ТОП просматриваемых книг сайта:
Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Das war nun geschehen. Seit mittags befand er sich in Gibraltar und bot den an der Alten Mole lungernden Bootsführern, Kutschern und Matrosen das imposante Bild eines breitschulterigen, blondbärtigen, mit rätselhaften vernarbten Messerschnitten auf der linken Wange verunstalteten Mannes, der, reglos auf das Meer blickend, an einem Holzpfahl lehnte und alle Lockungen der dienstbaren Geister, ihn oder sein Gepäck an Bord eines Schiffes zu befördern, unbeachtet ließ. Erst als schon im Abenddämmern der verspätete Dampfer von Tanger weit draußen Anker warf, wurde der Gentleman lebendig und ging mit großen Schritten auf und ab, ungeduldige Blicke auf die langsam als schwarze Klumpen heranschwimmenden Landungsboote werfend.
Endlich waren sie da. Das Getümmel, das Cook und Sohns Karawane, wo sie ging und stand, umwitterte, begann von neuem, verstärkt durch einen wilden Auftritt des Majors mit dem Impresario. Der alte Herr hatte sich nach schweren Kämpfen entschlossen, die Rundreisegesellschaft zu verlassen und über sein schönes Geld ein Kreuz zu machen. Vorher aber sagte er dem Impresario einmal gründlich seine Meinung. Der verstand zwar kein Wort Deutsch, aber er erriet aus Ton und Gebärden, daß es sich um einen feindseligen Akt handelte, und antwortete in sprudelndem Sizilianisch. Beide schrien gleichzeitig ineinander und erhitzten sich immer mehr, je weniger der zornmütige Ostelbier und der heißblütige Welsche einander begreiflich machen konnten, was sie voneinander wollten.
Der Handlungsreisende hatte inzwischen die drei Damen begrüßt und stand mit Klara und Hilda abseits. An ein Fortkommen war nicht zu denken, ehe es nicht der Gouvernante, die sich als Dolmetscherin ins Mittel gelegt, gelungen war, die Kampfhähne zu trennen. »Hatten Sie eine gute Überfahrt, Fräulein Hilda?« fragte er teilnehmend.
»Herrlich!« In der Kleinen, die fröstelnd, von den Spritzern des Seewassers bei der Kahnfahrt durchnäßt, neben ihm stand, war jetzt allmählich ein bitterer Trotz erwacht. »Das war die größte Erholung auf der ganzen Erholungsreise. Man hat doch was für sein Geld! Für zehn Pesetas darf man den ganzen Tag auf dem Schiff zubringen und sich schaukeln lassen ... wissen Sie ... immer hin und wieder her und wieder hin. Das ist auf die Dauer zu nett! Schade, daß Sie nicht dabei waren! Aber ich will meine Schwestern fragen: vielleicht machen wir morgen die Fahrt noch einmal!«
»Ach, die arme Kleine!« sagte der blondbärtige Abenteurer und sah zärtlich auf die Jüngste herab. »Nun haben Sie's ja überstanden!«
»Wer weiß, was morgen kommt!« Sie wickelte sich zähneklappernd und fester in ihr Mäntelchen. »Ich bin auf alles gefaßt. Wie geht es Ihnen?«
»Danke! Vortrefflich!«
»Und den Blutegeln?«
»Die sind gesund und wohl und lassen grüßen!«
»Und dem Pesetakurs?«
»Der befindet sich so leidlich, als es bei diesem Schwerkranken überhaupt möglich ist! Im Ernst gesprochen, Fräulein Hilda: ich habe diesmal gar keine Blutegel und keinen Honig mit, und in die Pesetakurse, obwohl sie an jeder Wechselbude in Waterport-Street angeschlagen sind, habe ich leichtsinniger Mensch noch keinen Blick geworfen. Ich habe zwei ganz andere Dinge im Kopf!«
»Zwei gleich?«
»Ja, ein großes Ding und ein kleines!«
»Und was sind die?«
»Das kleine Ding ist ganz nahe bei mir. Es könnte kaum näher sein ... besonders wenn ich im Dunkel seine Hand nehme und so ganz leise ein bißchen drücke. Die große Angelegenheit aber ist fern. Die schwimmt dort draußen auf den Wassern, wo die Jacht ›Liberty‹ ankert, und ist ein Geheimnis!«
»Auch vor mir?«
»Oder eigentlich kein Geheimnis, sondern ein kecker Griff, von dem ich noch nicht weiß, ob er glückt oder mißlingt. Aber versucht wird er. Heute noch. Das Glück flitzt nicht alle Tage an einem vorbei!«
»Und was ist es denn?« wollte Hilda fragen. Aber da traten die anderen dazu. Der Streit war durch die schwarze Dame endlich beigelegt, einmal noch maßen sich die Gegner mit bitterem Lächeln, dann drehte sich der Major um und erwartete, kampflustig seinen Knotenstock schwingend, den üblichen Ansturm der bettelnden Krüppel, Blinden und Tagediebe, die den Fremden in ganz Spanien zum Wahnsinn bringen und nach seiner Versicherung selbst unter seinem Bette nächtigten und ihn bis in die Badewanne verfolgten. Aber die abscheuliche Horde blieb aus. Er hatte vergessen, daß er sich auf englischem Boden befand, wo diese Landplage nicht gedieh, und seine Mienen hellten sich auf.
