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auf. Es war stickig heiß hier in diesem schmalen Zimmerchen. Zwei Betten standen hier, ein Tisch und ein Reisekorb. ln dem Kämmerchen schlief sie mit der Mutter.

      Franziska schüttelte sich. In der Nachbarschaft rüstete man zum Abendbrot. Alle möglichen Gerüche strömten durchs Fenster in den engen Raum. Ach, und sie sehnte sich doch so sehr nach frischer Luft.

      Sie freute sich jetzt auf den Ausgang mit Fritz Bernhardus und begann ihr Haar zu lösen. Sie sollte sich ja heute recht hübsch für ihn machen. Das hätte er ihr gar nicht zu sagen brauchen, das war doch selbstverständlich.

      Sie stand vor dem kleinen, trüben Spiegel und bürstete ihr langes Haar. Wie dunkles Gold war es, mit matten, rötlichen Reflexen. „Eine ganz, ganz seltene Farbe“, hatte einmal die Tochter des Geschäftsmannes, für den die Mutter nähte, zu ihr gesagt; „ein sehr geschickter Friseur könnte diese Schattierung möglicherweise mit einer Hennafarbe fertigbringen, jedenfalls sind Sie beneidenswert, so köstliches Haar zu besitzen.“ Auch sie selbst fand ihr Haar hübsch. Fritz hatte schon als Junge gesagt, sie sei durch das Haar sehr auffallend, man würde lange suchen müssen, um das gleiche zu finden.

      Sie scheitelte die weichen, leicht gewellten Strähnen, steckte sich eine eigene, kleidsame Frisur zurecht.

      Die großen, blauen Augen lachten sie im Spiegel an, und die feine, kurze Nase stand selbstbewußt mit leise bebenden Flügeln über dem leicht geöffneten Mund, hinter dessen Lippen die schneeigsten Zähne blitzten. Dunkel waren Brauen und Wimpern, zart und schmal der Hals und von demselben rosigen Ton wie Gesicht und Arme.

      Über ihrem weißen Bett lag ihr weißes Sommerkleidchen, es war einfach gemacht, nur ein wenig Waschspitze umgab den Hals und die kurzen Ärmel, aber es wand sich so schmiegsam um ihre herbe, noch nicht völlig entwickelte Schlankheit, daß es elegant wirkte.

      Sie sah auf ihr bescheidenes Silberührchen, das sie Weihnachten von Frau Lademann geschenkt bekommen. Schon einhalb sechs. Also noch eine halbe Stunde bis zum Treffen mit Fritz.

      Sie drückte langsam den einfachen Strohhut auf das üppige Haar, zupfte ein paar weiche Wellen lose daraus hervor und nahm dann ihr kleines, schon etwas schäbiges Handtäschchen.

      Frau Mühsam freute sich immer, wenn sie ihr Töchterchen so hübsch und adrett wie jetzt vor sich sah.

      „Sei recht vergnügt, Fränzeken“, rief sie ihr noch nach und kehrte dann an ihre Nähmaschine zurück.

      Aber nähen konnte sie doch nicht. Ein paar Minuten wollte sie still, ganz still sitzen.

      Eben hatte Franziska sie wieder mehr als je an den Mann erinnert, der doch eigentlich kein Erinnern wert war, wie ihr Franziska, wie sie sich selbst sagte. Und zu dem ihr Gedenken doch noch immer flog. Niemals hatte sie ihn vergessen können, der auf- und davongegangen war für alle Zeit, ohne ihr auch nur das kleinste Abschiedswort zu gönnen. Dennoch verzehrte sie sich in Sehnsucht, zu wissen, wo er geendet. Trotz aller Erkundigungen hatte sie nichts über sein Schicksal erfahren können, nichts.

      Ob fern, ob nah, wo lag sein unbekanntes Grab, wo ruhte er aus von seinem verfehlten Leben — wo?

      Das war wie eine endlose, immer wiederkehrende Frage, die an ihr zehrte, ihr Herz und Kopf müde machte, ihren armen Körper zerquälte und zu frühem Altern verurteilte.

      Sie barg das Gesicht in den Händen und schluchzte laut auf vor grenzenlosem Jammer.

      Vor ihrem Kinde ließ sie niemals merken, daß ihre Liebe standgehalten trotz Enttäuschung und Not, trotz Verachtung und trotz Verlockung, die ihr als junge, hübsche Frau auch genaht war, daß ihre Liebe standgehalten wie ein hoher, starker Deich, den kein Wogenprall zu brechen vermag, daß ihre Liebe standgehalten, weil sie eben die wahre Liebe gewesen, von der es in der Bibel heißt, daß sie alles duldet, alles trägt.

      O, wüßte sie sein Grab, um ein paar Blumen daraufzulegen, um über sein letztes Bett ein Gebet zu sprechen und ihm zu sagen: Schlafe in Frieden, ich zürne dir nicht, denn Liebe und Vergebung sollen eins sein!

