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mehr wie ein großer Märchenvogel über die Wellen hinzugleiten als sie zu durchschneiden schien. Jetzt tauchte es voll aus dem Schatten auf, mit seinen zurückgelegten Masten, dem überschlanken, schmalen Schiffsrumpf, dem lautlosen Flug ein Bild eleganter Kühnheit, wie geschaffen, nach freier Laune die Meere zu durchkreuzen und Anker zu werfen, wo die Gunst des Augenblicks lächelt.

      Jacht »Liberty!« – Er kannte sie ja! Und er dachte sich jetzt wohl, daß der Petersburger Petroleumkönig mit ihr seine Tochter und deren Freunde von Ceuta abgeholt hatte. Wäre er ihnen gefolgt, dann fuhr er selbst jetzt auf dem kecken Renner durch die Fluten, statt an Bord dieses schmutzigen, rollenden Krankenhauses mit seiner rings im Dunkel ächzenden Menschheit.

      Jählings erfaßte ihn, während die Jacht weiß, rasch und schweigsam wie ein Geisterschiff im aufgehenden Mond an ihnen vorbeiglitt, ein Gefühl der Reue. Er hätte gewünscht an Bord zu sein. Und mit Angela zusammen.

      Warum sollte er eigentlich nicht an Bord gehen? Willkommen war er dem Petroleumkönig gewiß. Er sah, wie der weiße Schatten in der Ferne zwischen den farbigen Laternen anderer Dampfer stillag und hörte das kurze Rasseln des Ankers. An Land fuhr die Gesellschaft heute gewiß nicht mehr, die ja auf der Jacht weit mehr Bequemlichkeit fand als in den dürftigen Hotels von Gibraltar. Er traf sie sicher beim Diner vereinigt, weitgereiste, die Welt überblickende Menschen in tadellosem Frack und weißer Binde, Angelas Madonnengesicht und silberhelles Lachen dazwischen. Und hier ...

      Er schaute umher. Es kam jetzt, wo das Schiff in ruhigerem Hafenwasser fuhr, allmählich Leben in die Gesellschaft. Wie wenn Tote aus ihrem Schlaf erwachen, lugten bleiche Gesichter aus den zurückgeschlagenen Hüllen und lichteten sich steif gewordene Gestalten langsam auf. »Jräßlich! Jräßlich!« tönte die Klage des Majors und dahinter das beruhigende Baßgemurmel seiner Freundin. »Jetzt sind wir da!« hörte er ihre Stimme. »Wir liegen schon still. Steh' auf, Hilda! Was hast du denn schon wieder, daß du so jammervoll dreinschaust? Und du, Klara ... es ist Zeit!«

      Ringsum ein Frösteln, ein klägliches Lächeln, schlechte Witze, ein herdenartiges Gedräng am Fallreep, wo die Ruderboote harrten, die auf der wohl viertelstündigen Fahrt bis zur Alten Mole den noch enger als bisher zusammengepferchten Touristen unfehlbar eine neue Auflage der Seekrankheit bescheren mußten – nein, der Gedanke an dies Zukunftsbild entschied seinen Entschluß. Er winkte den an Bord klimmenden Agenten des Hotels heran, übergab ihm sein Gepäck und brachte mit seiner Hilfe, ehe die große Masse der Seekranken mobil wurde, die Damen und den Major in dem ersten vom Schiff abstoßenden Kahn unter. Noch ganz betäubt ließen sie alles mit sich geschehen. Erst als der plumpe Kasten schon frei im Ruderschlag schwankte, hörte er Klaras Stimme.

      »Sind Sie denn nicht mit?« rief sie herauf.

      »Nein, ich komme nach! Ich habe noch etwas zu tun!«

      »Auf dem Schiff? Haben Sie etwas vergessen? Hier haben wir ja Ihre Sachen!«

      Er wollte nicht heucheln. »Ich mache rasch einen Besuch auf der Jacht ›Liberty‹«, rief er hinunter. »Auf Wiedersehen nachher!«

      Es kam keine Antwort, und der Kahn verschwand im Dunkel.

      12.

       Inhaltsverzeichnis

      Im Dämmerschein des gedämpft aus ihren Luken strahlenden elektrischen Silberlichts lag die »Liberty« wie ein großer, weißer Schatten über der nachtblauen See. Die Wogen, unter deren Rauschen der heransteuernde Nachen ungestüm schwankte, spielten nur mit dem geschmeidigen Leib des Ozeanrenners, daß er sich wohlig und träumerisch in ihnen wiegte und hoch oben die bunten Signallaternen der Masten in sanftem Schaukelschwung vor dem Sternengeglitzer auf und nieder glitten.

      Die Tür der Bordwand war geöffnet, das Fallreep herabgelassen, als erwarte man den späten Gast. Aber kein Mensch war zu sehen. Nur von dem Vorderteil des Schiffes klang das Raunen tiefer Männerstimmen – wachthabende Matrosen, die da irgendwo, ihr Priemchen kauend, zwischen Taurollen und Fässern saßen.