»Na, dann könnten wir ja ins Hotel jondelnl« sagte er. »Da steht ja so ein blondbärtiges Individuum von 'nem Portier oder so was!«
»Das nun nicht!« erwiderte der Fremde zu seiner Bestürzung in fließendem Deutsch. »Aber mit dem Kutscher hier« – er wies auf eine mit Sonnendach überspannte Droschke – »habe ich schon ausgemacht, daß er Sie alle nach dem Hotel bringt. Anderthalb Peseten! Zwanzig Centimes Trinkgeld. Will der Kerl mehr, so lassen Sie ihn ruhig schreien oder holen den nächsten Policeman. Auf Wiedersehen, meine Damen! Schlafen Sie gut, Fräulein Hilda!« Er grüßte und wandte sich dann zu einem der Schiffer, die mit ihren leeren Passagierbooten an der Kaimauer lagen. »Hallo, Caballero!« gebot er, mit einem Satz in den Kahn springend. »Fahrt zu, Herr! Nach dem weißen Schiff dort, das vorhin kam. Und nehmt noch einen zweiten Caballero als Ruderknecht mit, damit es rascher geht!«
Die beiden Kerle hatten ihn in der Tat in verhältnismäßig kurzer Zeit an Bord der »Liberty« befördert. Dort aber mußte er warten, bis der Gast des Schiffsherrn sich verabschiedet hatte.
Erst als der Afrikareisende in eine von Matrosen der Jacht geruderte Pinasse gestiegen war und der Petroleumkönig ihm grüßend nachwinkte, trat Albrecht Steffen aus dem Schatten des Verdecks vor, hob den Hut mit einer gewissen Feierlichkeit und sagte laut:
»Guten Abend, Herr Rey!«
Der Angeredete musterte ihn höchst mißtrauisch. »Wer sind Sie denn?«
»Geschäftsmann! Albrecht Steffen mit Namen.«
»Wollen Sie etwas von mir?«
»Herr Rey! Ist schon je ein Mensch zu Ihnen gekommen, der nichts von Ihnen gewollt hat?«
»Nein«, sagte der Millionär trocken. »Da haben Sie recht. Also was wollen Sie? Geld?«
»Herr Rey! Was kann denn ein Mann sonst von Ihnen wollen? Natürlich brauche ich Geld zu einer Unternehmung!«
»Hören Sie mal!« Der Hausherr schüttelte den Kopf. »Sie sind ein merkwürdig ... merkwürdig ungenierter Mensch!«
»Nicht wahr?« fragte der andere erfreut. »Hoffe, daß Ihnen das gefällt. Die Bescheidenheit ist eine herrliche Tugend. Aber man darf nur Sonntag nachmittags davon Gebrauch machen. Deshalb wende ich mich ohne falsche Scheu direkt an Sie.«
»Ja, weswegen denn gerade an mich? Ich kenne Sie gar nicht!«
»Herr Rey! Mich kennt kein Mensch! Das ist's ja eben! Ich stecke fest in dieser weltverlorenen Ecke da drüben, wo Afrika aufhört und das salzige Wasser anfängt, und kriege keinen Finanzmann zu Gesicht, auf den ich einen vorteilhaften Eindruck machen könnte. Schreibe ich aber an Leute wie Sie – lieber Gott, da könnte ich viele hundert Jahre warten, und es käme keine Antwort. Als mir nun mein Glücksstern Ihre Jacht gerade vor die Nase führte und die so einladend und lockend auf dem Wasser dalag, da kam es plötzlich wie eine Erleuchtung über mich, und ich sagte mir: