind, dann ist es der Preto. Der Preto ist faul, am liebsten liegen sie in der Sonne wie die Eidechsen, der Preto ist arrogant, wenn sie mit gesenktem Kopf einhergehen, dann nur, um uns nicht anschauen zu müssen, der Preto ist dumm, sie verstehen einfach nicht, was man ihnen sagt, der Preto nutzt alles aus, man gibt ihnen die Hand und sie wollen sofort den ganzen Arm, der Preto ist undankbar, ganz gleich, wie viel wir für sie tun, nie sind sie zufrieden, man konnte stundenlang über den Preto reden, aber die Weißen hatten keine Lust, ihre Zeit damit zu vergeuden, es genügte zu sagen, er ist ein Preto, und schon wusste man, was Sache ist. Ein paar Monate nach dem Staatsstreich im Mutterland sagten die Brüder von Malaquias zu Vater, er solle sich zum Teufel scheren – vai à tugi10 –, auch sie arbeiteten für ihn, und an jenem Tag im Lager, nur weil Vater zu ihnen gesagt hatte, sie könnten während der Arbeitszeit kein Bier trinken: Scher dich zum Teufel, scheiß Weißer – vai à tugi, branco da tugi. Malaquias hätte sich bei Vater entschuldigt, aber er tauchte nie wieder zur Arbeit auf, seine Brüder waren Gauner, bestimmt ließen sie ihn nicht. Vai à tugi, branco da tugi, nicht einmal richtige Beleidigungen bekommen sie zustande, wenn ich euch hier wiedersehe, verpasse ich euch derart eine mit der Eisenkugel, dass euch die Hörner bersten, carumbas – ihr Nigger – , cabrões de merda – ihr scheiß Hurenböcke –, Vater weiß, wie man beleidigt. Vai a tugi, branco da tugi, das ist ja fast lachhaft.

      Vater nahm Mutters Hand, als sie zum Dodge gingen, der am Eingang zum Hafen stand, die Sonne blendete sie, Mutter war darüber erschrocken, dass Vater Besitzer eines Lastwagens war, alles versetzte mir einen Schrecken, die Möwen, der Lastwagen, die Palmen, ich hatte noch nie solche Bäume gesehen, die roten Berge, hier nennt man sie Morros, korrigierte Vater sie, die Morros sind nicht die Berge des Mutterlandes, man sagt nicht ein Morro von Heu, auch nicht ein Morro von Kleidern zum Bügeln, es sind verschiedene Dinge. Die Hitze ließ Mutters nackte Füße weiter anschwellen, die Nachbarinnen kannten Mutter noch nicht, sonst hätten sie gesagt, eine barfüßige Braut? Nur Dona Glória ist dazu fähig. Die Nachbarinnen des alten Hauses erinnerten sich daran, wie Vater mit Mutter ankam und sie auf den Armen über die Straße trug, sie erinnerten sich an Mutter mit den Schuhen in der Hand, die Straße war nicht asphaltiert, es war ein Feldweg

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