      Der Fremde brauchte ja auch keinen Empfang durch das Schiffspersonal. Er war ja nur zu gut zu Hause in diesem schwimmenden, kostbar eingerichteten Gebäude, das seine Bewohner fügsam unter der Drehung des Steuerrades von einer Küste zur anderen trug. So entlohnte er den Bootsführer, klomm das Fallreep hinauf und ging über das hell vom Licht beschienene, völlig leere Deck auf die große Salonkajüte zu.

      Während er, mit der Hand über die schwere Eichenschnitzerei des Geländers hingleitend und mit dem Fuß tief in dem Smyrnateppich versinkend, die Treppe hinabstieg, horchte er auf. Aber kein Laut war vernehmbar, nichts regte sich hinter der getäfelten, mit einem bronzenen Löwenkopf geschmückten Tür, die zum Speiseraum führte. Und doch mußten sie jetzt dort alle versammelt sein. Fiel doch auch durch die mit schweren Portieren verhängten Fenster ein schmaler Lichtstreifen heraus in die Nacht.

      Ein seltsames Gefühl beschlich ihn. Das Schiff kam ihm wie verzaubert vor in seiner Helle, seiner Pracht und seinem Schweigen. Um die Beklemmung loszuwerden, pochte er an und trat auf das von innen tönende » Come in!« in das Gemach.

      Er blieb betroffen stehen. Das reich ausgestattete Speisezimmer war fast menschenleer. Nur eine Gestalt saß einsam und melancholisch in Frack und weißer Binde an der silberbeladenen, mit Blumen verzierten Tafel, eine Gestalt, die dem ersten Blick in ihrer Schmächtigkeit und Bartlosigkeit fast knabenhaft erschien. Aber die Züge des heiter lächelnden Gesichtes mit der hellblonden Perücke waren gefurcht, und die Augen glänzten kalt und alt darüberhin.

      Niemand hätte sagen können, ob Nikolai Augustus Rey, der Petroleumkönig, fünfunddreißig oder fünfundfünfzig Jahre zählte. Sein Äußeres war ein Rätsel, wie denen, die ihn näher kannten und in ihm nicht nur den verdammenswerten Spekulanten sahen, der ganze Mensch. Wie er jetzt den Kopf langsam von den Papier- und Zeitungsstößen hob, die während der einsamen Mahlzeit seinen Teller umrahmten, war sein Gesicht das eines sorgenvollen, ergrauten Kaufmanns. Aber kaum erkannte er seinen Gast, so glitt ein spitzbübisches, jungenhaft übermütiges Lächeln über seine Züge, und er sprang mit jugendlicher Behendigkeit vom Stuhle auf.

      »Da ist er ja!« rief er mit seiner schmeichelnd hellen Stimme. »Unser Afrikaner! Ich weiß schon: Sie sind kein Gespenst! Sie leben wirklich! Angela hat es mir geschrieben: ›Wenn er nach Gibraltar kommt und nach mir fragt, so erschrick nicht, sondern pflege ihn ordentlich‹. Also setzen Sie sich, Freund! Ein Glas Port? Schön! ... Noch eins! ... Kein Widerspruch! Meine Tochter hat befohlen, Sie zu Kräften zu bringen.«

      »Ja, wo ist sie denn?« Der Fremde setzte sein Glas ab und schaute suchend umher.

      Nikolai Rey lachte vergnügt. »Der reine Wilde. Er gibt sich gar keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Aber es hilft nichts. Sie müssen schon mit mir vorlieb nehmen. Meine Tochter und ihre Freunde sind fort!«

      »Wo sind die Herrschaften denn?«

      »Hm!« Der Petroleumkönig geleitete seinen Gast zu einem Stuhl und schob, auf den elektrischen Knopf drückend, den ganzen Wust von Depeschen und Druckpapier zur Seite. »Hm ... ja ... wo liegt die Jacht eben? ... Doch in Gibraltar? Ich vergesse nämlich in meinen Geschäften oft, an welcher Küste oder in welchem Erdteil ich mich gerade befinde. Also Gibraltar! Und gegenüber liegt dies spanische Nest ... eine Festung ...«

      »Ceuta!«

      »Richtig! Ceuta! Dort war ich heute abend, um Angela und ihre Sippschaft aus Afrika herüberzuholen. Finde aber nur ein paar Zeilen von ihr vor, sie und die beiden anderen seien aufgebrochen, um den höchsten Berg da in der Nähe ... weiß der Henker den Namen ... ja den Dschib-El-Musa ... zu ersteigen! Gefährlich? Was? Natürlich! Dort wohnen doch die Nachkommen der berühmten Rifpiraten, denen unsere seefahrenden Staaten bis in die Mitte des Jahrhunderts Tribut zahlen mußten. Es ist sicher anzunehmen, daß ein Unglück passiert. Aber reden Sie einmal mit meiner Tochter und deren Freunden! Meine Hoffnung ist, daß es morgen in Strömen gießen wird. Aber Sie sehen mich trotzdem wirklich bekümmert,« er warf einen zerstreuten Blick auf ein vor ihm liegendes Kabeltelegramm, » ... diese

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