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Verloren und gefunden. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Verloren und gefunden
Год выпуска 0
isbn 9788711570104
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie wußte wohl, die Mutter würde sich darüber gefreut haben, sie hatte aber das Gefühl, es sei klüger zu schweigen.
Lange fand sie keinen Schlummer und dachte an die vergangenen Stunden zurück.
Dabei fragte sie sich, weshalb sie sich eigentlich nicht so richtig freuen könnte, und hatte doch so ein wundervolles Gefühl von Ruhe und Geborgenheit empfunden, als Fritz sie küßte. Sie hätte die Arme um seinen Hals schlingen mögen und ihn bitten: Sage deinen Verwandten schon heute, wie wir miteinander stehen, beginne schon heute den Kampf, der dir ja doch nicht erspart bleibt!
Aber sie hatte den Mut dazu nicht aufgebracht.
Nun grübelte sie und sann. Sollte sie Fritz bei der nächsten Gelegenheit Zureden, Onkel und Tante schon jetzt alles zu sagen, oder war das unklug?
Wenn sich nun seine Verwandten, was ihr sicher schien, gegen die Aufnahme ihrer Person in die Familie wehrten, dann trieb sie Fritz sofort in endlose Unannehmlichkeiten hinein oder führte gar einen Bruch mit seinen Verwandten herbei und schadete dadurch ihm.
Ein paar Jahre mußten sie ja doch noch warten, sie war ja eigentlich auch noch viel zu jung zum Heiraten. Aber eine andere Stellung wollte sie sich suchen; doch auch das war ja so schwer, so schwer! Das Angebot in allen Berufen überwog bei weitem die Nachfrage, und nur ganz besondere Leistungen hatten noch Aussicht, bevorzugt zu werden.
Was aber konnte sie? Sie war Kindergärtnerin zweiter Klasse. Sie hatte ja keine höhere Schule besucht. Wohl besaß sie ein gewisses Talent, mit Kindern umzugehen, das hatte man ihr im Kindergärtnerinnenkursus oft gesagt, auch ihr Abgangszeugnis ließ nichts zu wünschen übrig. Und doch hatte sie keinen besonderen Erfolg damit zu verzeichnen. Anstatt von einer vornehmen Dame aus dem Berliner Westen engagiert zu werden, war sie froh gewesen, nach langem Warten bei Photograph Lademann unterschlüpfen zu können.
Sie mußte dann an Adele Toll denken. Die war die Tochter vom Vizewirt nebenan und vier Jahre älter als sie. Als Tippfräulein war sie vor zwei Jahren nach Amerika gefahren. Sie hatte dort eine Tante, die war Haushälterin bei einem reichen, alten Fabrikbesitzer. Vor kurzem war sie nun hier gewesen. Die ganze Straße hatte gestaunt und Adele Toll bewundert wie einen seltenen, fremdländischen Vogel. Kleider, Hüte und Wäsche besaß sie, wie sie eine Fürstin nicht besser haben konnte. Steine blitzten in ihren Ohren, die waren wie Haselnüsse groß gewesen, und an ihren Fingern glitzerte und sprühte es. Sie war inzwischen die Verlobte des reichen, alten Herrn geworden, dem ihre Tante den Haushalt führte, und sie erzählte, sie würde bald heiraten und sei dann so reich, daß sie sich ganz Berlin kaufen könne, wenn es ihr Vergnügen mache.
Franziska Mühsam dachte, lieb konnte Adele Toll den alten Amerikaner kaum haben, aber weil er so gut zu ihr war, hatte sie ihn wohl wenigstens sehr gern.
Franziska dachte an Fritz. Ob sie ihn wohl auch für einen reichen, doch alten Mann eintauschen würde?
Die Idee erschien ihr häßlich und komisch.
Nein, sie wollte gern ein paar Jahre auf Fritz warten, aber sich vorerst nach einer anderen Stellung umschauen. Mehr verdienen mußte sie, dadurch die Mutter entlasten. Dann sah sie sich wieder auf der Bank im Tiergarten sitzen, sah eine Dame, die sie vorher gar nicht bemerkt hatte, von der Bank aufstehen und fortgehen. Sah eine Hand, an der ein wundervoller Ring steckte. In Form einer Spinne aus Brillanten und Smaragden. Weißes und grünes Geflimmer in herrlicher, eigenartiger Zusammenstellung.
Und dann schlief Franziska Mühsam ein, schlief, bis sie bald nach Mitternacht plötzlich emporschreckte.
Sie hatte so häßlich geträumt, von einer riesigen Spinne, die auf sie zukam, ein dicht geflochtenes Netz über ihren Kopf warf und es dann mit ihren starken, eklen Beinen zuzog, bis sie beinahe erstickt wäre.
Sie meinte, das scharfe Schnüren noch um den Hals zu spüren und fühlte ihr Herz wild und erregt klopfen.
Wie seltsam war der Traum gewesen: In der Luft losgelöst, schwebte eine sehr weiße, sorgfältig gepflegte Frauenhand, an deren einem Finger der Spinnenring in förmlich wildem Feuer funkelte und strahlte, und dann hatte sich der Ring, zusammen mit der Hand, in die abscheuliche, abschreckende Riesenspinne verwandelt.
Sie schüttelte sich und trank von dem Wasser, das nachts immer neben ihrem Bett stand. Danach aber schlief sie fest und traumlos bis zum Morgen.
Um sieben Uhr ging sie nach der Königsberger Straße zu Frau Lademann wie alle Tage, half wie alle Tage beim Staubwischen und nahm um acht Uhr den fünfjährigen Karl aus seinem Bettchen. Wusch ihn, kleidete ihn an und frühstückte um halb neun mit ihm. Dann machte sie sein Bett und ging mit dem Kleinen für den Haushalt einholen.
Wie von einem Uhrwerk getrieben, haspelte sich das jeden Tag in der gleichen. Reihenfolge ab.
Manchmal ging sie auch mit dem Jungen ins Atelier, und Herr Lademann machte väterliche Spässe mit dem Kleinen. Sie staubte inzwischen die Säulen und Tischchen, die gebogenen Sessel und all die anderen Requisiten ab, die zu einem Photographenatelier gehören, um damit den Kunden einen wirksamen Hintergrund zu bieten.
Heute half Herr Kleinschmidt, der Gehilfe, beim Abstauben. Der Chef mit dem Kleinen war im Nebenraum. Albert Kleinschmidt war sehr eifrig, ihr heute Arbeit zu ersparen, merkte Franziska, und sagte endlich: „Sie müssen doch sicher retuschieren, Herr Kleinschmidt, gehen Sie nur, ich werde schon allein fertig.“
Er lächelte. „Habe nichts Wichtiges zu tun. Auf ein paar Minuten kommt es nicht an. Ich wollte Ihnen bloß was anvertrauen, Fräulein Fränze, aber Sie müssen reinen Mund halten!“
„Wenn es mich nicht selbst betrifft, mache ich mir nichts aus Geheimnissen“, gab sie kühl zurück.
Manchmal gefiel ihr die Art und Weise, wie der Gehilfe mit ihr sprach, gar nicht. Er kam ihr oft dreist und aufdringlich vor.
Ihre kühle Antwort verletzte ihn sichtlich.
„Fräulein Fränze, warum sind Sie denn so schroff? Ich will Ihnen doch nichts Böses tun! Aber unsereins sehnt sich auch manchmal nach einem Menschen, zu dem man offen sein, zu dem man Vertrauen haben kann.“
Er dämpfte seine Stimme bis aufs äußerste.
„Der Alte soll nichts wissen, ich gehe fort, habe ihm gar nicht gekündigt. Ich wandere aus! Nach Buenos Aires reise ich.“ Er warf sich in die Brust. „Was glauben Sie, wie unsereiner da drüben hochkommt! ln ein paar Jahren bin ich wieder zurück, habe die Taschen voll Gold und eröffne ‚Unter den Linden‘ ein Atelier für künstlerische Photographie.“ Er lächelte selbstbewußt. „Und nun wollte ich Sie fragen, Fräulein Fränze, darf ich Ihnen einmal schreiben? Sie gefallen mir ausnehmend, und vielleicht kann ich Sie nachkommen lassen und …“
Er stotterte unter ihrem ernsten Blick, sagte: „Ich dachte, wir könnten uns später drüben vielleicht heiraten, oder wenn ich zurückkomme. Ich dachte …“
Franziska zog fröstelnd die Schultern hoch und dachte an Fritz Bernhardus, dachte mit weichem, glücklichem Gefühl an ihn, trotzdem sie eigentlich nicht einmal wußte, ob sie ihn liebte. „Nein, Herr Kleinschmidt, schreiben Sie mir lieber nicht. Ich bin nämlich heimlich verlobt. Nun wissen Sie Bescheid.“
Er blickte sie mit offenem Munde an.
„Das ist wirklich wahr?“
Sie nickte. — Er sah sie böse an.
„Na, denn nich, liebe Tante! Albert Kleinschmidt hat die Auswahl. Jedenfalls halten Sie reinen Mund über meine Auswanderung, bis ich den Berliner Boden verlassen habe.“
Zwei Tage später erschien der Gehilfe nicht mehr im photographischen Atelier von Wilhelm Lademann, und Franziska Mühsam dachte, nun saß er wohl im Zuge nach Hamburg, wenn er nicht schon dort war.
Fast wie Neid war das Gefühl, das sie empfand.
Sie hatte Fritz in diesen Tagen nicht wiedergesehen und wunderte sich, daß er anscheinend gar keinen Versuch machte, sie zu treffen.
Sie hörte dann ganz zufällig,