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eigenen Kinde zurück wie vor einem Geist.

      „Fränzeken, du? Was ist denn los, hat dich Frau Lademann …?“

      Ihre Stimme versagte vor Bangen.

      „Du meinst, ob sie mich ’rausgeschmissen hat?“ lachte Franziska und trat ein, die Tür hinter sich mit energischem Ruck schließend.

      Nun stand sie in der schmalen Küche, denn vom Treppenhaus kam man direkt in die Küche. Ein Korridor, selbst der allerkleinste, erschien in diesen Mietskasernen als Luxus.

      Fränze schob die Mutter sanft vor sich her in die sogenannte „gute Stube“.

      Aber wie dürftig war das Zimmer! Ein Schränk aus Nußbaumholz, eine niedrige Kommode mit Spiegel, ein Vertiko und ein mit dunkelgrünem Wollrips bezogenes Sofa bildeten die Haupteinrichtung. Dazu kamen ein, Tisch mit roter Plüschdecke, sowie mehrere Rohrstühle und ein paar bunte Öldrucke an den Wänden. Am wichtigsten tat eine Nähmaschine.

      Franziska drückte die Mutter in einen Stuhl.

      „Frau Lademann ist heute mit ihrem Mann und dem kleinen Karl nach Tegel zum Geburtstag ihrer Schwester, und da durfte ich eher fortgehen. Weiter hat mein Kommen keinen Grund“, erklärte sie.

      Die kleine, vergrämt aussehende Frau atmete sichtlich auf.

      „Gott sei Dank! Es wäre auch zu furchtbar gewesen, wenn …“ Sie preßte die Handflächen fest gegeneinander. „Du hast es gut, kriegst pünktlich dein Geld und brauchst dich nicht so abzurackern, wie ich es in deinem Alter mußte.“

      Wie heimliches Weinen ging es durch die letzten Worte, wie heimliches Weinen um verlorene Jugend.

      Franziska sah die Mutter mitleidig an.

      „Du bist immer viel zu geduldig gewesen, Mutter hast dir aufpacken lassen wie einem Lastesel.“ Sie strich ihr über das graue Haar, das überreich das abgemagerte Gesicht umgab. „Hättest dich wehren müssen. Erst gegen deine Eltern, die dich ausnützten, dann gegen deinen Mann.“ Sie stieß einen unfrohen Laut aus. „Ich müßte ja eigentlich sagen, gegen den Vater! Alle haben dich ausgesogen, dir Kraft und Lebensfreude genommen, bis du zerbrochen bist an ihnen. Deine Eltern sind lange tot. Vater verschollen, irgendwo am Wegrand umgekommen, wie es manchmal Trinkerschicksal ist, und keiner von ihnen hat je danke zu dir gesagt im Leben.“

      Sie strich immer hastiger über das Haar der geduckt dasitzenden Frau.

      „Mütterchen, jetzt aber sei gescheit, quäle dich nicht so weiter. Ich verdiene doch ganz nett, und ob du wöchentlich ein paar Blusen mehr ablieferst oder weniger, ist doch egal. Wozu denn so wahnsinnig drauflosnähen, daß dir von Tag zu Tag die Brust immer weher tut! Wir kommen doch aus. Mußt du denn jede Woche noch ein paar Mark beiseitelegen?“

      Frau Mühsam blickte zu der vor ihr Stehenden empor mit ihren müden, müden Augen.

      „Fränze, ich freue mich doch, was zusammenzusparen. Wirst heiraten, und eine kleine Ausstattung sollst du deinem Mann doch wenigstens mitbringen.“ Sie lächelte ein schattenhaft auftauchendes und ebenso verrinnendes Lächeln. „Ich glaube, der Fritz aus dem Vorderhaus wird mal dein Mann, der Junge hängt ja wie ’ne Klette an dir. Gut wäre der zu dir, und eine feine Frau würdest du durch ihn. Bankbeamter ist doch was.“ Sie faltete die mageren Hände. „Kind, es muß schön sein, einen Mann zu haben, der einen liebhat! Fränzchen, es gibt so viele andere, die haben ’n schlechten Charakter, meinen aber noch wunder wie gut gegen eine arme Frau zu sein, weil…“, sie stockte, „na ja, weil’s eben nur ’ne Frau is. Fränzchen, du sollst es gut haben in der Ehe, dich soll keiner piesacken und kaputt machen. Der Fritz ist ein anständiger Mensch, seine Liebe geht nicht in den ersten paar Wochen entzwei, die hält durch ein ganzes Leben, glaube ich.“

      Franziska nickte.

