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zu sich, sie hatte noch die letzten Worte der Nachbarin gehört, das Häßliche, das sie erlebt hatte, trat sofort wieder mit erschütternder Deutlichkeit vor sie hin.

      Martha Mühsam strich mit zitternder Hand über das wunderschöne Haar des Mädchens.

      „Sei ganz ruhig, Fränzeken, ganz ruhig, es wird ja alles wieder gut werden.“

      Frau Schneidereit schüttelte den Kopf.

      „Es ist und bleibt eine dumme Geschichte. Fränze soll der Bernhardus jedenfalls, soviel sie kann, aus dem Wege gehen. Im übrigen wird die Frau auch wohl kaum Anzeige machen, weil sie sich sehr gemein benommen hat.“

      Franziska sagte leise: „Liebe Frau Schneidereit, wir wollen jetzt gar nicht mehr von dem Geschehenen reden, ich möchte schlafen gehen. Wenn Sie so gut sein wollen, kochen Sie mir was Beruhigendes, Sie verstehen das, weil Sie doch Krankenpflegerin gewesen sind. Mutter setzt sich derweil zu mir ans Bett, dann werde ich ganz still. Morgen sieht alles schon wieder anders aus.“

      Die gutmütige, blasse Frau Schneidereit ging in ihre Wohnung hinüber und kochte einen Tee.

      Inzwischen legte sich Franziska nieder, sagte zur Mutter: „Ich wollte sie ein Weilchen los sein, weil ich dir etwas anderes erzählen will, etwas Wichtiges für meine Zukunft.“

      Martha Mühsam breitete sorgfältig die Decke über Fränze, setzte sich auf den Stuhl neben dem Lager, und Franziska erzählte nun von ihrer Bekanntschaft mit der Spanierin, schloß mit zitternder Stimme: „Ich wollte nicht mit ihr fahren, darüber war ich mir schließlich vollkommen klar, trotz der großen Versuchung. Aber jetzt, Mutter, will ich fort, du wirst einsehen, daß es für Fritz und mich das beste ist, wenn ich vorläufig so weit wie möglich fortgehe. Begegnungen mit der abscheulichen Frau lassen sich durch das nahe Zusammenwohnen auf die Dauer nicht vermeiden, und ich bin überzeugt, sie beschimpft mich bei nächster Gelegenheit wieder, reizt mich bis aufs äußerste. Vielleicht bringt sie auch den heutigen Zusammenstoß zur Anzeige, dann habe ich endlose Scherereien. Deshalb ist es das beste und einfachste, ich verschwinde so schnell wie möglich. Ich brauche nur deine Einwilligung, daß ich ins Ausland gehen darf, und alles übrige dürfte sich dann schnell erledigen lassen.“

      Martha Mühsam war ganz wirr, ihr Kind wollte fort von ihr, wollte so grenzenlos weit fort von ihr?

      Spanien! Du li ber Himmel, wo suchte man das eigentlich? Spanien war ihr bisher genau dasselbe gewesen wie irgendein Land, von dem es in den Märchen hieß, es läge weit, weit hinter dem Monde.

      Und dah’n wollte nun ihr Fränzeken?

      Ihr armer, müder Kopf faßt das nicht, faßte nicht die Zahlen, die ihr die Tochter nannte, um ihr dadurch zu beweisen, wieviel Geld sie in jenem märchenfernen Lande verdienen sollte.

      Als ob das eine Mutter locken könnte, ihr einziges, über alles geliebte Kind so weit fortgehen zu lassen.

      Sie streichelte ratlos Franziskas auf der Bettdecke ruhenden Hände. Ihr fiel ein altes Sprichwort ein: Bleibe im Lande und nähre dich redlich!

      Franziska lachte bitter.

      „Ich kann jetzt nicht hierbleiben, ich fürchte mich vor der Tante von Fritz, fürchte, sie macht Anzeige“, schrie sie leise auf. „Mutter, wenn die Polizei deshalb zu uns käme, wenn ich vor Gericht müßte, ich ginge schnurstracks in die Spree!“

      „Fränzeken, mein Fränzeken!“ Martha Mühsam bebte am ganzen Leibe, warf sich laut aufstöhnend über das Bett. „Das darfst du mir nicht antun, wegrennen von mir, aus dem Leben wegrennen ins kalte Wasser wegen des bösen Weibes. Nein, nein, Kind, dann fahre mit nach Spanien, dann will ich lieber das zugeben, weil ich doch dann weiß, wenn du auch weit von mir weg bist, daß du lebst, und daß ich hoffen darf, dich wiederzusehen.“ Sie griff sich an den schmerzenden, wirren Kopf, richtete sich langsam auf. „Ja aber, Fränzeken, warum redest du denn eigentlich kein einziges Wort von Fritz Bernhardus? Der kann doch nichts dafür, daß seine Tante so häßlich zu dir war. Der liegt doch noch immer an seiner Erkältung, und wer weiß, ob sie dem armen Jungen eine Silbe davon sagt, wie gemein sie zu dir gewesen ist.“