      Ein leichtsinniger, genialer Mensch, war er an ihr vorbeigeschritten, hatte kurze Rast bei ihr gemacht, und nun sehnte sie sich nach ihm ihr ganzes Leben hindurch.

      In ihren matten Augen leuchtete es auf: Auch die Sehnsucht war schön. War wie ein süßes, fernes Lied, das eine weiche, dunkle Geigenstimme sang. Wie ein Lied von denen, die er ihr einst gespielt in jener Zeit ihres kurzen, allzu kurzen Glücks.

      *

      Franziska Mühsam und Fritz Bernhardus bestiegen eine Elektrische und fuhren nach dem Potsdamer Platz. Von dort wanderten sie zum Tiergarten und suchten sich eine Bank, wo das Leben an ihnen vorbeiflutete.

      Franziska blickte sehr interessiert den Trägerinnen eleganter, teurer Kleider nach.

      „Nicht wahr, es würde dir auch Vergnügen machen, dich so nobel anzuziehen, Fränze?“ fragte Fritz.

      „Natürlich, das macht doch jedem Mädchen Vergnügen“, gab sie mit aufleuchtenden Augen zurück.

      Er blickte auf ihr weißes Waschkleid.

      „Aber dein Kleid steht dir entzückend, Fränze; von allen Mädels, die hier bis jetzt vorbeigingen, bist du die Allerhübscheste, und so dumm es dir auch klingen mag, auch die Eleganteste in meinen Augen. Nun, das kommt von deiner schlanken, reizenden Figur. Wirklich, bis jetzt sah ich hier noch keine, die auch nur annähernd so hübsch war wie du.“

      Die beiden hatten gar nicht darauf geachtet, daß eine sehr vornehm gekleidete Dame in mittleren Jahren auf ihrer Bank Platz genommen hatte und Fränze Mühsam mit großer Aufmerksamkeit beobachtete. Allerdings in völlig unauffälliger Weise.

      Erst als die Dame, die nicht lange Rast gemacht, aufstand, wurden die beiden aufmerksam. Doch sahen sie nur noch den Rücken der Dame, die ziemlich stark war, ein schwarzseidenes Mantelkleid trug und einen hypermodernen Hut. Eine kleine, volle Hand nestelte an der Haarspange herum, und dabei blitzte ein seltsamer Ring auf, wie eine Spinne aus Brillanten und Smaragden. Weißes und grünes Geflimmer in herrlicher, eigenartiger Zusammenstellung. So einen Ring hatte Franziska noch nie gesehen, und sie blieb doch so oft vor den Juwelierläden stehen.

      „Komisch, mir ist’s gar nicht aufgefallen, daß wir Nachbarschaft hatten“, lachte Fritz. „Aber die Hauptsache ist, daß wir wieder allein sind! Fränze, ich bin ja so glücklich, so ruhig neben dir sitzen zu dürfen. Wie schön muß es sein, wenn wir erst für immer zusammenbleiben dürfen. Für immer.“ Er preßte den schmalen Mädchenarm in überquellendem Glück. „Weißt du, Fränze, ich habe dich schon liebgehabt, als du noch ein ganz kleiner Balg warst. Du warst sechs, ich elf Jahre, als wir uns zum ersten Male unterhielten, wir kamen beide mit den Mappen aus der Schule. Ich dachte damals: Solche Haarfarbe wie du könnten nur Märchenprinzessinnen haben, ich ahnte nicht …“

      „Daß du statt einer Märchenprinzessin die Tochter einer armen Näherin vor dir hattest“, vollendete sie mit bitterem Auflachen.

      „O Fränze, bitte, sprich nicht so!“ flehte er ganz erschrocken. „An so etwas habe ich noch nie gedacht.“

      Franziska lächelte seitlich zu ihm hin, ohne völlig den Kopf zu wenden.

      „Fritz, du bist ein guter Mensch, aber sieh doch ein, wir dürfen uns nicht in Zukunftshoffnungen verrennen, die nie in Erfüllung gehen werden. Ich fürchte mich vor traurigen Enttäuschungen; aus uns beiden wird ja doch kein Paar. Das geben deine Verwandten gar nicht zu.“

      Er konnte ihr darin nicht unrecht geben, konnte ihre Bedenken nicht mit ein paar Worten, einem Lachen verscheuchen, wie er es so gern getan hätte. Er kannte Onkel und Tante zu gut, hatte sich schon oft gegen spöttische, auf Franziska gemünzte Bemerkungen der beiden wehren müssen.

      „Liebe Fränze“, begann er sanft, „es geht ja im Leben bekanntlich nicht alles so glatt, wie man gern möchte. Onkel und Tante haben mich zu sich genommen, haben mich armen Waisenjungen anständig erzogen und sehen in mir einen Sohn. Ich glaube, sie haben mich auch lieb in ihrer Weise. Jedenfalls habe ich es immer gut bei ihnen gehabt. Ich bin überzeugt, du bist keine

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