      „Ja, Mütterchen, hast recht, aber sieh mal, er ist doch noch so jung, kaum zweiundzwanzig, und ich bin siebzehn. Wir müssen beide noch lange warten. Er hat nichts, und ich habe noch viel weniger, wenn das möglich wäre. Sein Onkel, der bis zum vorigen Jahr sein Vormund gewesen, gibt doch überhaupt nicht zu, daß Fritz mich heiratet. Der Herr Malermeister will doch hoch hinaus mit ihm, weil Fritz doch auf dem Gymnasium gewesen ist. Und seine Tante guckt mich immer, wenn sie mir im Torweg begegnet, so hochmütig, nein, verächtlich an, daß ich ordentlich Angst vor ihr habe.“ Sie machte eine heftige Abwehrbewegung. „Nein, Mutterchen, das gäbe nur Kämpfe, gäbe endlosen Ärger.“

      Frau Martha Mühsam schüttelte den Kopf.

      „Die jungen Leute von heute sind so nüchtern, überlegen alles so gründlich. Ich glaube, sie lieben nur mit dem Kopf, statt, wie man es früher tat, mit dem Herzen.“

      „Möglich, Mütterchen, möglich“, gab Franziska zu, und sie dachte, hätte ihre Mutter in ihrer Jugend auch ein bißchen mehr mit dem Kopf anstatt mit dem Herzen geliebt, dann brauchte sie jetzt nicht vom frühen Morgen bis zum späten Abend an der Nähmaschine zu sitzen und Heimarbeit zu machen.

      Ach, leid tat ihr die alternde, vergrämte und zermürbte Mutter, so bitterleid, daß sie ihr alle Schätze der Welt zu Füßen hätte legen mögen, und konnte doch so wenig für sie tun. Sie wünschte nur sehnlichst, irgendwie vorwärtszukommen, damit sie die Mutter von der Heimarbeit befreien konnte.

      Frau Mühsam erhob sich.

      „Willst du Kaffee haben, Fränzeken?“

      „Nein, ich habe schon bei Frau Lademann getrunken, Mutter; doch wenn es dir recht ist, gehe ich später noch ein paar Stunden weg. Bin dem Fritz vorhin am Küstriner Platz begegnet, er hat mich eingeladen.“

      „Natürlich, Fränzeken, natürlich! Fritz ist ein guter Mensch, mit dem kannst du überall hingehen.“ Das vergrämte Gesicht War von dem Schein einer frohen Hoffnung überhaucht. „Aus euch beiden wird doch noch ein Paar. Denke daran, daß ich dir das gesagt habe, Fränzeken, wenn ich es nicht mehr erleben sollte. Ach, Fränzeken, besser könnte ich dich gar nicht aufgehoben wissen.“

      Das Mädchen widersprach nicht mehr. Wenn sich die Mutter in der Hoffnung, daß aus Fritz Bernhardus und ihr ein Paar wurde, glücklich fühlte, gönnte sie ihr das Glück von ganzem Herzen.

      Frau Mühsam ging an ihre Nähmaschine, und während sich Franziska nebenan in der kleinen Kammer für den Ausgang vorbereitete, klang in all ihr Denken das Schnurren und Surren der Maschine. Ein ihr seit frühesten Kindertagen verhaßtes, einförmiges Geräusch.

      Sie kannte die Mutter kaum anders, als hinter der abscheulichen Maschine sitzend. Nie hatte sie Zeit gehabt, mit ihr einen Spaziergang zu machen wie andere Mütter mit ihren Kindern. Immer hatte die Mutter die Maschine treten müssen, und wenn sie in kindlichem Zorn auf die Maschine losgeschlagen und sie ein böses, böses Tier genannt hatte, dann war sie von der Mutter ermahnt worden, das nicht mehr zu tun. Die Nähmaschine sei gut und willig. Ohne die gute Nähmaschine würden sie beide verhungern müssen.

      Erst allmählich hatte Fränze die mütterlichen Worte begriffen, hatte auch erst allmählich erfahren, daß es Männer gab, die ohne jedes Pflicht- und Verantwortungsgefühl von Frau und Kind fortlaufen, irgendwo in die Welt hinein, die den Alkohol mehr lieben als alles andere. Hatte erst allmählich begriffen, daß so einer ihr Vater gewesen, der seit fünfzehn Jahren verschollen war.

      Ihr graute vor diesem Manne, dessen sie sich nicht mehr zu entsinnen vermochte. Die Mutter besaß ein Bild von ihm; darauf war er ein schlanker, beinahe vornehm aussehender Mensch, dem sie ähnelte.

      Auf dem Bilde hielt er eine Geige unter dem Arm. Er war Musiker gewesen, hatte des Abends im Zirkus gespielt und am Tage Unterricht gegeben. Hatte auch in dem Hause, darin die Eltern der Mutter wohnten, Musikunterricht gegeben, dabei die Mutter kennengelernt und rasch, nur zu rasch ihr Herz gewonnen. Die Eltern der Mutter starben bald, hinterließen ihr nicht mehr als ein paar anständige Möbel und ein winziges Sparguthaben. Die Möbel, das Spargeld, alles brachte Xaver Mühsam in kurzer Zeit durch, und dann verschwand er, ward ein paarmal von der Polizei in vollständig betrunkenem Zustande heimgebracht, bis er wieder fortblieb, nie mehr wiederkam.

      Franziskas

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