      „Das wird sie ihm natürlich nicht erzählen“, sagte Franziska und dachte an die wunderhübschen Stunden im Tiergarten und in dem Restaurant, dachte an die von lieber, weicher Stimmung umhüllte Heimfahrt, und wie die Erinnerung an die wenigen Glücksstunden in ihrem einförmigen Leben nun so garstig, so verzerrt war seit der gräßlichen Szene im halbdunklen, hallenden Hausgang.

      Sie war froh, der Mutter nichts erzählt zu haben von den Zukunftsplänen, die Fritz gemacht, nichts von seinen Versprechungen.

      Malwine Bernhardus würde niemals einwilligen, daß Fritz sie heiratete. Tat er es aber gegen den Willen dieser Frau, dann gab es Ärger auf Ärger.

      Nein, nein, sie wollte fort, weit fort. Fritz mußte sie vergessen.

      Sie sagte mit zuckenden Lippen: „Fritz ist arm wie ich. Außer seinem Gehalt ist er auf die Güte seiner Verwandten angewiesen. Überwirft er sich meinetwegen mit ihnen, so muß er von seinem Gehalt vollständig seinen Lebensunterhalt bestreiten, und verliert er einmal seine Stellung, findet er nicht gleich eine neue, so kommt er in Not. Daran möchte ich nicht die Schuld tragen.“ Sie lächelte ein ganz klein wenig. „Laß mich in Frieden in die Fremde gehen, Mutter, ich sehne mich nach all dem Neuen und Schönen, das mir die Fremde geben wird. Ich werde es gut haben, werde viel sehen und viel lernen und dir Geld schicken können, damit du dir ab und zu eine Annehmlichkeit gönnen kannst, nicht mehr so viel zu nähen brauchst. Ich hoff von ganzem Herzen, die Dame kommt morgen nachmittag. Glaube mir, Mutter, es ist am besten so.“

      Martha Mühsam sah unschlüssig aus.

      „Kind, du kennst ja die Dame gar nicht.“

      Franziska fiel ihr ins Wort.

      „Sie ist eine wirklich vornehme Dame, es gehört nicht viel Menschenkenntnis dazu, das auf den ersten Blick zu erkennen.“

      Die Mutter mußte ihre weiteren Bedenken für sich behalten.

      Frau Schneidereit klopfte, brachte den Tee. Sie hielt sich nicht auf. Ihre beiden Mieterinnen, die Verkäuferinnen, waren nach Hause gekommen, sie mußte ihnen das Abendbrot auftischen.

      Franziska sagte leise: Nun möchte ich schlafen, Mutter, ich bin so furchtbar müde.“

      Sie trank den Tee und sprach nur noch wenig, schlief wirklich bald ein.

      Martha Mühsam aber hockte sich vor ihre Maschine, murmelte ein altes, halb vergessenes Kindergebet, das plötzlich wieder in ihr auferstand. Es fiel ihr kein anderes ein. Dabei wurden ihr die Wimpern feucht.

      Ihre harte Kinderzeit kam mit dem alten Gebet aus verschütteten Tiefen herauf und sah sie traurig an. Kinderzeit, Mädchenzeit und Ehe, die drei Abschnitte ihres Lebens, reihten sich zu einem einzigen, langen grauen Weg aneinander.

      Arm war sie immer gewesen, ihr größter Kummer bisher aber doch, daß sie nicht wußte, wo er seinen letzten Schlaf schlief, der Mann ihrer Liebe, der arme, verkommene Musikant.

      Ihr größter Kummer bisher. Nun aber schrumpfte er zusammen, ward klein und kleiner, riesengroß wuchs ein neuer, herzzerreißender Kummer vor ihr empor; ihr einziges Kind, ihr geliebtes Fränzeken, wollte von ihr fort in die fremde Welt, so weit fort, daß man sich gar keine Vorstellung davon machen konnte.

      Sie vergrub das Gesicht in die Hände.

      Sie würde wohl ja sagen müssen. Nach diesem Auftritt mit Frau Bernhardus war es für ihr Kind das beste, aus dem Hause zu kommen, und da sich im rechten Augenblick eine so überaus günstige Gelegenheit bot, wäre es töricht gewesen, sie nicht zu ergreifen. Das sah sie ein, trotz ihrem Mutterschmerze.

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