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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
11.
Oft liegt das Glück dicht vor einem, und man sieht es bloß nicht!« Klaras Worte klangen im Ohr des Afrikaforschers nach, während er auf dem festen Sand an der Flutgrenze des Ozeans dahinschritt, weit vor sich die weiße, hochgetürmte Häusermasse von Tanger, hinter sich die langgestreckte öde Küste, die nur einige nachtschwarze lustwandelnde Franziskanermönche, ein paar wilde Hunde und ein galoppierender Araber auf prächtigem Maultierschimmel belebten.
Er fühlte sich körperlich frei und leicht, beinahe gesund. Die plötzliche Anregung durch diesen letzten Vorposten der Zivilisation gab seinen Nerven neue Spannkraft. Er hatte am Abend vorher zum erstenmal eine europäische Mahlzeit genossen, eine Flasche guten Bordeaux getrunken und sich im Rauchzimmer von den eleganten diplomatischen Attachés der verschiedenen Großmächte, die als Pensionäre im Hotel wohnten, die Weltbegebenheiten erzählen lassen. Natürlich waren die Herren dabei über deren Auffassung in Streit geraten, es hatte einen amüsanten Wortwechsel in englischer und französischer Sprache gegeben, und schließlich trennte man sich, sehr erfreut und befriedigt von dem Zusammentreffen mit dem berühmten Reisenden, den die Ladys anfangs, als er sich in seiner Wüstentracht, als der einzigen, die er besaß, zur Tafel setzte, mit einem erschrockenen » shocking« begrüßt hatten.
Auch der heutige Vormittag war sehr genußreich. Ein Bad, ein kräftiges Frühstück, ein Ritt am Strand entlang zu den Ruinen der uralten Phönikerstadt Tingis, deren aus mächtigen Quadern geformtes Hafentor jetzt weit von dem zurückgewichenen Ozean entfernt zwischen Sumpf, Busch und Brackwasser die Jahrhunderte durchträumt, und nun dieser erfrischende Rückweg zu Fuß, die steife Seebrise um die Ohren, den blauen Himmel über sich, klagender Möwenschrei und fernes Segelblinken, all die unermeßliche Freiheit, die das Weltmeer atmet!
Und trotzdem war bei aller neu erwachenden Spannkraft des Körpers sein Geist gedrückt und mißmutig. Er empfand eine reuevolle Stimmung, einen Ärger über sich selbst und sein Mißgeschick.
Sein Ungeschick vielmehr, durch das er in Tetuan die vielleicht nie wiederkehrende Gunst des Zufalls verscherzt hatte! Wieder sah und hörte er um sich das nächtliche Getümmel der Arche Noah vor dem kanonengeschmückten Tor und dazwischen Angelas helle Stimme. Warum hatte er sich an jenem Abend in törichter Zuversicht von ihr getrennt und die Fonda d'España aufgesucht, um am anderen Morgen ihr Nest leer zu finden?
Er empfand plötzlich Lust, unverzüglich nach Tetuan zurückzureiten! Warum, das wußte er selbst nicht. Er hatte nur ein dumpfes Gefühl, als müßte sich dort noch irgendeine Spur, ein Zeichen von ihr finden. Aber wie? Irgendwo in der Ferne lag die weiße Jacht »Liberty« und trug ihre leichte Last hinaus auf das dämmernde Meer. Wohin – das erfuhr wohl der britische Kapitän des Ozeanrenners selbst erst auf hoher See, wenn er vom Schiffsherrn, dem kleinen Petroleumkönig, die trockene Weisung empfing, ihn und seine Gefährten nach Afrika, nach Amerika oder Asien zu steuern.
Gott weiß, wo sie jetzt schon schwammen. Vielleicht segelten sie der Bucht von Monte Carlo zu, um gelangweilt einen Regentag an der Spielbank totzuschlagen. Oder sie warfen am Goldenen Horn Anker und fuhren mit der unterirdischen Zahnradbahn in das buntscheckige Gassengewühl von Pera hinauf. Vielleicht waren sie auf dem Wege nach Jaffa, um Jerusalem zu besichtigen, vielleicht unterwegs nach Neapel, um im Schatten der Rauchwolke vor Anker zu gehen, die als ein schwarzer Riesentrichter über dem Aschenkegel des Vesuv steht.
Wo sie auch waren – er fand sie so leicht nicht wieder, und seine Briefe blieben, wie der letzte, ohne Antwort. Es war ja alles umsonst.
Am besten war es, er ging mit dem heutigen Dampfer, mit dem auch die drei Damen fuhren, nach Gibraltar! Schon seiner Kleider wegen. Es war ja ein Skandal! Und neue Anzüge, neue Wäsche ließen sich erst dort beschaffen. Dort konnte er auch hoffen, durch die Angloägyptische Bank telegraphisch Geld aus seinem Münchener Guthaben zu ziehen. Dort war er ungestört, während hier natürlich nun schon die Kunde seiner Ankunft alle Gesandtschaften und Hotels erfüllt hatte und er einer Menge Menschen, lästigen Besuchen und Höflichkeitspflichten nicht mehr entgehen konnte. Nein, da war es schon besser, so rasch wie möglich nach Gibraltar zu fahren, das dort am anderen Ende der blauen Wasserstraße als ein kaum sichtbarer zuckerhutförmiger Dunstzacken vor dem Himmel stand.
Er blieb stehen und lachte laut auf. So viel Worte und Pläne, um nur die eine Tatsache vor sich selbst zu verhehlen, daß er an der Gesellschaft der blonden Malerin Vergnügen und Zufriedenheit fand! Es war, als sei ihm ihre freundliche Heiterkeit, ihr frohes Lachen schon unentbehrlich geworden seit jenem Regenabend, wo sie sich im Dämmern der Karawanserei El-Fondak zum erstenmal gesehen. Er sträubte sich dagegen und fühlte sich eigentlich doch ganz wohl dabei – in dem Gefühl, jeden Augenblick den Fuß aus der Schlinge ziehen zu können und mit der Gefahr nur zu spielen.
Er konnte es ja beweisen und in Tanger bleiben! Der Trotz erwachte in ihm, während er gleichwohl schneller und immer schneller der Stadt zuschritt. Denn fast unbewußt hatten seine Augen ihn belehrt, daß der auf der Reede schaukelnde, von der Nußschalenflottille umwimmelte Dampfer schon zur Abfahrt bereit war, und ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß er sich in seiner Zeitberechnung um zwei Stunden geirrt hatte.
Es war schon fast zu spät, den Dampfer zu erreichen, und jedenfalls unmöglich, mitzufahren. Denn sein Gepäck befand sich ja oben im Hotel, und seine Rechnung war noch nicht bezahlt. Das einzige, was er tun konnte, war, rasch an Bord zu gehen und den Damen adieu zu sagen, und das war ja auch das beste!
Aber so leicht ließ sich das Schiff nicht erreichen. Erst ein Wortwechsel mit den an der Landungsbrücke gescharten, in greulichem Mohrenenglisch um den Fahrpreis feilschenden Bootsleuten, dann eine Schaukelfahrt quer über die Reede und endlich ein hoffnungsloses Durcheinander der um den Leib des Dampfers auf den Wellen tanzenden und mit ihnen unter dem betäubenden Zankgeschrei der Insassen abwechselnd hoch in die Höhe steigenden und wieder in den Wogentälern versinkenden Kahnflottille! Das Passagierboot selbst rollte dabei an dem sich straffenden Anker schwer von einer Seite zur anderen und tauchte bald sein Fallreep tief in die klatschende Flut, bald wieder hob es die Schiffstreppe unerreichbar hoch über das Gewühl der Nußschalen empor. Es war eigentlich ein Wunder, wie die Cooksche Karawane hatte ungefährdet das Oberdeck erreichen können.
Aber mit Hilfe kräftiger Matrosenfäuste, die die Touristen wie Warenballen von Hand zu Hand hinaufbeförderten, war es doch geglückt und alle Schutzbefohlenen von Cook und Sohn in unbeschreiblicher Verfassung auf dem ersten Platz vereinigt. Die Seekrankheit wütete bereits in dem ganzen Schwarm der Vergnügungsreisenden. Denn ein plötzlicher Defekt an der Maschine verhinderte auf Stunden hinaus die Abfahrt, während das festliegende Schiff stärker schaukelte und stampfte, als wenn es in voller Fahrt gewesen wäre. Alte Damen und bleichsüchtige Backfische, hagere Reverends und weinende Kinder füllten, in Plaids und Mäntel bis zu unkenntlichen, stöhnenden Klumpen eingewickelt, das ganze Deck.
Sie saßen, hoffnungslos lächelnd, auf dem Boden und lagen schweigsam auf den Seitenbänken ausgestreckt, ihr Röcheln drang aus den unteren, in unbeschreiblichem Zustand befindlichen Kabinen, ja, manche hatten sich schutzsuchend bis in den Vorderraum verirrt, wo eine Anzahl Mauren unbeweglich mit gekreuzten Beinen auf den Planken kauernd und halb zugekniffenen Auges ihre Geschäfte in Gibraltar überlegend, dem Spiel der Wellen trotzte.
Auch der Afrikaner war – das wußte er aus vielen früheren Reisen – gegen die Seekrankheit beinahe völlig gefeit. Aber unbehaglich war ihm der Aufenthalt auf dem Vergnügungsschiff doch, und er strebte, in der Runde nach den bekannten Gesichtern blickend, ihn möglichst abzukürzen.
»Jräßlich!« stöhnte es neben ihm. »Jräßlich! Nicht zu sagen!« Da saß der Major, ganz geknickt und vornübergesunken, daß die grauen Schnurrbartenden trostlos herabhingen. Neben ihm, ihn tröstend und stützend, die düstere Gestalt der Gouvernante, die schwarz